Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungen zur Abwendung eines Vermächtnisanspruchs; zur Ablösung eines Wohnungsrechts übernommene Leibrente
Leitsatz (NV)
1. Zahlungen des Erben zur Abwendung des Anspruchs eines Vermächtnisnehmers führen nicht zu Anschaffungskosten der Wirtschaftsgüter des Nachlasses.
2. Der Kapitalwert laufender Zahlungen zur Ablösung des Wohnungsrechts eines Vermächtnisnehmers stellt -- nachträgliche -- Anschaffungskosten des belasteten Grundstücks dar.
3. Der Ertragsanteil einer zur Ablösung des Wohnungsrechts an einem Mietwohngrundstück übernommenen Leibrente ist als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG §§ 21, 9 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1, 7, § 7 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a; BewG § 14 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger hat im Jahre 1980 von seinem Vater ein Mehrfamilienhaus geerbt. Der Erblasser hatte im Jahre 1979 in einem Erbvertrag seiner Lebensgefährtin ein Vermächtnis ausgesetzt, wonach diese nach seinem Ableben die in der ersten Etage des Mehrfamilienhauses gelegene Wohnung als Eigentumswohnung oder einen entsprechenden Betrag ausgezahlt erhalten sollte, wenn die Bildung von Wohnungseigentum nicht möglich sein sollte. Im Hinblick auf dieses Vermächtnis traf der Kläger 1980 mit der Vermächtnisnehmerin eine notariell beurkundete Vereinbarung: Hiernach räumte der Kläger ihr ein lebenslängliches unentgelt liches Wohnungsrecht an der Wohnung in der ersten Etage des Mehrfamilienhauses ein, das im Grundbuch eingetragen wurde. Darüber hinaus zahlte der Kläger an die Vermächtnisnehmerin zur Abgeltung ihrer Ansprüche aus dem Erbvertrag einen Betrag in Höhe von 35 000 DM.
Im Jahre 1984 vereinbarten der Kläger und die Vermächtnisnehmerin die Löschung des Wohnungsrechts; der Kläger verpflichtete sich, als Gegenleistung an die Vermächtnis nehmerin nach deren Auszug lebenslänglich einen monatlichen Betrag von 500 DM zu zahlen.
Mit ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1984 und 1985 (Streitjahre) machten die Kläger nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe von 35 052 DM geltend, indem sie den Jahreswert der monatlichen Zahlungen an die Vermächtnisnehmerin (in Höhe von 6 000 DM) gemäß § 14 des Bewertungsgestezes (BewG) kapitalisierten. Entsprechend der in der allgemeinen Sterbetafel für die Vermächtnisnehmerin ausgewiesenen Lebenserwartung von acht Jahren beantragten die Kläger, auf die (nachträglichen) Anschaffungskosten Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von 12,5 v. H. zu gewähren. Ferner beanspruchten sie, einen Ertragsanteil in Höhe von 13 v. H. der ab März 1984 an die Vermächtnisnehmerin gezahlten monatlichen Berträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.
Bei den zunächst unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellten Veranlagungen erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) für 1984 die geltend gemachten Werbungskosten in vollem Umfang, für 1985 lediglich AfA auf die Anschaffungskosten in Höhe von 2,5 v. H. an. Mit den gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Steuerfestsetzungen vom 3. Dezember 1986 ließ das FA die beanspruchten Werbungskosten in vollem Umfang unberücksichtigt.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der die Kläger abweichend von ihrem bisherigen Begehren beantragten, die Barzahlung von 35 000 DM mit jährlich 2,5 v. H. (= 875 DM) abzuschreiben und die monatlichen Zahlungen zur Ablösung des Wohnungsrechts als negative Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen, hatte teilweise Erfolg. Das FG beurteilte sowohl die im Jahre 1980 für den Verzicht auf die Eigentumsübertragung an die Vermächtnisnehmerin geleistete Barzahlung des Klägers in Höhe von 35 000 DM wie auch die in Höhe von 35 052 DM kapitalisierten Rentenzahlungen des Klägers als (nachträgliche) Anschaffungskosten, von denen gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) AfA in Höhe von 2 v. H. (= 1 401 DM) zulässig seien.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 7 Abs. 1 und 4, 12 Nr. 2 EStG. Zu Unrecht habe das FG die Zahlungen des Klägers an die Vermächtnisnehmerin als Anschaffungskosten qualifiziert. Da der Kläger mit dem Erbfall (bereits) Eigentümer des Mehrfamilienhauses geworden sei, könne die Erfüllung des auf die Übertragung des Eigentums an der in der ersten Etage gelegenen Wohnung gerichteten Vermächtnisses als Nachlaßverbindlichkeit nicht zu einem Anschaffungsgeschäft führen; mithin stelle auch der vom Kläger im Jahre 1980 zur Vermeidung der Eigentumsübertragung gezahlte Betrag von 35 000 DM keine Anschaffungskosten dar. Da mit dem Wohnungsrecht der Vermächtnisnehmerin ursprünglich ein unentgeltliches Nutzungsrecht zugewendet worden sei, könnten die laufenden Zahlungen zur Ablösung dieses Nutzungsrechts auch nicht als Anschaffungskosten beurteilt werden.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Zu Recht sei das FG davon ausgegangen, daß der im Streitfall vorliegende Sachverhalt steuerrechtlich nicht anders behandelt werden dürfe, als wenn der Kläger zunächst das Eigentum an der in der ersten Etage des Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung an die Vermächtnisnehmerin übertragen und diese anschießend die Wohnung an den Kläger unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Wohnungsrechts veräußert hätte.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA geänderte Steuerbescheide erlassen. Es setzte dabei die rückwirkend erhöhten Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 8 Satz 1 EStG 1983/1985 i.d.F. des § 54 Abs. 1 EStG (Art. 1 Nr. 18 des Steueränderungsgesetzes -- StÄndG -- 1991) an und erklärte die Steuerfestsetzungen hinsichtlich einiger Besteuerungsgrundlagen für vorläufig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist hinsichtlich des Streitjahres 1984 begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und Entscheidung des Senats in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Hinsichtlich des Streitjahres 1985 ist die Revision zurückzuweisen, da sich die Vorentscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 126 Abs. 4 FGO).
I. Die während des Revisionsverfahrens erlassenen Änderungsbescheide sind auf den rechtzeitig gestellten Antrag der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens geworden (§§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO). Die Kläger haben zum Ausdruck gebracht, daß sie ihr bisheriges Begehren in der Sache nach wie vor unverändert weiter verfolgen, auch nachdem die Einkommensteuer für 1984 und 1985 wegen der rückwirkend erhöhten Kinderfreibeträge herabgesetzt wurde. Dieses Begehren ist zulässig (vgl. Senatsurteile vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89, BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589; vom 16. Februar 1993 IX R 63/88, BFHE 170, 543, BStBl II 1993, 659).
II. Zwar hat das Finanzgericht (FG) zutreffend den Kapitalwert der laufenden Zahlungen des Klägers zur Ablösung des Wohnungsrechts der Vermächtnisnehmerin als nachträgliche Anschaffungskosten des Mehrfamilienhauses behandelt. Zu Unrecht hat es jedoch einerseits auch den vom Kläger im Jahre 1980 an die Vermächtnisnehmerin gezahlten Betrag in Höhe von 35 000 DM als Anschaffungskosten beurteilt, andererseits den Ertragsanteil der an die Vermächtnisnehmerin gezahlten Leibrente nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führt die Belastung des Erben mit einem Vermächtnis nicht zu Anschaffungskosten der Wirtschaftsgüter des Nachlasses (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392). Die Erfüllung eines Vermächtnisses berührt nicht die durch den Erbfall bewirkte Zuordnung des rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums an den Nachlaßgegenständen; sie stellt daher kein entgeltliches Anschaffungsgeschäft, sondern die Begleichung einer durch den Erbfall bedingten Nachlaßverbindlichkeit dar (Senatsurteil vom 28. April 1992 IX R 178/88, BFH/NV 1992, 658).
Das gleiche gilt für solche Zahlungen des Erben, die einer -- vollständigen oder teilweisen -- Abwendung des Anspruchs eines Vermächtnisnehmers dienen. Auch derartige Aufwendungen sind nicht auf den Erwerb von Nachlaßgegenständen gerichtet und können daher nicht als Anschaffungskosten des Erben angesehen werden; sie dienen vielmehr -- im Wege eines Surrogats -- ebenfalls lediglich der Erfüllung einer Nachlaßverbindlichkeit.
b) Mit diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung insoweit unvereinbar, als das FG die Zahlung des Klägers an die Vermächtnisnehmerin im Jahre 1980 als Anschaffungskosten qualifiziert hat.
Der Kläger hat den Betrag von 35 000 DM aufgewendet, damit die Vermächtnisnehmerin auf die Übertragung des Eigentums an der Wohnung in der ersten Etage des Mehrfamilienhauses verzichtete und sich statt dessen mit der Einräumung lediglich eines lebenslänglichen, unentgeltlichen Wohnungsrechtes einverstanden erklärte. Somit dienten die Aufwendungen des Klägers der Abwendung des Eigentumsübertragungsanspruchs der Vermächtnisnehmerin; sie waren ebenso durch die freiwillige Zuwendung von Todes wegen des Erblassers veranlaßt, wie es eine Zahlung des Klägers an die Vermächtnisnehmerin in dem in dem Erbvertrag vorgesehenen Fall der Unmöglichkeit der Bildung von Wohnungs eigentum gewesen wäre.
Entgegen der Ansicht des FG ist es gerechtfertigt, den Streitfall im Vergleich zu einer Fallgestaltung, bei der der Vermächtnisnehmerin zunächst das Wohnungseigentum eingeräumt und dieses anschließend an den Erben veräußert wird, steuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilen; es handelt sich hierbei nämlich um zwei sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich nicht vergleichbare Sachverhalte. Während im Streitfall der Kläger das mit dem Tode des Erblassers auf ihn übergegangene Eigentum an dem Mehrfamilienhaus behalten hat, wäre bei der vom FG zum Vergleich herangezogenen Fallgestaltung das betreffende Wohnungseigentum mit den sich hieraus ergebenden zivil- und steuerrechtlichen Folgen auf die Vermächtnisnehmerin übergegangen; eine Rückübertragung des Eigentums auf den Kläger hätte ein gesondertes, auf entsprechender Willensentscheidungen der Beteiligten beruhendes Rechtsgeschäft erfordert.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung der vom Kläger für die Ablösung des Wohnungsrechts übernommenen Rentenzahlungen als nachträgliche Anschaffungskosten.
a) Mit Urteil vom 15. Dezember 1992 IX R 323/87 (BFHE 169, 386, BStBl II 1993, 488) hat der Senat entschieden, daß Zahlungen zur Ablösung eines dinglichen Wohnungsrechts -- nachträgliche -- Anschaffungskosten des Grundstückseigentümers darstellen. Entgegen der Auffassung des FA gilt dies auch dann, wenn das Nutzungsrecht -- z. B. im Rahmen einer Erbauseinandersetzung -- unentgeltlich eingeräumt worden ist (Senatsurteil vom 21. Juli 1992 IX R 72/90, BFHE 169, 317, BStBl II 1993, 486; vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juli 1992 IX R 14/89, BFHE 169, 313, BStBl II 1993, 484). Zahlungen zur Ablösung eines vom Ablösenden selbst unentgeltlich eingeräumten dinglichen Nutzungsrechts sind nur dann nicht steuerwirksam, wenn die Vereinbarungen über die Einräumung und die Ablösung des Nutzungsrechts steuerrechtlich nicht anzu erkennen sind, insbesondere, wenn ein Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i. S. von § 42 AO 1977 vorliegt (Senatsurteil vom 6. Juli 1993 IX R 112/88, BFHE 171, 530).
b) Hiernach hat das FG die laufenden Zahlungen des Klägers, die der Ablösung des Wohnungsrechts der Vermächtnisnehmerin dienten, zu Recht als nachträgliche Anschaffungskosten angesehen. Anhaltspunkte dafür, daß im Streitfall die Vereinbarungen über die ursprüngliche Ein räumung und die spätere Ablösung des Wohnungsrechts steuerrechtlich nicht anzuerkennen wären, sind nach den vom FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nicht ersichtlich.
Zutreffend hat das FG auch die laufenden Zahlungen, für die in der Vereinbarung vom 10. März 1984 keine Abänderbarkeit vorgesehen worden war, als Leibrente beurteilt (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 m.w.N.) und deren Kapitalwert gemäß § 14 Abs. 1 BewG in Verbindung mit Anlage 9 mit 35 052 DM ermittelt. Gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, 7 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG sind von diesem Betrag AfA in Höhe von 2 v. H. (= 701 DM jährlich) als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung, für das Streitjahr 1984 allerdings lediglich anteilig für den Zeitraum ab dem Beginn der laufenden Zahlungen (im März 1984), mithin nur für 10 Monate (= 584 DM), zu berücksichtigen.
3. Zu Unrecht hat das FG schließlich den Ertragsanteil der an die Vermächtnisnehmerin gezahlten Leibrente nicht bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten berücksichtigt.
Die vom Kläger übernommene Leibrente diente zur Ablösung des Wohnungsrechts der Vermächtnisnehmerin und einer anschließenden anderweitigen Nutzung der Wohnung in der ersten Etage des Mehrfamilienhauses durch den Kläger. Sie stand damit in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung, so daß ihr Ertrags anteil nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG abziehbar ist.
Der Ertragsanteil der Leibrente beträgt unter Berücksichtigung des Lebensalters der Vermächtnisnehmerin bei Beginn der Leibrente gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG 13 v. H. des Jahresbetrages der Rente, mithin (13 v. H. von 5 000 DM =) 650 DM für 1984 und (13 v. H. von 6 000 DM =) 780 DM für 1985.
Allerdings können die Ertragsanteile im Hinblick auf das im Revisionsverfahren zu beachtende Verböserungsverbot (vgl. BFH- Urteil vom 9. August 1989 I R 4/84, BStBl II 1990, 237) nur im Umfang der Steuerherabsetzung durch die Vorentscheidung berücksichtigt werden, nachdem lediglich das FA Revision eingelegt hat. Mithin kommt für das Streitjahr 1985 der Abzug des Ertragsanteils nur in Höhe von 700 DM in Betracht.
Da sich somit für das Streitjahr 1985 keine Änderung gegenüber der Steuerherabsetzung nach Maßgabe der Vorentscheidung ergibt, ist die Revision insoweit im Ergebnis zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 64980 |
BFH/NV 1995, 291 |