Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Berufsvormund nicht typisch freiberuflich
Leitsatz (NV)
Ein Rechtsanwalt, der in einer Vielzahl von Fällen das Amt eines Vormundes oder Pflegers übernimmt (sog. Berufsvormund), übt in dieser Funktion keine berufstypische freiberufliche Tätigkeit aus. Zu den nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 begünstigten Tätigkeiten gehören grundsätzlich nur solche, die nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte abrechenbar sind.
Normenkette
UStG 1973 § 12 Abs. 2 Nr. 5; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) übte in den Streitjahren den Beruf des Rechtsanwalts aus. Aus dieser Tätigkeit erzielte er folgende Einnahmen:
1975 1976 1977 1978
DM DM DM DM
für Leistungen als Rechtsanwalt … … … …
Pfleger und Vormund … … … …
Testamentsvollstrecker … … … …
Hausverwalter … … … …
In seinen Umsatzsteuererklärungen berechnete der Kläger die Steuer zunächst nur für die Umsätze Umsätze aus (reiner) Anwaltstätigkeit nach dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) und für die übrigen Umsätze nach dem allgemeinen Steuersatz. Gegen die Bescheide, in denen der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuer für die Streitjahre erklärungsgemäß festsetzte, legte der Kläger jeweils Einspruch ein mit der Begründung, die Umsätze aus seiner Tätigkeit als Pfleger und Vormund seien ebenfalls dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 zu unterwerfen, weil er zu dem jeweiligen Amt mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Rechtsanwalt bestellt worden sei. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Dem mit der Klage gestellten Antrag, die Umsatzsteuer für die Streitjahre entsprechend niedriger festzusetzen, gab das Finanzgericht (FG) statt. Es vertrat die Auffassung, dem Kläger stehe für die aus seiner Vormunds- und Pflegertätigkeit erzielten Umsätze der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 zu. Eine solche Tätigkeit sei im Zweifel als für einen Rechtsanwalt berufstypisch anzusehen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Dezember 1980 V R 27/76 (BFHE 132, 136, BStBl II 1981, 193) sei - über den dort entschiedenen Fall hinausgehend - im Zweifel davon auszugehen, daß das Amtsgericht, wenn es die Dienste eines Rechtsanwalts als Vormund in Anspruch nähme, ihn auch wegen dieser Eigenschaft beauftragen wolle. Nach dieser Beweisregel habe die Finanzbehörde im Einzelfall nachzuweisen, daß dem Rechtsanwalt das Amt eines Pflegers oder Vormundes gerade nicht wegen seiner besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten übertragen worden sei. Die Auskünfte, die von den Amtsgerichten eingeholt worden seien, deuteten eher darauf hin, daß der Kläger zumindest auch wegen seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt ausgewählt worden sei, jedenfalls in einer erheblichen Anzahl von Fällen. Der Umstand, daß der Kläger nicht nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) liquidiert habe, stehe dem nicht entgegen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 und hilfsweise der §§ 88 und 90 der Abgabenordnung (AO 1977). Es führt dazu im wesentlichen folgendes aus: Die Grundsätze, die der BFH in seinem Urteil vom 3. Oktober 1985 V R 106/78 (BFHE 145, 248, BStBl II 1986, 213) zur Umsatzbesteuerung für einen als Konkurs- und Vergleichsverwalter tätigen Rechtsanwalt aufgestellt habe, müßten auch für die Leistungen eines Rechtsanwalts als Pfleger und Vormund gelten. Danach seien nur solche Leistungen mit dem ermäßigten Steuersatz zu erfassen, die als berufstypische Besorgungen von Rechtsangelegenheiten nach der BRAGO abrechenbar seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Gründe der Vorentscheidung entsprechen nicht den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Bestimmung einer nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 begünstigten Tätigkeit.
Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 ermäßigt sich die Steuer auf die Hälfte des allgemeinen Steuersatzes für die Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie den Eigenverbrauch aus der Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufes i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Steuerermäßigung zum einen voraus, daß der Steuerpflichtige einer der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Berufsgruppen angehört (was für den Kläger als Rechtsanwalt ohne weiteres zutrifft), und zum anderen, daß die Umsätze des Berufsangehörigen aus einer sog. berufstypischen Tätigkeit herrühren (BFH-Beschluß vom 19. Februar 1981 V B 50/79, BFHE 132, 351, BStBl II 1981, 412, m.w.N., und zuletzt BFH-Urteil vom 13. März 1987 V R 33/79, BFHE 149, 313, BStBl II 1987, 524).
a) Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege; er übt einen freien Beruf aus und ist der berufene und unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§§ 1 bis 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAGO -). Das Berufsbild des Rechtsanwalts wird demnach geprägt von der Aufgabe, in allen Rechtsangelegenheiten eigenverantwortlich Rechtsrat zu erteilen und für Rechtsuchende deren Rechtsangelegenheit zu besorgen. Das bedeutet jedoch nicht, daß von den anderen, das Berufsbild nicht prägenden Tätigkeiten eines Rechtsanwalts jede außerjuristische, auch nicht jede verwaltende Tätigkeit mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar wäre (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 99/78, BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, unter III. 2. a) mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH -).
b) Ein Rechtsanwalt, der in einer Vielzahl von Fällen das Amt eines Vormundes oder Pflegers übernommen hat, übt in dieser Funktion regelmäßig keine berufstypische, sondern allenfalls eine mit seinem Beruf vereinbare Tätigkeit aus.
Die Übernahme von Vormundschaften (und Pflegschaften) ist keine dem Rechtsanwaltsberuf vorbehaltene oder ihn in besonderer Weise charakterisierende Tätigkeit. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geht vielmehr vom Leitbild des ehrenamtlich tätigen Einzelvormundes aus, der damit einer staatsbürgerlichen Pflicht genügt und die ihm übertragene Aufgabe grundsätzlich unentgeltlich wahrzunehmen hat (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10. Februar 1960 1 BvR 526/53, 29/58, BVerfGE 10, 302, 311, und vom 1. Juli 1980 1 BvR 349/75 und 378/76, BVerfGE 54, 251, 253). Der Vormund hat das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen (§§ 1793, 1897 BGB in der vor dem 12. September 1990 geltenden Fassung). Auch dem Pfleger obliegt - je nachdem, welcher Pflegschaftstatbestand eingreift (§§ 1906 bis 1914 BGB) - die Sorge für Person und Vermögen des Pfleglings.
Ebensowenig wie die Personensorge gehört die einfache Vermögensverwaltung - hier im Sinne der Vermögenssorge - zu den berufstypischen Aufgaben eines Rechtsanwalts (zur Vermögensverwaltung durch einen Konkurs- und Vergleichsverwalter vgl. BFH-Urteile in BFHE 145, 248, BStBl II 1986, 213 und in BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, und durch einen Testamentsvollstrecker vgl. BFH-Urteil in BFHE 149, 313, BStBl II 1987, 524). Das gilt auch dann, wenn im Rahmen der Amtsausübung Rechtsfragen zu bearbeiten sind (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1981 V R 104/79, BFHE 133, 234, BStBl II 1981, 545, unter 5. a) - Verwaltungstätigkeit eines Verbandsgeschäftsführers). Auch aus der Tatsache, daß das Amtsgericht einen Rechtsanwalt zum Vormund oder Pfleger bestellt hat, kann nicht gefolgert werden, die für ein solches Amt ausgeübte Tätigkeit sei insgesamt berufstypisch (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, unter III. 2. b) und in BFHE 149, 313, BStBl II 1987, 524, unter II. 2. b), jeweils m. w. N.).
c) Zu den nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 begünstigten anwaltlichen Tätigkeiten gehören grundsätzlich nur solche, die nach der BRAGO abrechenbar sind. Dies hat der erkennende Senat entschieden für die Fälle der Testamentsvollstreckung sowie der Konkurs- und Vergleichsverwaltung durch einen Rechtsanwalt (vgl. die Urteile in BFHE 145, 248, BStBl II 1986, 213, unter 4., in BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, unter III. 4. a), in BFHE 149, 313, BStBl II 1987, 524, unter II. 2. c), jeweils m. w. N.). Er hält auch für den Fall der Vormundschaft und Pflegschaft daran fest.
Gemäß § 1 Abs. 1 BRAGO bemißt sich die Vergütung des Rechtsanwalts für seine Berufstätigkeit nach diesem Gesetz. Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift gilt dies nicht, wenn der Rechtsanwalt als Vormund oder Pfleger tätig wird. Er kann jedoch gemäß § 1835 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 2 BRAGO eine Vergütung nach der BRAGO für solche Dienste verlangen, die zu seiner Berufstätigkeit gehören. Es muß sich dabei um Dienste handeln, die ein Vormund, der nicht von Beruf Rechtsanwalt ist, üblicherweise einem solchen übertragen würde, also wiederum um typische Anwaltstätigkeit (Gerold / Schmidt-Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 10. Aufl., § 1 A 21; Schumann / Geißinger, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., Anhang § 1 Rz. 82).
d) Zu Unrecht stützt das FG seine Entscheidung auf das BFH-Urteil in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 193). Der dort zu beurteilende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Im Urteilsfall ging es um die Führung einer einzigen Vormundschaft durch einen Rechtsanwalt, der hierbei mit einer Reihe von rechtlichen Auseinandersetzungen und sonstigem Rechtsbeistand befaßt war. Der Kläger hingegen hatte als sog. Berufsvormund eine Vielzahl von Vormundschaften und Pflegschaften übernommen. Für die in Ausübung dieser Ämter erbrachten Leistungen erzielte er in den Streitjahren den weitaus größten Teil seiner Einnahmen. Ob und ggf. in welchem Umfang er hierfür Leistungen erbracht hat, die denen im Urteilsfall vergleichbar wären, hat das FG nicht festgestellt.
Die für einen Einzelvormund (wohl) zutreffende Erwägung, das Amtsgericht wolle im Zweifel einen Rechtsanwalt ,,auch wegen" dieser Eigenschaft zum Vormund bestellen, ist auf den Fall des Berufsvormunds nicht übertragbar. Mit der Folgerung, die Finanzbehörde müsse im Einzelfall nachweisen, daß dem Rechtsanwalt gerade nicht wegen dessen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten die Vormundschaft oder Pflegschaft übertragen worden sei, leitet das FG aus der vorstehenden Erwägung eine ,,Beweisregel" ab, die den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Auslegung des Begriffs ,,berufstypische Tätigkeit" widerspricht.
e) Der vorliegende Sachverhalt legt die Annahme nahe, der Kläger habe zu einem nicht unerheblichen Teil nicht berufstypische Dienste in Ausübung seiner Vormundschafts- und Pflegschaftsämter erbracht. Dafür spricht, daß er seine Vergütungen nach § 1836 BGB pauschal und nicht nach § 1835 Abs. 2 BGB auf der Grundlage der BRAGO abgerechnet hat (zur Vergütung eines Berufsvormunds in besonderen Fällen vgl. auch § 1836 Abs. 2 BGB in der Fassung des Betreuungsgesetzes vom 12. September 1990, BGBl I 1990, 2002). Die vom FG herangezogenen Auskünfte der Amtsgerichte sind jedenfalls zu vage, um hieraus Schlüsse auf die Art der Tätigkeit des Klägers zu ziehen.
2. Die Feststellungen der Vorinstanz ermöglichen dem Senat nicht, in der Sache selbst zu entscheiden. Das FG wird anhand der vorstehenden Abgrenzungsgrundsätze Feststellungen zu treffen haben zu der Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger als Vormund und Pfleger anwaltstypische Tätigkeiten im einzelnen ausgeübt hat. Es wird notfalls die Höhe der den einzelnen Tätigkeitsbereichen zuzuordnenden Umsätze gemäß § 162 AO 1977 schätzen müssen.
Fundstellen