Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO 1977
Leitsatz (NV)
Zur Frage der Geschäftsführerhaftung bei Wechsel in der Geschäftsführung einer Gesellschaft innerhalb des Veranlagungszeitraums (Kalenderjahres).
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1967 §§ 18, 16
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin war in der Zeit vom 11. Januar 1967 bis 20. September 1973 alleinige Geschäftsführerin einer GmbH. Am 20. September 1973 wurde sie durch Gesellschafterbeschluß als Geschäftsführerin abberufen und ihr Ehemann zum neuen Geschäftsführer bestellt. Die Eintragung im Handelsregister erfolgte am 3. Oktober 1973.
Aus der von der GmbH am 31. Dezember 1974 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 1973, die von der Klägerin unterschrieben ist, ergab sich eine Abschlußzahlung von . . . DM. Diese war darauf zurückzuführen, daß die Umsätze in den im Jahr 1973 abgegebenen Voranmeldungen zu niedrig angegeben und daher zu geringe Vorauszahlungen erbracht worden waren. Das FA vertrat die Auffassung, die zu niedrige Angabe der Umsätze sei der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH als schuldhafte Pflichtwidrigkeit anzulasten. Es nahm die Klägerin - nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen bei der GmbH - mit Haftungsbescheid vom 29. Juli 1975 wegen der Abschlußzahlung für 1973 in der - noch nicht getilgten - Höhe von . . . DM als Haftungsschuldner gemäß §§ 109, 103 der AO in Anspruch.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrte, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es hat ausgeführt: Mit dem FA sei davon auszugehen, daß die Abschlußzahlung, die sich bei der Veranlagung 1973 ergeben habe, auf durch fehlerhafte Voranmeldungen bedingte zu geringe Vorauszahlungen im Jahr 1973 zurückzuführen sei. Dies beruhe bis zum 20. September 1973 auf einer schuldhaften Pflichtwidrigkeit der Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH. Für die Zeit nach diesem Stichtag haftet die Klägerin allerdings nicht mehr als Geschäftsführerin und damit nicht mehr in Anwendung von § 103 AO. Die Klägerin sei aber nach Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit noch als Verfügungsberechtigte der GmbH aufgetreten. Sie hafte deshalb für den Restzeitraum ab 20. September 1973 für die in der Restzeit verkürzten Vorauszahlungen nach § 108 i.V.m. § 109 AO.
Nachdem das FG die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme - auch - nach § 108 AO hingewiesen und die Klägerin hierzu keine Stellungnahme abgegeben hat, hat das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils den gemäß §§ 109, 103 AO gegen die Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH erlassenen Haftungsbescheid für die Zeit ab 20. September 1973 in Anwendung von § 128 Abgabenordnung (AO 1977) umgedeutet in einen solchen, der gegen die Klägerin als Verfügungsberechtigte gemäß § 108 i.V.m. § 109 AO - im Ergebnis jedenfalls zu Recht - ergangen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin, die das Klagebegehren weiterverfolgt, unrichtige Anwendung von §§ 109, 103 AO (für die Zeit bis 20. September 1973) und von § 128 AO 1977 i.V.m. §§ 109, 108 AO (für die Zeit danach).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und des Haftungsbescheids in Form der Einspruchsentscheidung.
1. Die Klägerin ist nach den revisionsrechtlich verbindlichen finanzgerichtlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) am 20. September 1973 als Geschäftsführerin der GmbH durch Gesellschafterbeschluß abberufen worden. Damit war ihre Geschäftsführertätigkeit beendet (§ 46 Nr. 5 i.V.m. §§ 35, 38 GmbHG). Dies gilt unbeschadet des Zeitpunkts, in dem die Beendigung im Handelsregister eingetragen wurde, weil diese Eintragung nur deklaratorische Wirkung hat (vgl. Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., Anm. 2c zu § 39). Die Klägerin kann somit als Geschäftsführerin nur für solche auf schuldhafter Pflichtverletzung beruhende Steuerverkürzungen als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, die auf zu niedrige Vorauszahlungen in der Zeit von Januar bis August 1973 zurückzuführen sind (§ 18 Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG 1967), dagegen nicht für zu niedrige Vorauszahlungen ab September bis Dezember 1973.
2. Das angefochtene Urteil ist schon deshalb aufzuheben, weil das FG die seiner Entscheidungsfindung gezogenen Grenzen (§ 102 FGO) überschritten hat. Ungeachtet der Frage, ob das Gericht den Haftungsgrund austauschen kann und ob es sich in einem solchen Falle um eine Umdeutung des Verwaltungsaktes i. S. des § 128 AO 1977 handelt, war der Austausch des Haftungsgrundes im vorliegenden Fall dem Gericht verwehrt. Denn das FG hat in die Umdeutung solche Erwägungen einbezogen, die in den Bereich des billigen Ermessens gehören, dessen Ausübung der Verwaltung vorbehalten ist. So kommt entgegen der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsauffassung des FA - auf der Grundlage der Auffassung des FG für die Zeit ab 20. September 1973 - nicht nur eine Person als möglicher Haftungsschuldner in Betracht, sondern neben der Klägerin auch deren Ehemann in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer ab 20. September 1973. Es oblag ausschließlich der Finanzbehörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens (§ 118 AO i.V.m. § 7 Abs. 3 Satz 2 StAnpG, vgl. nunmehr § 44 Abs. 1, § 191 Abs. 1 AO 1977) zu entscheiden, ob sie beide als Haftungsschuldner in Betracht kommenden Personen oder nur eine von beiden und diesenfalls welche von ihnen in Anspruch nehmen wollte.
3. Schon weil bereits das FA diesen Umstand beim Erlaß des Haftungsbescheids nicht berücksichtigt hat, ist auch dieser aufzuheben. Denn das FA ist beim Erlaß des Haftungsbescheids erkennbar davon ausgegangen, daß nur die Klägerin als Haftende in Betracht komme. Es hat infolgedessen die Möglichkeit, daß auch der Ehemann der Klägerin als Haftender in Anspruch genommen werden kann, nicht berücksichtigt. Es hat insbesondere nicht beachtet, daß allein der Ehemann als Geschäftsführer und Haftender für die Jahresumsatzsteuerschuld in Anspruch genommen werden konnte, weil er in der Zeit seit dem 20. September des Streitjahres Geschäftsführer war und somit für die Begleichung der Jahressteuerschuld zu sorgen hatte, nachdem die Klägerin bereits seit dem 20. September des Streitjahres als Geschäftsführerin ausgeschieden war. Die Klägerin konnte nur als Haftende für die Vorauszahlungszeiträume bis zum 20. September in Anspruch genommen werden. Der Haftungsbescheid beruht infolgedessen auf einer fehlerhaften Ermessensausübung und ist schon aus diesem Grunde rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
4. Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils ist der Haftungsbescheid vom 29. Juli 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 2. März 1977 - ersatzlos - aufzuheben.
Fundstellen