Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrügen; Begründung des FG-Urteils; Geschäftsführerhaftung; Ermessensentscheidung; Zahlungen Dritter auf die Steuerschuld
Leitsatz (NV)
1. Zu den Revisionsrügen der mangelnden Sachaufklärung und der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO durch das FG.
2. Zu den Anforderungen an die Begründung des FG-Urteils.
3. Die formelle Wirksamkeit eines Haftungsbescheids hängt nicht davon ab, daß er begründet ist.
4. Zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH wegen Nichtabführung der Lohnsteuer - Pflichtverletzung, Verschulden - und zur Begründung der bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zu treffenden Ermessensentscheidung (Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung).
5. Zahlungen Dritter auf die Steuerschuld, die nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zum Haftungsbescheid erfolgen, berechtigen die Steuergerichte nicht zur Herabsetzung des Haftungsbetrages.
Normenkette
AO §§ 103, 109 Abs. 1, § 118 S. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH. Neben ihm hatte die GmbH einen weiteren Geschäftsführer bestellt. Beide Geschäftsführer waren nach dem Gesellschaftsvertrag für die kaufmännischen Belange der GmbH in gleicher Weise verantwortlich. Im Jahre 1975 geriet die Gesellschaft in finanzielle Schwierigkeiten, die im Herbst dieses Jahres zu Verhandlungen mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) über die Tilgung der bis dahin aufgelaufenen Steuerrückstände führten. Am 28. April 1976 stellte die GmbH den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens, der vom Amtsgericht mangels Masse abgelehnt wurde. Die Gesellschaft wurde anschließend wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.
Mit Bescheid vom 10. August 1976 nahm das FA den Kläger ebenso wie den Mitgeschäftsführer für von der GmbH angemeldete, aber nicht abgeführte Lohnsteuer für Anmeldezeiträume zwischen Mai 1975 und März 1976 als Haftungsschuldner nach den §§ 103, 109 der Reichsabgabenordnung (AO) in Anspruch. Mit der Einspruchsentscheidung vom 9. September 1977 beschränkte das FA die Haftung auf die rückständige Lohnsteuer für die Monate Mai bis August, November und Dezember 1975 sowie Januar bis März 1976 in Höhe von insgesamt 37 772,72 DM.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Lohnsteuerhaftungsschuld auf insgesamt 20 712,23 DM für rückständige Steuerbeträge für November und Dezember 1975 sowie für die Monate Januar bis März 1976 herab und wies die Klage im übrigen ab. Zur Begründung führte es aus:
Den Kläger habe als gesetzlichen Vertreter der GmbH die dieser als Arbeitgeberin obliegende Verpflichtung getroffen, die Lohnsteuer für Rechnung der Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und an das FA abzuführen. Da die Verletzung dieser Verpflichtung nicht bestritten werde und die Akten keine gegenteiligen Anhaltspunkte enthielten, bedürfe es insoweit keiner weiteren Ausführungen.
Die mit der Inanspruchnahme des Klägers getroffene Ermessenentscheidung des FA sei jedoch insoweit fehlerhaft, als dieses nicht berücksichtigt habe, daß im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung die Lohnsteuerschulden teilweise getilgt und teilweise nur deshalb nicht getilgt gewesen seien, weil das FA bei der Verbuchung eingehender Beträge gegen die Vorschrift des § 123 Abs. 2 AO verstoßen habe. So habe das FA Zahlungen von Drittschuldnern in Höhe von insgesamt 4 265,84 DM, die zunächst auf Lohnsteuerschulden der GmbH (Mai bis Juli 1975) gebucht worden seien und diese insoweit bereits getilgt hätten, später zu Unrecht und ohne Rechtswirkung auf Umsatzsteuer umgebucht. Weiterhin habe das FA von der GmbH am 17. und am 30. September 1975 ohne Tilgungsbestimmung geleistete Zahlungen von 18 000 DM entgegen der gesetzlichen Regelung des § 123 Abs. 2 AO nicht zur Tilgung der damals offenen Steuerabzugsbeträge verwendet. Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ohne Berücksichtigung dieser fehlerhaften Verbuchung sei ermessensfehlerhaft. Bei richtiger Verbuchung wären auf jeden Fall die Lohnsteuerrückstände für Juni bis August 1975, soweit sie auch später objektiv nicht getilgt worden seien, in Höhe von noch insgesamt 12 794,65 DM entfallen. Die - rechnerisch richtige - Haftungssumme von 37 772,72 DM vermindere sich somit um die Beträge für Mai bis August 1975 von insgesamt 17 060,49 DM auf 20 712,23 DM.
Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung weitere Zahlungen von 5 000 DM (2. Dezember 1975), 6 601 DM (24. Oktober 1975) und 5 240 DM (20. November 1974) geltend gemacht habe, habe er keine Verfahrensfehler des FA bei der Verbuchung vorgetragen. Derartige Umstände seien auch aus den Akten nicht ersichtlich. Es sei deshalb davon auszugehen, daß diese Beträge die streitigen Steuerschulden nicht getilgt hätten und die Schulden insoweit auch nicht wegen Verfahrensfehlern ungetilgt geblieben seien.
Eine weitere Minderung der Lohnsteuerrückstände könne auch nicht in Höhe der von der Firma H als Drittschuldnerin am 30. Juli 1976 geleisteten Zahlung von 3 252,52 DM, die das FA auf Umsatzsteuer verbucht habe, berücksichtigt werden. Denn bei dieser Verbuchung habe das FA keinen Ermessenfehlgebrauch im Rahmen seines Bestimmungsrechts gemäß § 123 Abs. 3 AO begangen. Da es sich um einen Zahlungseingang im Rahmen der Zwangsvollstreckung gehandelt habe, habe es nach dieser Vorschrift die Reihenfolge der Tilgung bestimmen können. Es erscheine nicht fehlerhaft, daß es zu diesem Zeitpunkt den Betrag auf Umsatzsteuer gebucht habe. Denn der die Zahlung auslösende Pfändungs- und Überweisungsbeschluß habe als Steuerschulden der GmbH sowohl Lohnsteuer- wie Umsatzsteuerbeträge angegeben. Das FA habe den Betrag auch nicht offensichtlich deshalb auf Umsatzsteuer gebucht, um sich eine Haftungsinanspruchnahme wegen Lohnsteuer weiterhin offenzuhalten. Denn die Aufhebung des Haftungsbescheids gegen den Kläger wegen Umsatzsteuer sei erst ein Jahr später im Rahmen der Einspruchsentscheidung verfügt worden. Andererseits habe der Kläger zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs auch noch nicht geltend gemacht, daß eingehende Zahlungen in erster Linie zur Deckung der Lohnsteuerschulden verwendet werden sollten. Sein diesbezügliches Schreiben datiere erst vom 17. September 1976.
Entgegen der Auffassung des Klägers vermindere sich die Haftungssumme auch nicht um einen Betrag von 3 888,83 DM, den die Firma K erst im Klageverfahren für die GmbH an das FA gezahlt und den dieses ebenfalls auf Umsatzsteuer verbucht habe. Da sich die Ermessensüberprüfung des Gerichts (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) auf die Rechtmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsakts im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung beschränke, betreffe der Einwand, daß Teilbeträge der Steuerschuld nach Ergehen der Einspruchsentscheidung gezahlt seien, nicht die Rechtmäßigkeit der Festsetzung. Das FG könne deshalb Zahlungseingänge nach Ergehen der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigen. Das gelte um so mehr, als das Gericht nicht in der Lage sei, den Tilgungsstand auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zuverlässig zu ermitteln.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht geltend, das FG habe seine sich aus § 76 Abs. 1 und 2 FGO ergebende Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt und den Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt. Deshalb habe es nicht berücksichtigt, daß der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung an formellen Mängeln litten. Im Haftungsbescheid fehle eine Begründung dafür, worin das FA sein - des Klägers - schuldhaftes Verhalten sehe. Der Bescheid führe lediglich aus, er hafte nach § 109 AO für die Steuerrückstände der GmbH, weil er als Geschäftsführer seiner Verpflichtung zur Entrichtung der Steuern gemäß § 103 AO nicht nachgekommen sei. Das reiche als Begründung seines Verschuldens nicht aus. Ferner fehle in dem Bescheid auch jeder Hinweis auf eine Ermessensbetätigung der Verwaltung. Diese Mängel seien durch die Einspruchsentscheidung nicht geheilt worden. Das FA habe in dieser zwar ein schuldhaftes Handeln bejaht, jedoch offengelassen, ob es ein vorsätzliches, grob fahrlässiges oder leicht fahrlässiges Verhalten annehme. Der Grad des Verschuldens des Haftenden sei aber im Hinblick darauf, daß seine Inanspruchnahme eine Ermessensentscheidung darstelle, von wesentlicher Bedeutung. Wenn auch für die Haftung nach § 109 Abs. 1 AO leichte Fahrlässigkeit ausreiche, so sei doch zu berücksichtigen, daß bei dieser Verschuldensform die Inanspruchnahme des Haftenden sehr viel eher ermessenfehlerhaft sein könne als bei grober Fahrlässigkeit. Die Ermessensentscheidung über die Frage, ob der Haftende in Anspruch genommen werden solle, könne nur ordnungsgemäß getroffen werden, wenn sich die Behörde darüber Klarheit verschafft habe, welche Schuldform bei diesem vorliege. Im Streitfall sei die Ermessensausübung fehlerhaft, weil der für das Ermessen maßgebende Sachverhalt nicht zuvor einwandfrei und erschöpfend aufgeklärt worden sei. Da sich auch aus der Einspruchsentscheidung keine Anhaltspunkte für die Vornahme einer Ermessensbetätigung des FG ergäben, sei davon auszugehen, daß ein Ermessensfehlgebrauch in der Form der Nichtausübung des Ermessens vorliege. Im übrigen sei ihm auch vor Erlaß des Haftungsbescheids kein rechtliches Gehör gewährt worden.
Auch das FG habe nach dem Prinzip der Amtsermittlung die Schuldfrage selbst prüfen müssen, da die Schuld eine Voraussetzung der von ihm bejahten Haftung sei. Es habe jedoch im Urteil lediglich Feststellungen zur Pflichtverletzung getroffen und dann ausgeführt, dazu bedürfe es keiner weiteren Ausführungen, da die Verletzung dieser Verpflichtung nicht bestritten werde. Das sei zwar richtig; eine Haftungsinanspruchnahme komme aber nur bei schuldhafter Pflichtverletzung in Betracht. Er habe sowohl im Einspruchs- als auch im Klageverfahren sein Verschulden mit der Begründung der faktischen Unmöglichkeit anderen Verhaltens bestritten.
Die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung im Streitfall verletze materielles Recht. Zwar gehe der Bundesfinanzhof (BFH) davon aus, daß derjenige schuldhaft handele, der es trotz seiner Kenntnis von den fehlenden Mitteln unterlasse, die Löhne entsprechend zu kürzen und die darauf entfallende Lohnsteuer an das FA abzuführen. Er habe sich aber zur fraglichen Zeit in einer besonderen Zwangslage befunden, die zur Verneinung der Schuld führen müsse. Denn im Falle der Kürzung der Arbeitslöhne hätten die Arbeitnehmer die Arbeit niedergelegt und später habe er die Lohnsteuer nicht mehr abführen können, weil das FA Forderungen der GmbH gepfändet habe und ihm daher die daraus erwarteten Zahlungseingänge nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Von einem Bürger und auch von dem Geschäftsführer einer GmbH könne aber aufgrund der gesetzlichen Vorschriften kein Verhalten verlangt werden, das er subjektiv wie objektiv nicht erbringen könne. Aus diesem Grunde sei bei verfassungskonformer Auslegung der Haftungvorschriften sein Verschulden zu verneinen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den Haftungsbescheid in der Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die von dem Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Die Rüge, das FG habe den Sachverhalt entgegen § 76 Abs. 1 FGO nicht genügend aufgeklärt, wäre, da das Übergehen bestimmter Beweisanträge nicht behauptet worden ist, nur begründet, wenn das FG Tatsachen oder Beweismittel außer acht gelassen hätte, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Ergebnis der Verhandlungen aufdrängen mußten (vgl. BFH-Urteile vom 3. November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, 551, BStBl II 1977, 159, 160, und vom 7. August 1974 II R 177/73, BFHE 113, 540, 545, BStBl II 1975, 119, 121; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 76 FGO Tz. 7 Abs. 3). Ein solcher Verfahrensfehler kann weder darin gesehen werden, daß das FG in seinem Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen hat, von welcher Verschuldensform und welchen Ermessenerwägungen das FA bei seiner Inanspruchnahme des Klägers durch den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung ausgegangen ist, noch darin, daß in dem angefochtenen Urteil eigene Feststellungen des FG zum Verschulden des Klägers fehlen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, daß er Beweisanträge zu diesen Fragen gestellt habe. Das Gericht braucht auch nicht ohne bestimmten Anlaß allen möglichen Fragen von sich aus nachzugehen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 76 Anm. 2 Abs. 6). Im Streitfall bestand insbesondere deshalb kein Anlaß zur weiteren Erforschung des Sachverhalts in den von der Revision beanstandeten Punkten, weil der Kläger nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil die Klage im wesentlichen damit begründet hatte, daß die Lohnsteuerhaftungsschuld teilweise durch Zahlungen erloschen bzw. die Tilgung nur aufgrund fehlerhafter Verbuchungen nicht eingetreten sei. Aufgrund dieses Vorbringens hat das FG in seinem Urteil die Haftungsschuld erheblich herabgesetzt. Soweit der Kläger mit der Revision vorträgt, er habe im Klageverfahren sein Verschulden auch mit der Begründung bestritten, daß ihm ein anderweitiges Verhalten nicht möglich gewesen sei, betrifft dies eine Rechtsfrage, zu deren Beurteilung weitere Sachverhaltsfeststellungen nicht erforderlich waren. Für die angebliche Verletzung des § 76 Abs. 2 FGO - Belehrungspflicht durch den Vorsitzenden - hat der Kläger keine Gründe angegeben.
b) Soweit der Kläger mit der Behauptung, das FG habe den Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt, die Rüge einer Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO erhebt, ist auch diese nicht begründet. Nach dieser Vorschrift muß das Gericht seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legen. Das sind der Inhalt der Akten, die Parteibehauptungen, die Beweisergebnisse und auch offenkundige oder gerichtskundige Tatsachen (Gräber, a. a. O., § 96 Anm. 2). Es ist nicht ersichtlich, daß das FG bei seiner Entscheidung die Begründung des FA im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung zur Frage des Verschuldens des Klägers und zur Ermessenbetätigung der Behörde, die der Kläger nicht für ausreichend ansieht, unberücksichtigt gelassen hat, wenn auch ausdrückliche Feststellungen hierzu fehlen. Denn das Gericht hat den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung in Bezug genommen. Es hat ausgeführt, daß das FA den Kläger nach den §§ 103, 109 AO in Anspruch genommen hat und diese Entscheidung dem Grunde nach bestätigt.
2. Der Kläger macht mit der Revision ferner geltend, das Urteil des FG sei insbesondere hinsichtlich seines Verschuldens nicht ausreichend begründet. Fehlen in einem Urteil die Gründe, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, so liegt kein rügebedürftiger Verfahrensmangel, sondern ein materiellrechtlicher Fehler vor, der wegen der mangelnden Überprüfbarkeit der Entscheidung auch ohne Rüge zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (Gräber, a. a. O, § 96 Anm. 9). Das Gericht braucht aber bei seiner Urteilsbegründung nicht auf alle Einzelheiten einzugehen. Auch in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß der Kläger mit der Klagebegründung sein Verschulden bei der von ihm selbst eingeräumten Pflichtverletzung allenfalls nur beiläufig in Frage gestellt hat. Sein wesentliches Klagevorbringen, mit dem er Erfolg hatte und das vom FG umfassend gewürdigt worden ist, bezog sich dagegen auf die Frage, inwieweit die Lohnsteuerhaftungsschuld getilgt bzw. wegen fehlerhafter Verbuchung von Zahlungen nicht getilgt war.
Die Frage, ob die Vorentscheidung hinsichtlich des für die Haftung erforderlichen Verschuldens des Klägers ausreichend begründet ist, steht in engem Zusammenhang mit den materiellrechtlichen Voraussetzungen der Haftung. Der Senat gelangt für den Streitfall zu dem Ergebnis, daß die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Kläger materielles Recht nicht verletzt, eine ausdrückliche Begründung der Ermessensentscheidung des FA, den Kläger als Haftenden in Anspruch zu nehmen, nicht erforderlich war, und daß die Begründung des angefochtenen Urteils die Entscheidung über die Haftung des Klägers dem Grunde nach trägt.
3. a) Der angefochtene Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist nicht etwa wegen nicht ausreichender Begründung unwirksam. Die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts (vgl. jetzt § 121 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ist im wesentlichen ein Ausfluß des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und hat mit den formellen Anforderungen, die an den Inhalt eines Bescheids zu stellen sind, nichts zu tun (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 1981 VII R 3/79, BFHE 133, 163). Ein Bescheid ist deshalb grundsätzlich auch dann formell wirksam, wenn er gar nicht oder fehlerhaft begründet worden ist (vgl. § 127 AO 1977). Im übrigen reicht es auch, wenn die Begründung in der Einspruchsentscheidung nachgeholt wird (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO 1977). Das ist im Streitfall jedenfalls geschehen, wobei es für die formelle Wirksamkeit des Bescheids nicht darauf ankommt, ob die Begründung erschöpfend oder rechtlich zutreffend ist.
Auch die mangelnde Anhörung des Klägers vor Erlaß des Haftungsbescheids berührt dessen Wirksamkeit nicht. Da der Kläger die Möglichkeit hatte, seine Einwendungen gegen den Haftungsbescheid im Einspruchsverfahren geltend zu machen, ist ihm durch die Verwaltung in ausreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden.
b) Der Kläger hat die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Haftung erfüllt.
aa) Als Geschäftsführer der GmbH hatte er gemäß § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - (§ 103 AO) alle Pflichten zu erfüllen, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug oblagen, insbesondere bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer einzubehalten, diese dem FA anzumelden und sie an das FA abzuführen (§ 38 Abs. 3, § 41a des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1975). Für die im vorliegenden Revisionsverfahren streitigen Anmeldungs- und Abführungszeiträume November und Dezember 1975 und Januar bis März 1976 ist zwar die Lohnsteuer vom Arbeitslohn der Arbeitnehmer der GmbH einbehalten und angemeldet, nicht aber an das FA abgeführt worden. Dadurch sind Lohnsteueransprüche des FA verkürzt worden. Denn eine Steuerverkürzung im Sinne der Haftungsvorschrift des § 109 Abs. 1 AO, die auf vor dem 1. Januar 1977 begründete Haftungstatbestände Anwendung findet (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -), liegt vor, wenn die Steuerschuld nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig an die Finanzkasse abgeführt worden ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 522, m. w. N.). Der Kläger haftet nach dieser Vorschrift persönlich neben den Steuerpflichtigen, weil er die Steuerverkürzung durch schuldhafte Verletzung seiner Verpflichtung zur Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer bewirkt hat.
bb) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH - jedenfalls zu § 109 Abs. 1 AO - ist die Frage des Verschuldens bei der Abführung einbehaltener Lohnsteuer streng zu beurteilen (vgl. Urteile vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364, und in BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Der Grund dafür liegt im System des Lohnsteuerabzugsverfahrens begründet. Die abzuführende Lohnsteuer ist ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG 1975). Der Arbeitgeber zieht die Lohnsteuer gewissermaßen nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein. Es handelt sich für den Arbeitgeber wirtschaftlich um fremde Gelder. Er darf sie daher nicht sach- und zweckwidrig verwenden und nicht darauf vertrauen, daß im Zeitpunkt der Fälligkeit die Steuern aus anderen Mitteln entrichtet werden können. Die Nichtabführung der Lohnsteuer verletzt deshalb im allgemeinen ohne weiteres die Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Personen, dafür zu sorgen, daß die Steuer aus den von ihnen verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist regelmäßig schuldhaft. Denn die ordnungsmäßige Beachtung der gesetzlichen Vorschrift muß von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebs verlangt werden (BFH-Urteile vom 19. Februar 1953 IV 319/52 U, BFHE 57, 412, BStBl III 1953, 161, und vom 11. Mai 1962 VI 195/60 U, BFHE 75, 206, BStBl III 1962, 342). Für die Annahme des Verschuldens i. S. des § 109 AO reicht bereits ein leicht fahrlässiges Verhalten aus (BFH-Urteile vom 26. November 1980 I R 47/78, BFHE 132, 194, BStBl II 1981, 287, und in BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521).
Aus der vom Kläger selbst eingeräumten Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Abführung der Lohnsteuer ergibt sich nach den vorstehenden Ausführungen auch dessen Verschulden. Da nach der bis zum Inkrafttreten der AO 1977 bestehenden Rechtslage bereits eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung den Haftungstatbestand begründete, konnte das FA in der Einspruchsentscheidung das Verschulden des Klägers und seine Haftungsverpflichtung bejahen, ohne auf den Grad des Verschuldens näher einzugehen. Aus denselben Gründen brauchte auch das FG in seinem Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen zum Verschulden des Klägers zu treffen. Aus seinem Hinweis auf die unstreitig vorliegende Pflichtverletzung und der Bejahung der Haftung dem Grunde nach ergibt sich, daß das FG von einem schuldhaften Verhalten des Klägers ausgegangen ist.
cc) Soweit der Kläger sein Verschulden damit bestreitet, daß er sich in einer besonderen Zwangslage befunden habe, die ihm ein pflichtgemäßes Verhalten nicht ermöglicht habe, kann ihn dies nicht entlasten. Die GmbH befand sich seit mindestens Sommer 1975 in finanziellen Schwierigkeiten, die zu Rückständen bei den monatlich anzumeldenden und abzuführenden Steuern geführt hatten. Der Kläger hätte deshalb die Löhne für die im vorliegenden Verfahren noch streitigen Zeiträume - November 1975 bis März 1976 -, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichten, nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen dürfen und aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen müssen (BFHE 135, 416, 420, BStBl II 1982, 521; Beschluß des erkennenden Senats vom 12. Juli 1983 VII B 19/83, BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655; ebenso bis zum 31. Dezember 1974 ausdrücklich vorgeschrieben in § 30 Abs. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -). Dieser Verpflichtung ist er schuldhaft nicht nachgekommen. Das Risiko, daß die Arbeitnehmer bei Kürzung ihrer Löhne die Arbeit niederlegen würden und der Betrieb der GmbH so zum Stillstand kommen werde, mußte der Kläger eingehen. Denn ein nicht mehr zahlungsfähiges Unternehmen darf nicht einseitig auf Kosten des Fiskus am Leben gehalten werden.
Wenn der Kläger, wie sich aus seiner Revisionsbegründung ergibt, die Zahlung der Lohnsteuer in der Hoffnung auf spätere Zahlungseingänge bei der GmbH zurückgestellt hat, so ist er bereits damit das Risiko der persönlichen Haftung eingegangen. Denn die Haftung nach § 109 AO greift, wie oben ausgeführt, nicht nur ein, wenn die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis überhaupt nicht, sondern auch wenn sie nicht rechtzeitig, d. h. bei der einbehaltenen Lohnsteuer bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG 1975), erfüllt werden. Der Kläger hat damit den Tatbestand der nicht rechtzeitigen Abführung der Lohnsteuer sogar vorsätzlich verwirklicht. Angesichts der bestehenden Steuerrückstände mußte er jedenfalls ab November 1975 auch mit Forderungspfändungen des FA und somit damit rechnen, daß die GmbH über ihre Außenstände nicht mehr voll werde verfügen können.
Das FA war demnach berechtigt, den Kläger neben dem anderen Geschäftsführer der GmbH wegen der rückständigen Lohnsteuerschulden in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen (vgl. § 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, und BFH-Urteil vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138). Beide Geschäftsführer haften nach § 7 Abs. 1 StAnpG neben der GmbH, die vermögenslos ist, als Gesamtschuldner. Jeder von ihnen hat nach § 7 Abs. 3 Satz 1 StAnpG die ganze Leistung zu erbringen, wobei Zahlungen des einen Gesamtschuldners dem anderen zugute kommen (§ 7 Abs. 4 Satz 1 StAnpG).
c) Wie der Kläger zutreffend ausführt, handelt es sich bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 103, 109 AO Haftenden um eine nach § 118 AO zu treffende und der richterlichen Nachprüfung unterliegende (§ 102 FGO) Ermessensentscheidung. Ermessensentscheidungen der Verwaltung sind zu begründen; andernfalls sind sie im Regelfall fehlerhaft (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Das gilt jedoch nicht für Ermessensentscheidungen, deren Begründung auf der Hand liegt (vgl. auch § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Durch die im Rahmen des § 109 AO bei der Haftung zu treffende Rechtsentscheidung wird die Ermessensentscheidung (§ 118 AO) in gewisser Weise vorgeprägt. Bei schwereren Verschuldensformen als leichter Fahrlässigkeit kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat. Die Verwaltung braucht dann die die Ermessensentscheidung bestimmenden Erwägungen nicht ausdrücklich in den Bescheid oder die Einspruchsentscheidung aufzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
Nach dem mit den Feststellungen des FG nicht in Widerspruch stehenden Vorbringen des Klägers lassen der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen des FA bei seiner Inanspruchnahme nicht erkennen. Da bei einer durch den Haftungsschuldner vorsätzlich begangenen Steuerverkürzung - dieser Verschuldensvorwurf trifft den Kläger hinsichtlich der nicht fristgerechten Abführung der Steuerabzugsbeträge - dessen Inanspruchnahme regelmäßig gerechtfertigt ist, konnte das FA im Streitfall davon absehen, die Abwägung des Für und Wider einer Inanspruchnahme im Bescheid zum Ausdruck zu bringen. Aus der mangelnden Begründung der Ermessensentscheidung kann nicht hergeleitet werden, daß die Verwaltung ihr Ermessen rechtsfehlerhaft nicht ausgeübt habe.
4. Das FG hat die Ermessensentscheidung des FA überprüft (§ 102 FGO) und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die Inanspruchnahme des Klägers insoweit ermessenfehlerhaft sei, als bestimmte Zahlungen zugunsten der GmbH und ihre fehlerhafte Verbuchung durch das FA nicht berücksichtigt worden seien. Soweit das FG mit dieser Begründung die Haftung des Klägers auf die rückständige Lohnsteuer für die Anmeldungszeiträume November 1975 bis März 1976 beschränkt hat, unterliegt die Vorentscheidung nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht, da nur der Kläger Revision eingelegt hat und eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu dessen Nachteil nicht möglich ist (vgl. Gräber, a. a. O., § 96 Anm. 8B).
Der erkennende Senat folgt dem FG darin, daß eine weitere Herabsetzung des Haftungsbetrages im Hinblick auf sonstige Zahlungen der GmbH und Leistungen von Drittschuldnern, auf die sich der Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr berufen hat, nicht in Betracht kommt. Das gilt zunächst für die im Klageverfahren geltend gemachten Zahlungen von 5 000 DM, 6 601 DM und 5 240 DM, die nicht zur Tilgung von Lohnsteuerrückständen geführt haben. Auf die Feststellung der Vorinstanz, daß hinsichtlich dieser Beträge Verbuchungsfehler weder vorgetragen noch ersichtlich seien, wird Bezug genommen. Zutreffend hat das FG auch ausgeführt, daß hinsichtlich der im Vollstreckungsverfahren erfolgten Zahlung von 3 252,52 DM durch die Drittschuldnerin H am 30. Juli 1976, die auf Umsatzsteuer verbucht worden ist, das FA gemäß § 123 Abs. 3 AO die Reihenfolge der Tilgung bestimmen konnte und ein Ermessensfehler insoweit nicht ersichtlich sei. Schließlich entspricht es auch der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß Zahlungen Dritter auf die Steuerschuld, die nach Ergehen der Einspruchsentscheidung erfolgen, im Gegensatz zu den Zahlungen vor dem Zeitpunkt des Ergehens der letzten Verwaltungsentscheidung die Steuergerichte nicht dazu berechtigen, den Haftungsbetrag herabzusetzen (Urteile vom 6. Dezember 1979 V R 125/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103, und in BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58). Die von der Firma K erst während des Klageverfahrens zugunsten der GmbH gezahlten 3 888,83 DM mußten deshalb unabhängig von der Richtigkeit ihrer Verbuchung auf rückständige Umsatzsteuer im vorliegenden Verfahren wegen Lohnsteuerhaftung unberücksichtigt bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 413762 |
BFH/NV 1987, 354 |