Entscheidungsstichwort (Thema)
Überraschungsentscheidung des FG; nachträglicher Sonderbetriebsaufwand einer Kommanditistin bei vollbeendeter KG
Leitsatz (NV)
- Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung des FG liegt vor, wenn das Urteil auf einen Gesichtspunkt gestützt worden ist, der zuvor weder im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren noch im Klageverfahren angesprochen worden ist und zu dem sich die Beteiligten nicht haben äußern können.
- Die Begleichung einer Betriebsschuld durch eine Kommanditistin einer vollbeendeten KG kann dann zu einem zusätzlichen, den Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinnanteil schmälernden Aufwand führen, wenn die Betriebsschuld aufgrund einer Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB beglichen worden ist, die Kommanditistin im Innenverhältnis zu den Mitgesellschaftern zur Zahlung nicht verpflichtet war und der insoweit entstandene Regreßanspruch gegen die Mitgesellschafter nicht durchsetzbar ist.
Normenkette
HGB § 172 Abs. 4; FGO § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihre Schwester, die Beigeladene und Revisionsklägerin (Beigeladene), waren Kommanditistinnen, der Vater der Klägerin und der Beigeladenen war Komplementär der X-KG. Der Vater schenkte der Klägerin im Jahre 1984 ein Hausgrundstück. Das Grundstück war Privatvermögen des Vaters gewesen und war auch Privatvermögen der Klägerin. Es hatte einen Verkehrswert von ca. 500 000 DM. Es war mit Grundschulden belastet. Die schuldrechtlichen Verpflichtungen, die durch die Grundschulden abgesichert waren, waren laut ausdrücklicher Bestimmung im Schenkungsvertrag beim Vater verblieben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) waren sich die Beteiligten darüber einig, daß die durch die Grundschuld abgesicherte Schuld eine Betriebsschuld der KG war.
Der Vater starb im September 1986. Seine Erbin war die Mutter der Klägerin, die Beigeladene und Revisionsklägerin (Beigeladene). Die KG wurde zum 31. Dezember 1986 aufgelöst.
Die Grundschulden auf dem Grundstück der Klägerin valutierten zum 30. Juni 1987 mit … DM. Die Klägerin bezahlte die inzwischen auf … DM aufgelaufene Forderung im August des Jahres 1987.
In der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1986 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) einen laufenden Verlust von … DM und einen Entnahmegewinn von … DM an. Der Entnahmegewinn war der Klägerin und den Beigeladenen zu je 1/3 als Veräußerungsgewinn zugerechnet worden.
Mit ihrem Einspruch begehrte die Klägerin, den von ihr gezahlten Betrag als weiteren Verlust anzuerkennen. Das FA lehnte dies ab. In der Einspruchsentscheidung vertrat es die Ansicht, die Schuldübernahme sei dem privaten Bereich zuzuordnen.
Mit der Klage trug die Klägerin vor, sie habe Betriebsschulden der KG bzw. ihres Vaters bezahlt. Das FA hielt im Klageverfahren unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung an seiner Ansicht fest, daß die Bezahlung der durch die Grundschuld abgesicherten Forderung aus privaten Gründen erfolgt sei.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus, die Zahlung von Betriebsschulden durch einen Gesellschafter sei erfolgsneutral, weil die Minderung der Passivseite der Minderung der Aktivseite entspreche. Dies gelte auch dann, wenn ein Kommanditist, der seine Einlage bereits geleistet habe, eine Gesellschaftsschuld tilge. Denn der Kommanditist erwerbe einen Rückgriffsanspruch aus Vertrag oder Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Gesellschaft oder die Mitgesellschafter. Bei Zahlung aus privaten Mitteln erhöhe der Rückgriffsanspruch des Kommanditisten zwar die Aktivseite seines Sonderbetriebsvermögens; diese Vermögensmehrung werde aber durch eine Einlagebuchung neutralisiert. Die Zahlung einer Betriebsschuld mit privaten Mitteln stelle eine Einlage dar. Anhaltspunkte dafür, daß der Rückgriffsanspruch der Klägerin wertlos gewesen wäre, hätten nicht bestanden. Schon im Hinblick auf die Entnahmewerte von … DM sei es unwahrscheinlich, daß der Rückgewähranspruch nicht seinem Nominalwert entsprochen habe.
Die Klägerin und die Beigeladenen rügen mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts (§§ 4, 15, 16 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―) und die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie machen sinngemäß geltend, das FG habe dadurch eine Überraschungsentscheidung erlassen, daß es seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt habe, zu dem keine Prozeßpartei habe Stellung nehmen können. Die Frage der Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs gegen die KG oder die Mitgesellschafter sei im gesamten Verfahren nicht erörtert worden. Die Bedeutung dieser Frage für die Urteilsfindung sei auch nicht erkennbar gewesen, da ausschließlich darüber gestritten worden sei, ob die durch die Grundschulden gesicherte Schuld eine private oder betriebliche gewesen sei und ob die Zahlung der Klägerin auf privaten Motiven beruht habe, weil sie das private Wohnhaus für sich selbst habe erhalten wollen. Tatsächlich sei die Rückgriffsforderung entgegen der Annahme des FG wertlos, da alle Beteiligten ihr gesamtes Vermögen verloren hätten. Aus der Bilanz der KG zum 31. Dezember 1986 und damit aus dem Inhalt der Akten ergebe sich eine so hohe Schuldensumme, daß auch bei Berücksichtigung der Entnahmewerte eine erhebliche Überschuldung der KG verblieben sei. Deshalb habe sich auch bereits aus dem klaren Inhalt der Akten ergeben, daß theoretisch ableitbare Rückgriffsansprüche im Gesellschafterkreis jeweils wertlos gewesen seien.
Die Klägerin und die Beigeladenen beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Gewinnfeststellungsbescheid für die KG dahin zu ändern, daß der Gewinn um … DM gemindert und der Minderungsbetrag gleichmäßig zu je 1/3 auf die Klägerin und die Beigeladenen verteilt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin und der Beigeladenen ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Das angefochtene Urteil verletzt das Recht der Klägerin und Beigeladenen auf Gehör (§ 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―). Es ist auf einen Gesichtspunkt gestützt, der zuvor weder im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren noch im Klageverfahren angesprochen worden ist und zu dem sich die Beteiligten nicht haben äußern können. Die Frage, ob ein Rückgriffsanspruch gegen die KG oder die Mitgesellschafter besteht und ob dieser werthaltig gewesen ist, ist nach dem durch die Aktenlage belegten Vorbringen der Klägerin und Beigeladenen erstmals in der Urteilsbegründung erwähnt. Auf diesen Gesichtspunkt war es aus der Sicht der Beteiligten im bisherigen Verfahren nicht angekommen, weil sie ausschließlich darüber gestritten und allein für entscheidungserheblich gehalten hatten, ob die Zahlung der Klägerin privat oder durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt gewesen sei.
Die Feststellung des FG, daß keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß der Rückgriffsanspruch der Klägerin wertlos gewesen sei, ist ein tragender Entscheidungsgrund. Denn ein nicht oder nur teilweise werthaltiger Rückgriffsanspruch hätte sich bei einer durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßten Zahlung der Klägerin gewinnmindernd oder verlusterhöhend ausgewirkt (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Juli 1990 IV R 37/89, BFHE 162, 30, BStBl II 1991, 64; vom 1. August 1996 VIII R 36/95, BFH/NV 1997, 216).
2. Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßte Zahlung liegt jedoch nicht schon deshalb vor, weil die Klägerin eine Gesellschaftsschuld getilgt hat. Zu dieser Tilgung war sie als Kommanditistin, die ihre Einlage geleistet hat, nach Gesellschaftsrecht nur verpflichtet, wenn nach den Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag eine Nachschußpflicht bestand oder wenn sie den Gesellschaftsgläubigern infolge der Rückgewähr ihrer Einlage nach § 172 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs (HGB) haftete. Nach Einkommensteuerrecht ist im Streitfall voraussichtlich nur der erste Gesichtspunkt von Bedeutung.
a) Sollte die Klägerin zu Nachschußzahlungen verpflichtet gewesen sein, würde dies ―nach Abschluß der Liquidation und Vollbeendigung der Gesellschaft― zu einem nachträglichen Sonderbetriebsaufwand der Klägerin führen, soweit diese im Innenverhältnis zur Begleichung der Schuld nicht verpflichtet war und soweit ihr ein Rückgriffsanspruch gegen die Mitgesellschafter zusteht, der nicht durchsetzbar ist (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1995 IV R 106/94, BFHE 179, 368, BStBl II 1996, 226, unter III. 4. der Gründe, m.w.N.). Ob dieser Fall hier vorliegt, kann der Senat anhand des vom FG mitgeteilten Sachverhalts nicht beurteilen. Das FG wird dazu noch Feststellungen zu treffen haben.
b) Soweit in der Auskehrung des Aktivvermögens der Gesellschaft an die Gesellschafter eine Einlagenrückgewähr liegen und diese nach § 172 Abs. 4 HGB eine Haftung der Klägerin begründen sollte, hat sie bei dieser grundsätzlich keinen Sonderbetriebsaufwand zur Folge. Der Verlust der gesellschaftsvertraglich bedungenen und geleisteten Einlage hat sich bereits im Ergebnis der Gesellschaft und in dem der Klägerin zugewiesenen Verlustanteil niedergeschlagen. Die Verwendung des ausgekehrten Gesellschaftsvermögens zur Schuldentilgung kann nicht nochmals als Aufwand berücksichtigt werden. Der Vorgang ist vielmehr im selben Umfang gewinneutral, in dem er es nach der gesetzlich vorgesehenen Gestaltung gewesen wäre, die die Befriedigung der Gläubiger durch die Gesellschaft selbst mit Hilfe des ihr verbliebenen Aktivvermögens verlangt (§ 733 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, §§ 149, 155, 161 Abs. 2 HGB). Nur soweit die Klägerin aufgrund einer Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB eine Schuld der KG beglichen hat, die sie im Innenverhältnis zu den Mitgesellschafterinnen nicht zu tragen verpflichtet war, und ihr insoweit entstandener Regreßanspruch gegen die Mitgesellschafterinnen nicht durchsetzbar war, kann ihr ein zusätzlicher, ihren Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinnanteil schmälender Aufwand erwachsen sein.
c) Soweit die Klägerin die Gesellschaftsgläubiger mit einem Betrag befriedigt hat, der über dem Wert des auf sie übertragenen Gesellschaftsvermögens liegt, ist davon auszugehen, daß die Zahlung nicht durch das Gesellschaftsverhältnis, sondern privat veranlaßt war. Die Rechtsgrundlage für diese Zahlung kann sich sowohl aus familiären Beziehungen als auch aus Ausgleichsverpflichtungen gegenüber der Schwester und der Mutter wegen des der Klägerin vom Vater übertragenen Grundstücks ergeben. Familiäre Gründe könnten ausschlaggebend gewesen sein, weil die Mutter als Erbin des Vaters der Haftung des § 128 HGB ausgesetzt war, die jeden Komplementär einer KG trifft, wenn die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann (§ 161 Abs. 2 HGB). Ausgleichsansprüche der Mutter und der Schwester könnten sich ergeben haben, weil der Wert des vom Vater übernommenen Grundstücks mit rd. 500 000 DM erheblich über der von der Klägerin im Rahmen der Liquidation der Gesellschaft übernommenen Bankschuld lag. Bei beiden Alternativen kann die Zahlung der Klägerin keinen Sonderbetriebsaufwand bewirken.
Fundstellen
Haufe-Index 154556 |
BFH/NV 1999, 1593 |
HFR 1999, 973 |
BBK 2000, 53 |
EStB 1999, 190 |