Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Wiederholung der Steuerbevollmächtigtenprüfung können einzelne Noten aus einer vorangegangenen nichtbestandenen Prüfung nicht berücksichtigt werden.
2. Ist bei der Bewertung von Klausurarbeiten der Steuerbevollmächtigtenprüfung der Zweitgutachter mit dem Gutachten des Erstgutachters einverstanden, so bedarf sein übereinstimmender Notenvorschlag keiner weiteren Begründung.
2. Einer Neubewertung der schriftlichen Arbeiten bedarf es auch dann nicht, wenn in der mündlichen Prüfung ein anderer Prüfer an die Stelle des Prüfers tritt, der als Gutachter bei der Bewertung der schriftlichen Arbeiten tätig geworden ist.
Normenkette
DVStBerG § 10 Abs. 1, §§ 19-20, 22, 26
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterzog sich mehrfach der Steuerbevollmächtigtenprüfung. 1974 waren alle Klausurarbeiten mit mangelhaft bewertet worden; eine mündliche Prüfung fand daher nicht statt. 1975 wiederholte der Kläger die Prüfung, trat jedoch vor Ende der schriftlichen Prüfung zurück. 1976 wiederholte er die Prüfung erneut. Die Klausurnoten lauteten für die Umsatzsteuerklausur und die Buchführungsklausur auf mangelhaft und für die Einkommensteuerklausur auf befriedigend. Das Gesamtergebnis einschließlich der mündlichen Prüfung lautete auf "nicht bestanden".
Im Juni 1976 beantragte der Kläger erneut die Zulassung zur Prüfung und bat gleichzeitig darum, die 1976 erzielte Note "befriedigend" im Klausurfach Einkommensteuer für die Prüfung 1977 anzuerkennen. Mit Bescheid vom 12. Juli 1976 ließ der Zulassungsausschuß bei der Beklagten, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) den Kläger für die Prüfung 1977 zu. Bezüglich seines Antrags auf Anerkennung der Klausurnote im Fach Einkommensteuer aus der Prüfung 1976 wurde dem Kläger in dem Bescheid, mit dem er zur Prüfung zugelassen wurde, mitgeteilt, daß die Wiederholungsprüfung ein völlig selbständiges neues Prüfungsverfahren sei und die Durchführungsbestimmungen zum Steuerberatungsgesetz die Anrechnung von Prüfungsnoten aus einer vorausgegangenen Prüfung nicht vorsehen; dieser Hinweis stelle lediglich eine nicht anfechtbare Rechtsauskunft dar, da über den Antrag des Klägers auf Anrechnung der Klausurnote im Fach Einkommensteuer der Prüfungsausschuß im Rahmen des Prüfungsverfahrens zu entscheiden habe.
Die Klausurarbeiten des Klägers wurden wie folgt bewertet: Buchführung ausreichend, Einkommensteuer ungenügend, Umsatzsteuer befriedigend. Bei der mündlichen Prüfung am 24. Mai 1977 erhielt der Kläger für den mündlichen Vortrag die Note 5 und im übrigen die Noten 5, 3, 4, 5 und 4. Aus diesen sechs Einzelnoten wurde für die mündliche Prüfung die Gesamtnote 4,33 gebildet. Aus der Durchschnittsnote der schriftlichen Prüfung ergab sich ebenfalls 4,33, so daß das Ergebnis der Prüfung auf nicht bestanden lautete.
Gegen diese Entscheidung des Prüfungsausschusses erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, die Prüfungsentscheidung vom 24. Mai 1977 aufzuheben und die OFD zu verpflichten, die Prüfung für bestanden zu erklären, hilfsweise, ihn nach angemessener Zeit erneut zu prüfen.
Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf hob auf die Klage mit Urteil vom 26. Juni 1978 XI 235/77 StB die Prüfungsentscheidung vom 24. Mai 1977 auf und verpflichtete die OFD, den bereits zur Steuerbevollmächtigtenprüfung 1977 zugelassenen Kläger nach angemessener und ausreichender Zeit erneut zu prüfen. Diese in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 513 (EFG 1978, 513) veröffentlichte Entscheidung begründete das FG im wesentlichen wie folgt:
Der Prüfungsausschuß habe gegen die Vorschriften, die das Prüfungsverfahren regeln, verstoßen. § 19 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962 (DVStBerG) bestimme, daß jede schriftliche Arbeit von mindestens zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses zu begutachten sei. Nach der Wortbedeutung sei unter Begutachten der Vorgang des Durchsehens und der Korrektur bzw. der Kennzeichnung der Prüfungsleistung als richtig oder falsch, d. h. ein Abwägen, zu verstehen. Aus dem der Wortbedeutung innewohnenden Element der Schriftlichkeit sei zu folgern, daß dieser Vorgang einem Dritten in einer verständlichen Weise erkennbar werden müsse. Beschränke sich aber ein Gutachten lediglich auf die Notengebung und verzichte es auf die Wiedergabe der wesentlichen zu diesem Ergebnis führenden Erwägungen, so gehe die eigentliche Funktion des Gutachtens, dem Entscheidungsgremium ein aus Sachverständnis fließendes Urteil für die Entscheidungshilfe zur Verfügung zu stellen, verloren. Da die gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen nur beschränkt möglich sei, müsse entscheidendes Gewicht auf die Einhaltung der das Prüfungsverfahren regelnden Normen gelegt werden. Um die Verfahrensrichtigkeit zu gewährleisten, sei entscheidendes Gewicht auf die gegenseitige Kontrolle der Prüfer zu legen. Diese Kontrollfunktion ginge aber verloren, wenn sich das Gutachten des Zweitkorrektors in der Notengebung erschöpfen könnte. Aus diesem Grund vermöge das FG auch nicht der Rechtsprechung zu folgen, die bei anderen Prüfungsordnungen die Zulässigkeit einer derartigen "Kurzzensur" bejahe.
Es sei nicht ersichtlich, daß ein zweiter Prüfer die schriftlichen Klausurarbeiten begutachtet habe. Dies gelte für die Einkommensteuerklausur und die Umsatzsteuerklausur. In beiden Fällen seien von dem nachfolgenden Prüfer lediglich gleichlautende Benotungen erfolgt.
Ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften sei auch insoweit gegeben, als der Prüfer A, der in der mündlichen Prüfung an die Stelle des Prüfers B getreten sei, insoweit, als der Prüfer B Erst- bzw. Zweitgutachter der schriftlichen Arbeiten war, nach seiner Berufung in den Prüfungsausschuß bei den entsprechenden Klausuren keine nach außen erkennbare eigenständige Begutachtung durchgeführt und keinen eigenen Notenvorschlag gemacht habe. Damit habe der Prüfungsausschuß gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit der Prüfung verstoßen. Dieser Grundsatz sei aus § 22 Satz 1 DVStBerG abzuleiten.
Gegen diese Entscheidung haben beide Beteiligten Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
In erster Linie rügt der Kläger die Nichtberücksichtigung der Note, die er in der Prüfung 1976 für seine Einkommensteuerklausur erhalten hatte. Ferner sieht er eine Verletzung des Prüfungsverfahrens darin, daß sein Antrag, diese Note anzurechnen, nicht ausdrücklich beschieden worden sei. Es kann hier dahinstehen, ob diese Rügen, wären sie gerechtfertigt, der Revision - die die Verpflichtung der OFD begehrt, die Prüfung für bestanden zu erklären - zum Erfolg verhelfen könnten. Denn jedenfalls sind die Rügen unbegründet.
Die Wiederholungsprüfung ist in § 26 DVStBerG geregelt. Dieser Bestimmung ist - wie das FG zu Recht ausgeführt hat - zu entnehmen, daß die Wiederholungsprüfung eine neue, alle Teile umfassende Prüfung ist. Das ergibt sich schon daraus, daß diese Prüfung einer erneuten Zulassung bedarf (§ 26 Satz 2 DVStBerG). Ferner spricht gegen die Anrechnung der Noten, die in früheren für nicht bestanden erklärten Prüfungen für dort geschriebene Klausurarbeiten vergeben worden sind, der Umstand, daß nach § 19 Abs. 1 Satz 1 DVStBerG die Klausurarbeiten vom Prüfungsausschuß zu bewerten sind. Das kann nur dahin verstanden werden, daß die Bewertung von jenem Prüfungsausschuß vorzunehmen ist, dem die Abnahme der jeweiligen Prüfung übertragen worden ist (vgl. auch § 9 Abs. 1 und 2 DVStBerG). Das schließt die Berücksichtigung der Bewertungen anderer Prüfungsausschüsse bei früheren Prüfungen aus.
Andernfalls ergäbe sich auch eine ungerechtfertigte Besserstellung der Bewerber, die die Prüfung wiederholen. Da zwei Wiederholungen möglich sind (§ 26 DVStBerG), hätte ein Bewerber im Extremfall die Möglichkeit, bei der dritten Prüfung die besten Noten aus den vorangegangenen beiden nicht bestandenen Prüfungen in die Bewertung zu bringen. Er könnte sich also bei jeder der drei Prüfungen jeweils auf ein einziges der drei in der schriftlichen Prüfung jeweils zu behandelnden Rechtsgebiete spezialisieren. Ein solches Vorgehen entspricht aber nicht dem Sinn der Steuerbevollmächtigtenprüfung, die den Zweck hat, festzustellen, ob der Bewerber im Zeitpunkt der Prüfung ein ausreichendes Maß von Wissen auf allen Prüfungsgebieten präsent hat. Dies ergibt sich aus der Regelung der Durchführungsvorschriften zum Steuerberatungsgesetz, die Ergänzungsprüfungen bei einem Teilversagen im Gegensatz zu manchen anderen Prüfungsordnungen nicht vorsehen.
Unbegründet ist ferner die Rüge des Klägers, ein Fehler im Prüfungsverfahren liege auch darin, daß er im unklaren darüber gelassen worden sei, ob die Note der Einkommensteuerklausur aus der Prüfung 1976 ihm angerechnet werde. Der Prüfungsausschuß war rechtlich nicht verpflichtet, eine ausdrückliche Entscheidung über dieses Begehren des Klägers zu treffen. Der Kläger konnte überdies schon nach der Auskunft der OFD im Schreiben vom 12. Juli 1976 nicht ernstlich damit rechnen, daß eine solche Anerkennung in Frage kam. Spätestens aber mit der Ladung zur schriftlichen Prüfung (ein schließlich der Einkommensteuerklausur) mußte der Kläger wissen, daß der Prüfungsausschuß die von ihm begehrte Anrechnung nicht für möglich hielt. Hielt er sich dennoch noch für verunsichert, so hätte er sich spätestens zu diesem Zeitpunkt erneut an den Prüfungsausschuß mit der Bitte um ausdrückliche Entscheidung wenden müssen.
Soweit der Kläger in seiner Revisionsbegründung weitere formelle und materielle Mängel des Prüfungsverfahrens und der Prüfungsentscheidung rügt, kann er damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden, da entsprechende tatsächliche Feststellungen und Wertungen des FG fehlen. Im übrigen wird sich das FG mit diesen Rügen ohnehin noch zu beschäftigen haben, weil die Vorentscheidung auf die Revision der OFD aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist.
Die Revision der OFD ist begründet.
Zu Unrecht hat die Vorentscheidung eine Verletzung des Prüfungsverfahrens darin gesehen, daß die Zweitgutachter der Klausuren des Klägers nicht noch neben der Notengebung ein schriftliches Gutachten mit der Wie dergabe der zu der Notengebung führenden Erwägunger abgegeben haben. Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des erkennen den Senats, daß sich der Zweitgutachter ohne weitere Ausführungen dem Erstgutachter anschließen kann, soweit er mit dessen Gutachten und Notengebung einverstanden ist (vgl. Entscheidungen des BVerwG vom 3. November 1975 VII B 93.74, Buchholz 421.0, Prüfungswesen Nr. 67, und vom 7. Mai 1971 VII C 51.70, Die Öffentliche Verwaltung 1972 S. 276, 279; Urteile des erkennender Senats vom 26. Juni 1973 VII R 43/72, BFHE 110, 94, 97 BStBl II 1973, 747, und vom 24. Juli 1973 VII R 88/72 BFHE 110, 222, BStBl II 1973, 804). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Zu Unrecht beruft sich das FG auf § 19 Abs. 1 DVStBerG. Dort heißt es, daß jede Arbeit von mindestens zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses zu "begutachten" ist. Diese Vorschrift verlangt lediglich, daß sich auch der Zweitgutachter auf Grund selbständige. Prüfung ein Urteil über die jeweilige Arbeit zu bilder hat. Sie verlangt nicht, daß die Gründe für dieses Urtel jeweils schriftlich niederzulegen sind (vgl. auch Urtel des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12. February 1970 V A 855/69, Deutsches Verwaltungsblatt 1970 S. 705 706). Das liefe auf einen leeren Formalismus in Fällen hinaus, in denen der Zweitgutachter die Begutachtung des ersten Gutachters in allen Stücken teilt.
Nach allem kann aus der Tatsache allein, daß der Zweitgutachter sich dem Gutachten des ersten ohne weltere Zusätze angeschlossen hat, nicht geschlossen werden, der Zweitgutachter habe keine eigenständige Begutachtung im Sinne des § 19 Abs. 1 DVStBerG vorgenommen.
Nicht zu folgen ist auch der Auffassung des FG, der in der mündlichen Prüfung als Vertreter neu eingesetzte Prüfer habe die schriftlichen Arbeiten des Klägers - die der durch ihn ersetzte, in der mündlichen Prüfung verhinderte Prüfer begutachtet hatte - neu begutachten müssen. Nach § 10 Abs. 1 DVStBerG gliedert sich die Prüfung in eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. Die Klausurarbeiten sind vom Prüfungsausschuß zu bewerten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 DVStBerG). Dies hat vor der Durchführung der mündlichen Prüfung zu geschehen. Das ergibt sich daraus, daß die Frage, ob ein Bewerber zur mündlichen Prüfung zugelassen werden kann, vom Ausgang der schriftlichen Prüfung abhängt (vgl. § 19 Abs. 3, § 20 DVStBerG). Über den Ausgang der schriftlichen Prüfung entscheidet daher der Prüfungsausschuß in seiner Zusammensetzung zu diesem Zeitpunkt. Nichts anderes ergibt sich aus § 22 DVStBerG. Zwar bestimmt dieser, daß über das endgültige Ergebnis der Prüfung der Prüfungsausschuß erst nach Durchführung der mündlichen Prüfung entscheidet. Der Prüfungsausschuß kann aber dabei ohne neuerliche Prüfung von seinem Beschluß über das Ergebnis der schriftlichen Prüfung und von der dabei nach § 19 Abs. 4 DVStBerG gebildeten Gesamtnote ausgehen. Die Richtigkeit dieser Auffassung ist auch aus § 22 Satz 2 DVStBerG zu entnehmen, wonach die Prüfung bestanden ist, wenn die durch 2 geteilte Summe aus den Gesamtnoten für die schriftliche und die mündliche Prüfung die Zahl 4,15 nicht übersteigt. Diese Regelung geht offensichtlich von der Übernahme der vom Prüfungsausschuß nach § 19 Abs. 4 DVStBerG für die schriftliche Prüfung gebildeten Gesamtnote aus.
Die Vorentscheidung war daher auf die Revision der OFD aufzuheben. Da sich das FG - von seiner Rechtsauffassung aus zu Recht - nicht mit dem übrigen gegen die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung gerichteten Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt hat und daher entsprechende tatsächliche Feststellungen fehlen, war dem erkennenden Senat eine Entscheidung in der Sache selbst verwehrt. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 73029 |
BStBl II 1979, 207 |
BFHE 1979, 502 |