Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Berufsrecht
Leitsatz (amtlich)
Wer einen in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 1 EStG bezeichneten Beruf ausübt, muß, wenn er Hilfskräfte beschäftigt, selbst nicht nur leitend, sondern auch hinsichtlich der für den Beruf typischen Tätigkeit eigenverantwortlich mitwirken. Die Begriffe "eigenverantwortlich" in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 3 EStG und in den §§ 22, 24 des Steuerberatungsgesetzes decken sich nicht.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; StBerG § 22/1, § 24/1, § 24 Abs. 2
Tatbestand
Der Bf. ist Steuerbevollmächtigter. Er betreibt eine Buchstelle, die im Jahre 1960 rund 800 vorwiegend bäuerliche Betriebe steuerlich betreute und auch die Buchführungsarbeiten durchführte. Im Jahre 1960 waren 53 Personen in dieser Buchstelle beschäftigt, darunter 11 Angestellte im Außendienst, 24 Angestellte im Innendienst, 7 Heimarbeiter und 11 Lehrlinge. Jeder Angestellte im Außendienst und der Bf. selbst betreuten je etwa 70 Betriebe.
Das Finanzamt, das den Bf. wegen Vervielfältigung seiner Arbeitskraft stets als gewerbesteuerpflichtig betrachtet hatte, stellte in dem Gewerbesteuermeßbescheid für 1958 zum Zwecke der Vorauszahlungen für die Erhebungszeiträume 1960 und folgende den einheitlichen Steuermeßbetrag auf 1.540 DM fest.
Nach Verkündung des Steueränderungsgesetzes (StändG) vom 30. Juli 1960 (BGBl 1960 I S. 616, BStBl 1960 I S. 514) beantragte der Bf., den einheitlichen Steuermeßbetrag für die Vorauszahlungen ab 1960 auf 0 DM festzusetzen, weil er auf Grund des neugefaßten § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1960 als Freiberufler anzusehen sei. Er sei auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig.
Das Finanzamt lehnte den Antrag den Antrag des Bf. ab. Auch die Beschwerde des Bf. blieb ohne Erfolg.
Der Bf. legte Berufung ein. Bei seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht erklärte er u. a. folgendes. Die gesamte Organisation der Buchstelle liege in seinen Händen. Soweit es sich um fachlich qualifizierte Mitarbeiter handele - was bei sämtlichen Außenangestellten zutreffe -, seien sie in ihren Arbeitsbereichen zwar weitgehend eigenverantwortlich tätig. Andernfalls wäre die Beschäftigung qualifizierter Hilfskräfte sinnlos. Ihre Eigenverantwortlichkeit sei jedoch nicht unbegrenzt. Er gebe ihnen bindende Anweisungen hinsichtlich der Ausübung ihrer Tätigkeit. Insbesondere bestimme er die Art der zu verwendenden Formulare, das anzuwendende Buchführungssystem, die Art der Abschlüsse und die hierzu notwendigen Voraussetzungen. In Zweifelsfällen holten die Außenangestellten seine Entscheidung ein. überdies halte er regelmäßig jeden Monat - meistens an einem Sonnabendvormittag in der zweiten Monatshälfte - Dienstbesprechungen ab, in denen er entscheide, wie auf Grund neuer Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen und in erstmals auftretenden Zweifelsfragen zu verfahren sei. Ebenso entscheide er bei dieser Gelegenheit die von den Außenangestellten aufgeworfenen Fragen aus ihrer Praxis. Zwar kenne er nicht die Betriebe aller Auftraggeber aus eigener Anschauung. Ihm seien jedoch seine sämtlichen Auftraggeber persönlich bekannt. Sie suchten ihn auch häufig in seiner Praxis auf. Die Aufträge würden der Buchstelle nicht im Hinblick auf die Fähigkeiten des jeweiligen Außenangestellten, sondern allein auf Grund des Vertrauens in seine eigene fachliche Qualifikation erteilt. Die Aufgabenbereiche der 12 Außendienstgruppen, von denen er selbst eine leite, unterschieden sich ihrer Art nach nicht voneinander. Der Außendienst werde jeweils in den ersten 14 Tagen jeden Monats erledigt. In jeder Gruppe würden durchschnittlich etwa sechs Betriebe täglich aufgesucht, wobei auf jeden Betrieb eine Arbeitszeit von rund einer Stunde entfalle. Er selbst versehe den Außendienst für seine Gruppe genauso wie die übrigen 11 Außenangestellten. Morgens gegen 6 Uhr fahre er zu den Betrieben und kehre gegen 17 Uhr in die Praxis zurück. Bis zum Büroschluß um 17,30 Uhr erledige er die Post und stehe dann seinen Außenangestellten zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung. In der zweiten Monatshälfte mache er - wie die Außenangestellten - die Abschlüsse für seine Betriebe, kontrolliere die übertragungen der Grundaufzeichnungen durch den Innendienst fertige Steuererklärungen an und nehme an Betriebsprüfungen und Schlußbesprechungen teil. Außerdem bereite er sich für die Dienstbesprechungen vor und entscheide, in welchen Fällen Rechtsmittel eingelegt werden sollten. Jedes Rechtsmittel werde mit ihm besprochen. Die Rechtsmittelschriftsätze unterzeichne er selbst.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus, nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung habe die Kammer zwar keine Bedenken, die leitende Tätigkeit des Bf., so wie sie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 373/60 U vom 25. Oktober 1963 (BStBl 1963 III S. 595, Slg. Bd. 77 S. 750) definiert sei, zu bejahen. Dagegen sei der Bf. nicht auch eigenverantwortlich tätig. Daß der Bf. seinen Auftraggebern gegenüber zivilrechtlich persönlich verantwortlich sei, reiche nicht aus. Eine eigenverantwortliche Tätigkeit könne nur angenommen werden, wenn der Buchstelleninhaber seine Arbeitskraft in einer Weise einsetze, die es ihm tatsächlich ermögliche, uneingeschränkt die fachliche Verantwortung auch für die von seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen zu übernehmen. Das setze zwar nicht voraus, daß er in jedem Einzelfalle selbst tätig werde; der Berufsträger müsse jedoch tatsächlich auf die Bearbeitung der einzelnen Aufträge in einem angemessenen Rahmen Einfluß nehmen können, der dem Berufsbild der eigenverantwortlichen Tätigkeit eines Freiberuflers entspreche. Das bedinge, daß er über die für die Bearbeitung der jeweiligen Aufträge wesentlichen Verhältnisse unterrichtet sei. Daran fehle es. Der Bf. nehme selbst die gleiche Arbeitslast auf sich wie jeder der 11 im Außendienst tätigen Angestellten. Er sei daher schon zeitlich nicht in der Lage, daneben noch deren Tätigkeit entscheidend zu beeinflussen. Inwieweit ihm Zweifelsfälle und Fälle grundsätzlicher Bedeutung, bei denen er sich die Entscheidung vorbehalten habe, vorgelegt wurden, hänge von der Beurteilung und Entschließung der weitgehend eigenverantwortlichen Mitarbeiter ab. Der Bf. selbst präge also dem Unternehmen nicht mehr den Stempel seiner Persönlichkeit auf.
Mit der Rb. trägt der Bf. vor, man könne die Gesetzesworte "leitend und eigenverantwortlich" nicht nebeneinander stellen; diese Begriffe bildeten ein einheitliches Merkmal, das gegeben sei, wenn der Steuerpflichtige die Betätigung seiner Helfer organisiere und in allen grundsätzlichen und zweifelhaften Fragen die notwendigen Entscheidungen selbst treffe. Der vom Bundesfinanzhof in dem Urteil IV 373/60 U entschiedene Fall eines Arztes könne mit dem Fall eines Steuerbevollmächtigten nicht verglichen werden, weil zwischen Arzt und Patient ein persönliches Vertrauensverhältnis besonderer Art bestünde. Einen Rechtsanwalt, zu dem ein Vergleich näher liege, würde man auch nicht für gewerbesteuerpflichtig halten, wenn er z. B. das Mahnverfahren eines größeren Unternehmens durch Angestellte erledigen lasse. Was bei einem Steuerbevollmächtigten unter dem Begriff "eigenverantwortlich" zu verstehen sei, ergebe sich aus den §§ 22, 24 des Steuerberatungsgesetzes vom 16. August 1961 - StBerG - (BGBl 1961 I S. 1301). Nach § 22 StBerG müsse der Beruf eigenverantwortlich ausgeübt werden. Eine gewerbliche Tätigkeit sei mit diesem Beruf unvereinbar. Dem § 24 Abs. 2 StBerG sei zu entnehmen, daß eine eigenverantwortliche Tätigkeit dann nicht mehr vorliege, wenn sich der Steuerpflichtige an Weisungen zu halten habe, durch die ihm die Freiheit zu pflichtmäßigem Handeln im Sinne des § 22 des Gesetzes genommen werde. Er könne sich nicht auf Weisungen anderer Personen berufen, um sein berufliches Verhalten zu entschuldigen. Seine Berufspflichten gingen den Weisungen seiner Auftraggeber vor. Er habe seine Mitwirkung zu versagen, wenn unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt würden. Es sei ihm nicht erlaubt, Wettbewerb zu treiben und andere Berufsangehörige zu unterbieten. Die Wahrnehmung des fremden Interesses sei hauptsächliche Verpflichtung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Das Finanzgericht stützt seine Entscheidung auf das Urteil des Senats IV 373/60 U. Es ist dem Bf. zuzugeben, daß an die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit nach der Art des freien Berufes verschieden hohe Anforderungen zu stellen sind. Es ist auch richtig, daß es nicht allein auf die Zahl der Arbeitskräfte ankommt. Ein freiberuflich Tätiger, der die Erledigung weitgehend mechanischer Arbeiten (Schreiben, Rechnen, Versand und Mahnungen) Hilfspersonen überläßt, wird auch dann nicht Gewerbetreibender, wenn er eine sehr hohe Zahl solcher Hilfskräfte beschäftigt. Hier tritt (und entstand auch bei der sogenannten Vervielfältigungstheorie) die Frage nach der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht auf. Sobald aber die Aufgaben, die die eigentliche unmittelbar in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG bezeichnete Tätigkeit ausmachen, auf andere übertragen werden, ist erforderlich, daß diese Mitarbeiter nicht nur überwacht werden, sondern daß auch deren Tätigkeit den Stempel der Eigenpersönlichkeit des Berufstätigen trägt.
Dem Bf. kann nicht gefolgt werden, wenn er meint, das Gesetz habe nicht die Begriffe "leitend" und "eigenverantwortlich" nebeneinanderstellen wollen. Vielmehr sollte gerade durch die Hinzufügung des Begriffs der Eigenverantwortlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, daß der Gesetzgeber grundsätzlich bei dem geschichtlich entstandenen Begriff des Freiberuflers verbleibt, dessen Tätigkeit durch den unmittelbaren, persönlichen und deshalb individuellen Einsatz und den eigenen Kontakt mit den Klienten sein besonderes Gepräge erhält. Diesen Charakter verliert eine Tätigkeit aber im selben Masse, wie der unternehmerische und organisatorische Teil der Tätigkeit zunimmt und nicht mehr die eigene Leistung des Freiberuflers, sondern die Bereitstellung von anderen Kräften, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeit übernehmen, in den Vordergrund tritt. Zwar mag auch in solchen Fällen ein Unternehmen weitgehend von der Persönlichkeit geprägt sein, die es ins Leben rief. Jedoch verselbständigt sich dieses Unternehmen mit wachsendem Umfang, so daß seine Leistungen nicht mehr als Leistungen des Leiters, sondern als solche des Unternehmens in Erscheinung treten. Dann liegt aber auch im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG n. F. keine Tätigkeit des Leiters, sondern des Unternehmens vor.
Bei einem Steuerbevollmächtigten steht die Beratung in Steuerangelegenheiten im Vordergrund. Alle betrieblichen Vorgänge können für den Steuerpflichtigen erhebliche steuerliche Folgen haben. Ihre Gestaltung nach sachverständigem Rat ist deshalb wichtig. Es bieten sich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Das Steuerrecht ist reich an Zweifelsfragen. Eine umfassende sachgerechte Beratung ist daher das, was der Klient des Steuerbevollmächtigten sucht. Wie der Bf. selbst vorgetragen hat, kommt es schon bei dem Buchungsvorgang auf die richtige Gestaltung an. Der Klient möchte hier die Ansicht des Berufstätigen selbst, nicht die des von diesem bereitgestellten Substituten hören.
Der Begriff der eigenverantwortlichen Tätigkeit mag für die verschiedenen Berufsgruppen enger oder weiter ausgelegt werden können. Es gibt indessen keinen besonderen, im StBerG definierten Begriff für die steuerberatenden Berufe, wie der Bf. meint. Daß die Begriffe im Einkommensteuerrecht und im StBerG verschieden sind, zeigt sich schon darin, daß nach §§ 23, 24 StBerG auch Angestellte "eigenverantwortlich" tätig sein, dagegen nicht einen freien Beruf ausüben können.
Das Finanzgericht hat daher seiner Entscheidung eine Begriffsbestimmung zugrunde gelegt, die von Rechtsirrtum unbeeinflußt ist. Ob in diesem Sinne eine eigenverantwortliche Tätigkeit vorliegt, ist weitgehend eine Frage der Tatsachenwürdigung. Das Finanzgericht hat den Sachverhalt einwandfrei festgestellt. Der von ihm aus dem Sachverhalt gezogene Schluß ist möglich. Ein Verstoß gegen Erfahrungssätze oder die Denkgesetze liegt nicht vor. Der Senat ist daher an diese Feststellungen gebunden (§§ 288, 296 AO).
Da in dem Betrieb des Bf. nach dessen eigenen Ausführungen Steuerberatung und Buchführung eng miteinander verknüpft sind, begegnet es keinen Bedenken, daß die Vorinstanzen die gesamte Tätigkeit des Steuerpflichtigen als gewerbliche angesehen haben (vgl. hierzu das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 394/58 U vom 30. August 1962, BStBl 1963 III S. 42, Slg. Bd. 76 S. 116).
Fundstellen
Haufe-Index 411736 |
BStBl III 1965, 557 |
BFHE 1966, 154 |
BFHE 83, 154 |