Leitsatz (amtlich)
1. Werden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die das FA zunächst als Einkünfte aus Kapitalvermögen entsprechend ihrem Zufluß in einem Veranlagungszeitraum angesetzt hat, im Rahmen einer auf § 94 AO gestützten Änderung wegen der für Land- und Forstwirte geltenden Gewinnermittlung (§ 2 Abs. 6 Nr. 1 EStG) auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt, so kann es Treu und Glauben widersprechen, wenn der Steuerpflichtige nur der Änderung in demjenigen Jahr zustimmt, für das sich eine Steuerherabsetzung ergibt, hingegen der entsprechenden Erhöhung der Einkommensteuer im anderen Jahr die Zustimmung verweigert.
2. Nach § 147 AO a. F. konnte durch einen Einkommensteuerbescheid nur die Verjährung des Steueranspruches für das betreffende Veranlagungsjahr unterbrochen werden, auch wenn in diesem Bescheid Sachverhalte steuerlich erfaßt waren, die zu einem anderen Veranlagungszeitraum gehörten und später diesem anderen Veranlagungszeitraum auch zugerechnet wurden.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 6 Nr. 1; AO § 94 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Die Verfahren IV R 15/72 wegen Einkommensteuer 1962 und IV R 146/74 wegen Einkommensteuer 1960 werden gemäß § 73 Abs. 1 FGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Im Verfahren IV R 15/72 ist streitig, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) während des Klageverfahrens den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1962 gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) und ohne einem Antrag des Klägers zu entsprechen, zu dessen Nachteil ändern konnte.
Im Verfahren IV R 146/74 ist streitig, ob der Einkommensteueranspruch für den Veranlagungszeitraum 1960 im Zeitpunkt der Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1960 im Jahre 1970 durch Verjährung schon erloschen war.
Der Kläger ist Landwirt. Seit 1952 waren von seinem Hof vier Grundstücksparzellen zunächst durch die Besatzungsstreitkräfte und ab 5. Mai 1955 durch das Amt für Verteidigungslasten beschlagnahmt. Dafür erhielt er eine Nutzungsentschädigung. 1961 veräußerte der Kläger die vier Parzellen zur Abwendung eines bereits eingeleiteten Enteignungsverfahrens gemäß §§ 64 und 71 des Landbeschaffungsgesetzes (LBeschG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 1957, 134) durch vier Einzelverträge an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Der Kaufpreis betrug 1. für den Verkauf vom 16. Februar 1961 229 172 DM, 2. für den Verkauf vom 28. Februar 1961 391 550 DM, 3. für den Verkauf vom 19. Mai 1961 108 212 DM und 4. für den Verkauf vom 22. September 1961 126 495 DM.
Der Kaufpreis war ab 5. Mai 1955 bis zum Tage der grundbuchamtlichen Eintragung des Eigentumsübergangs mit 6 v. H. zu verzinsen. Die Verzinsung wurde als Entschädigung der bisherigen Beschlagnahme gewährt. Die bisherige Nutzungsentschädigung war auf sie anzurechnen.
Danach wurden dem Kläger an Zinsen ausbezahlt:
1. |
am 25. Mai 1961 |
81 519,64 DM |
2. |
am 25. August 1961 |
143 854,06 DM |
3. |
am 5. September 1961 |
40 687,71 DM |
4. |
am 6. März 1962 |
46 999,92 DM |
In vorläufigen Einkommensteuerbescheiden für 1961 und 1962 setzte das FA diese Zinsbeträge als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung an. Es sah in ihnen eine Entschädigung für entgangene Einnahmen i. S. des § 24 EStG, für die es die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG gewährte. Aufgrund der Entscheidung des FG in einem Parallelfall erließ das FA berichtigte endgültige Einkommensteuerbescheide für 1961 und 1962. Dabei wurden die Zinsbeträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesehen und nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1965 steuerlich begünstigt.
Nach erfolglosem Einspruch beantragte der Kläger mit der Klage, die Zinsbeträge als Teil des Kaufpreises des Grund und Bodens von der Einkommensteuer völlig freizustellen, hilfsweise, sie nach § 20 Abs. 3 EStG den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen und nach §§ 24, 34 EStG zu begünstigen.
Durch Urteil vom 24. Oktober 1969 VI R 296/67 (nicht veröffentlicht) entschied der BFH in dem Parallelfall, daß Zinsbeträge, die nach § 17 Abs. 4 LBeschG gezahlt wurden, grundsätzlich einkommensteuerpflichtig seien und nach § 20 Abs. 3 EStG den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen seien. Das FA wandte nunmehr die vom BFH vertretene Ansicht auch auf die vom Kläger bezogenen Zinsbeträge an. Es änderte nicht nur die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1961 und 1962 nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO, sondern auch den seit 1962 bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 1960. Die Änderung erfolgte in einem Sammelbescheid für die drei Jahre vom 17. März 1970. Den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 1960 hat das FA mitgeändert, weil die Zinszahlungen, soweit sie in der ersten Hälfte des Kalenderjahres 1961 geleistet wurden, dem landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr 1960/61 zuzurechnen waren und damit zur Hälfte auf den Veranlagungszeitraum 1960 entfielen. Soweit die Zinsen in der zweiten Hälfte des Jahres 1961 und der ersten Hälfte des Jahres 1962 gezahlt wurden, wurden sie dem landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr 1961/62 zugerechnet.
Es entfielen
auf das Wirtschaftsjahr 1960/61 |
81 519,64 DM, |
auf das Wirtschaftsjahr 1961/62 |
231 541,69 DM. |
Hiernach entfielen von den im Streit befangenen Zinsbeträgen
1. |
auf das Kalenderjahr 1960 |
40 760 DM, |
2. |
auf das Kalenderjahr 1961 |
156 531 DM, |
3. |
auf das Kalenderjahr 1962 |
115 771 DM. |
Dadurch ermäßigte sich die Einkommensteuer für das Jahr 1961 von 87 287 DM um 39 991 DM auf 47 296 DM. Für das Jahr 1962 erhöhte sich die Steuer von 14 408 DM um 20 914 DM auf 35 322 DM und für 1960 wurde die Einkommensteuer von 96 DM im ursprünglichen Bescheid auf 7 820 DM erhöht. Bei den drei geänderten Bescheiden für die Jahre 1960, 1961, 1962 ergab sich im Saldo eine Steuerermäßigung von 11 353 DM.
Nach dieser Änderung erklärte der Kläger – wie schon vor ihm das FA hinsichtlich des gesamten Klageverfahrens – den Rechtsstreit für den Veranlagungszeitraum 1961 in der Hauptsache für erledigt. Das FG erließ am 16. Juni 1970 für das Jahr 1961 einen Kostenbeschluß gemäß § 138 FGO, nachdem es vorher das Verfahren für das Jahr 1961 von dem Verfahren für das Jahr 1962 abgetrennt hatte.
Hinsichtlich des Klageverfahrens wegen der Einkommensteuer 1962 beantragte der Kläger am 9. Juni 1970, den geänderten Einkommensteuerbescheid 1962 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Er vertrat die Auffassung, daß das FA nicht berechtigt gewesen sei, die Einkommensteuer für 1962 zu erhöhen, da er zu dieser Änderung nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO keine Zustimmung erteilt habe.
Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1960 legten der Kläger und seine Ehefrau erfolglos Einspruch ein. Mit der anschließenden Klage machten sie geltend, daß der Einkommensteueranspruch für 1960 im Jahre 1970 verjährt gewesen sei; deshalb habe kein geänderter Bescheid mehr ergehen können.
Das FG wies die Klage gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1962 als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, das FA habe die Änderung des Bescheids für 1962 zuungunsten des Klägers auf § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO stützen können. Der Kläger habe zwar für die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1962 keine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Diese Zustimmung könne jedoch ersetzt werden, wenn die Verweigerung der Zustimmung einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstelle.
Auch die Klage gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 1960 hielt das FG überwiegend für unbegründet. Es vertrat die Auffassung, daß nur die im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1960 festgesetzte Steuerforderung durch Verjährung erloschen sei, nicht hingegen der Einkommensteueranspruch für 1960, der sich aus den strittigen Zinsbeträgen in Höhe von 40 760 DM ergäbe. Hinsichtlich dieses Teilanspruches sei keine Verjährung eingetreten, weil sie durch den Einkommensteuerbescheid 1961, in dem dieser Betrag zuerst erfaßt gewesen sei, unterbrochen bzw. durch dessen Anfechtung bis 1970 gehemmt gewesen sei.
Mit den Revisionen wiederholen der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau ihre Klageanträge.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision hinsichtlich des nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheids 1962 ist unbegründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 1962 wurde zusammen mit dem Einkommensteuerbescheid für 1960 und 1961 in einem Sammelbescheid geändert, und zwar während des die Veranlagungszeiträume 1961 und 1962 betreffenden Klageverfahrens, bei dem es um dieselbe materielle Rechtsfrage ging, wegen der auch diese Bescheide geändert wurden. Die Änderung hatte nämlich den Zweck, die steuerliche Behandlung der Zinsbeträge, die der Kläger als Entschädigung für die jahrelange Beschlagnahme der vier Grundstücksparzellen erhalten hatte, der Entscheidung des BFH in dem gleichgelagerten Parallelfall – VI R 296/67 – anzupassen; das hatte zur Folge, daß die gesamten Zinsbeträge als nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG begünstigte Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft den landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahren 1960/61 und 1961/62 zugerechnet und dadurch auf die Veranlagungszeiträume 1960, 1961 und 1962 verteilt werden mußten. Die Änderungsbescheide für die drei Veranlagungszeiträume ergingen nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der in den Erläuterungen hinzugefügten Begründung: „Berichtigung erfolgte entsprechend der Rechtsprechung des BFH (Urteil des BFH vom 7. Dezember 1962 VI 310/60 U, BFHE 76, 446, BStBl III 1963, 162, und vom 12. Juli 1963 VI 250/62 U, BFHE 77, 292, BStBl III 1963, 426).”
Diese beiden Urteile des BFH befassen sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen es gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn ein Steuerpflichtiger die Berichtigung der Veranlagung eines Jahres entsprechend seinem Begehren erreicht, aber für die durch diese Berichtigung notwendige Änderung der Veranlagung des folgenden Jahres nach § 94 AO keine Zustimmung erteilt. Der vorliegende Fall liegt insofern anders, als das Klagebegehren darauf gerichtet war, die nach § 17 LBeschG bezahlten Zinsen als Teil des Kaufpreises für den Grund und Boden von der Besteuerung freizustellen. Es entsprach also weder die Änderung der Einkommensteuerveranlagung 1961, durch die die Einkommensteuer 1961 von 87 287 DM auf 47 296 DM herabgesetzt wurde, und noch weniger die Änderung der Einkommensteuerveranlagung für 1962, durch die die Einkommensteuer 1962 von 14 408 DM auf 35 322 DM erhöht wurde, dem Begehren des Klägers der Sache nach. Vielmehr widersprachen sie dem Hauptantrag des Klägers im Klageverfahren offensichtlich; dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß dem Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung die Entscheidung des BFH in dem genannten Parallelfall noch nicht bekannt war und der Kläger immerhin einen Hilfsantrag gestellt hatte, dem diese Änderungen entsprachen. Daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß die Änderungen i. S. des § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO einem Antrage des Klägers entsprachen. Denn ein Hilfsantrag soll nur berücksichtigt werden, wenn der Hauptantrag keinen Erfolg hat. Er entspricht nicht dem was der Kläger eigentlich begehrt.
Wenn aber die Änderungsbescheide nach § 94 AO nicht dem Antrage des Klägers entsprachen, so bedurften sie der Zustimmung des Klägers (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1.-6. Aufl., Anm. 32 zu § 94 AO). Daß der Kläger dem streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid für 1962 nicht zugestimmt hat, steht fest. Auch der Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1961 hat er nicht ausdrücklich zugestimmt. Das FA konnte zwar aus dem Umstand, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Rechtsbehelfe vor allem mit Rücksicht auf das schwebende Verfahren in dem genannten Parallelfall (dessen Entscheidung abgewartet werden sollte) erhoben hat, die Folgerung ziehen, daß der Kläger einer entsprechenden Behandlung, wie sie der BFH als Rechtens ansieht, zustimmen würde. Aber aufgrund dieser Annahme allein konnte auf die Zustimmung nicht verzichtet werden. Nach Auffassung des Senats ist jedoch die Zustimmung zur Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1961 darin zu erblicken, daß der Kläger den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1961, der seinem Antrage nicht entsprach, nicht gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens machte, sondern den gesamten Rechtsstreit hinsichtlich dieses Jahres in der Hauptsache für erledigt erklärte. Denn die prozessuale Erledigungserklärung des Klägers schließt denknotwendig die Erklärung ein, daß er mit dem nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid einverstanden ist, ihm also zustimmt, auch wenn er im Ergebnis nur einen Teilerfolg brachte.
Der Kläger stimmte also von den Änderungsbescheiden, die aus ein und demselben Rechtsgrunde erlassen worden waren, nur dem Bescheid für 1961 zu, der zu der Steuerherabsetzung von 39 991 DM geführt hatte, und machte den Änderungsbescheid für 1962 nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens mit der Begründung, dieser Änderungsbescheid sei mangels Zustimmung unzulässig.
Der Senat ist aber mit der Vorentscheidung der Auffassung, daß auch die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1962 ihre Rechtsgrundlage in § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO findet, weil unter den gegebenen besonderen Umständen des Falles die Verweigerung der Zustimmung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstößt; daraus folgt, daß die fehlende Zustimmung nach Treu und Glauben als erteilt anzusehen ist.
Die besonderen Umstände des Falles lagen zunächst darin, daß zwischen den zwei in einem Sammelbescheid zusammengefaßten Änderungen der Veranlagungen für 1961 und 1962 hinsichtlich der Behandlung der Zinsbeträge ein notwendiger innerer Zusammenhang bestand, weil die Zuordnung der Zinsen zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft infolge des für diese Einkünfte geltenden abweichenden Wirtschaftsjahres zwangsläufig dazu führen mußte, daß sich durch die Aufteilung der im Wirtschaftsjahr 1961/62, also nach dem 1. Juli 1961 im Jahre 1961 zugeflossenen Zinsbeträge auf die Veranlagungszeiträume 1961 und 1962 die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und demzufolge die Einkommensteuer für 1961 erheblich verminderten und im Veranlagungszeitraum 1962 erhöhten. Die nur dem land- und forstwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr Rechnung tragenden Änderungsbescheide 1961 und 1962 entsprachen außerdem genau der Entscheidung des BFH in dem angestrengten Musterprozeß und dem eigenen Hilfsantrag der Kläger. Sie entsprachen damit dem, was die Kläger bei Fortführung des Klageverfahrens aller Wahrscheinlichkeit nach erreichen konnten und auch erreicht hätten. Den Klägern bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten waren diese Zusammenhänge auch klar erkennbar.
Danach konnte bei der Regelung des die Zinsbeträge betreffenden Gesamtkomplexes die Alternative für die Kläger folgerichtig nur darin bestehen, entweder den Änderungsbescheiden für 1961 und 1962 hinsichtlich der Verteilung der Zinsbeträge zuzustimmen, weil aller Wahrscheinlichkeit nach über die BFH-Entscheidung hinaus in der Sache nichts mehr zu erreichen war oder beiden Änderungsbescheiden die Zustimmung zu versagen und die Klage mit dem Begehren auf vollständige Freistellung der Zinsbeträge von der Besteuerung fortzuführen. Es lief aber der Forderung der Folgerichtigkeit steuerrechtlichen Verhaltens zuwider und stellte eine Rechtsausübung dar, die im Widerspruch zum eigenen Verhalten stand, wenn die Kläger einerseits den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1961, der aufgrund der Verteilung der Zinsbeträge auf die Veranlagungszeiträume 1961 und 1962 eine Steuerherabsetzung brachte, zustimmten, hingegen der sich daraus ergebenden Änderung des Einkommensteuerbescheides 1962 nicht zustimmten. Im Grunde geht es hier um die richtige Besteuerung eines Geschäftsvorfalls im Wirtschaftsjahr 1961/62, der nur wegen der besonderen Regelung für Land- und Forstwirte in § 2 Abs. 6 Nr. 1 EStG auf zwei im Streit befangene Veranlagungszeiträume zu verteilen war. In Fällen dieser Art kann der Steuerpflichtige nicht der Veranlagung für den einen Zeitraum zustimmen, die Zustimmung für den anderen Zeitraum aber verweigern. Die hier vom Steuerpflichtigen geforderte Folgerichtigkeit seines Verhaltens entspricht dem Ziel einer materiell richtigen Besteuerung und damit einem Rechtsgedanken ähnlich dem, den der Gesetzgeber in § 4 StAnpG (insbesondere in Abs. 3 Nr. 2) zum Ausdruck gebracht hat.
Es trifft zwar zu, daß dem FA der Fehler unterlaufen ist, daß es sich der Zustimmung der Kläger zu den im Sammelbescheid zusammengefaßten Änderungsbescheiden nicht vorher versicherte. Aber dieser Fehler des FA, der aus der geschilderten schwierigen rechtlichen Situation zu verstehen ist, vermag das in sich widersprüchliche, mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Verhalten der Kläger nicht zu rechtfertigen. Ihr Rechtsmißbrauch lag darin, daß sie ihr Ziel, die Freistellung der Zinsbeträge von jeder Besteuerung, das nach der Entscheidung des BFH weder im Klagewege noch beim FA durchsetzbar war, durch die Zustimmung im Jahre der günstigen Auswirkung der notwendig gewordenen Verteilung der Zinsbeträge einerseits und die Verweigerung der Zustimmung im Jahre der ungünstigen Auswirkung dieser Verteilung andererseits auf einem Umwege erreichen wollten. Einem solchen Verhalten muß die Rechtsordnung die Anerkennung versagen mit der Folge, daß die Zustimmung zur Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1962 entsprechend der Zustimmung zur Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1961 nach Treu und Glauben als erteilt gilt.
Da – wie schon erwähnt – der nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheid für 1962 auch im sachlichen Ergebnis nicht zu beanstanden ist, weil die Behandlung der Zinsbeträge der Rechtsprechung des BFH entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1971 IV R 206/67, BFHE 102, 49, 57 f., BStBl II 1971, 485), war die Revision hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 1962 als unbegründet zurückzuweisen (vgl. auch BFH-Urteile vom 24. November 1965 VI 128/65 U, BFHE 84, 365, BStBl III 1966, 131, und vom 7. Juli 1966 V 20/64, BFHE 86, 541, BStBl III 1966, 613).
II. Hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 1960 ist dagegen die Revision des Klägers begründet.
Nach dem Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 – AOÄG – (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643) sind auf Steueransprüche, die vor Ablauf des Kalenderjahres 1965 entstanden sind, grundsätzlich die vor dem 1. Januar 1966 geltenden Verjährungsvorschriften anzuwenden. Nach § 145 AO a. F. begann danach die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 1960 am 1. Januar 1961 zu laufen und wäre am 31. Dezember 1965 abgelaufen. Durch den Erlaß des Einkommensteuerbescheides 1960 vom 23. Mai 1962 wurde nach § 147 AO a. F. die Verjährung unterbrochen. Diese Verjährungsunterbrechung bezog sich nicht nur auf die im Bescheid festgesetzten Steuerforderungen (wie nach § 147 AO n. F.), sondern auf den gesamten Steueranspruch 1960, also auch auf die Steuerforderung für die später dem Veranlagungszeitraum 1960 zugerechneten streitigen Zinsbeträge (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 1960 IV 184/60 S, BFHE 71, 485, BStBl III 1960, 430). Der Einkommensteuerbescheid 1960 wurde bestandskräftig. Als Folge der durch seinen Erlaß eingetretenen Verjährungsunterbrechung begann die Verjährungsfrist am 1. Januar 1963 neu zu laufen. Da diese Unterbrechung der Verjährung bzw. der neue Lauf der Verjährungsfrist auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1966 weiterwirkte, ist die Verjährungsfrist erst am 31. Dezember 1967 abgelaufen, wenn inzwischen keine neue Unterbrechung eingetreten ist. Nach den Feststellungen des Senats ist eine Unterbrechungshandlung i. S. des § 147 AO a. F. zwischen dem 1. Januar 1963 und dem 31. Dezember 1965 nicht mehr erfolgt.
Die Meinung des FG, daß die Verjährung des Teilanspruches der Einkommensteuer 1960 aus den im Wirtschaftsjahr 1960/61 zugeflossenen und auf den Veranlagungszeitraum 1960 entfallenden Zinsbeträgen wiederum durch den nachträglich für vorläufig erklärten Einkommensteuerbescheid 1961 vom 26. Juli 1963 unterbrochen worden sei, weil dort auch diese Zinsbeträge ursprünglich erfaßt gewesen seien, vermag der Senat nicht zu teilen. Er ist vielmehr der Auffassung, daß nach den vor dem 1. Januar 1966 geltenden Verjährungsvorschriften durch einen Einkommensteuerbescheid nur die Verjährung des Steueranspruches für das betreffende Veranlagungsjahr unterbrochen werden konnte, auch wenn in ihm Sachverhalte steuerlich erfaßt waren, die zu einem anderen Veranlagungszeitraum gehörten und später diesem anderen Veranlagungszeitraum zugerechnet wurden. Durch den Einkommensteuerbescheid 1961 vom 26. Juli 1963 konnte also nur der Steueranspruch 1961 unterbrochen werden.
Die Neuregelung des § 146 a AO n. F., nach der sich eine Ablaufhemmung nicht auf den Steueranspruch eines bestimmten Veranlagungszeitraums bezieht, sondern die Verjährung eines bestimmten Sachverhalts betrifft, ohne Rücksicht auf die Steuerart und den Veranlagungszeitraum, zu dem er gehört, und die entsprechende Neuregelung in § 147 Abs. 3 AO n. F. gelten erst ab dem 1. Januar 1966. Für eine entsprechende Anwendung dieser neuen Regelung auf die Zeit vor dem 1. Januar 1966 fehlt die Rechtsgrundlage. Der erkennende Senat versteht diese Änderungen in den ab 1. Januar 1966 geltenden Verjährungsvorschriften, die bei der Einkommensteuer vor allem zur Hemmung und Unterbrechung der Verjährung von steuerlichen Teilforderungen führen und nicht mehr den Steueranspruch eines bestimmten Jahres als Ganzes im Auge haben, als grundlegende Neuerung, die nicht rückwirkend auf frühere Veranlagungszeiträume angewandt werden kann (vgl. Bundestags-Drucksache IV 2442 S. 12 zu § 146 a AO n. F. und Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl. Tz. 2 zu § 146 a AO n. F.).
Demnach hätte erst ab 1. Januar 1966 die Anfechtung des Einkommensteuerbescheides für 1961 wegen der streitigen Zinsbeträge, die zum Veranlagungszeitraum 1960 gehörten, ursprünglich aber im Einkommensteuerbescheid für 1961 angesetzt waren, den Ablauf der Verjährung der auf die Zinsbeträge entfallenden Einkommensteuer 1960 hemmen können.
Eine Anfechtung des Einkommensteuerbescheides für 1961, die hinsichtlich der zum Veranlagungszeitraum 1960 gehörenden Zinsbeträge gemäß § 146 a AO n. F. zu einer Ablaufhemmung hätte führen können, oder eine Unterbrechung der Verjährung durch Zahlungsaufforderung, Stundung, Aussetzung der Vollziehung usw. gemäß § 147 AO n. F. erfolgte aber zwischen dem 1. Januar 1966 und dem 31. Dezember 1967, dem Zeitpunkt des Ablaufs der durch den Einkommensteuerbescheid 1960 unterbrochenen Verjährungsfrist, für den Einkommensteueranspruch 1960 nicht mehr. Erst im Oktober 1968 wurde der endgültige Einkommensteuerbescheid für 1961 vom Kläger angefochten. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Verjährungsfrist hinsichtlich des Steueranspruchs für 1960 bereits abgelaufen, d. h. der Steueranspruch war am 31. Dezember 1967 endgültig erloschen. Eine Änderung der ursprünglichen Veranlagung im Wege des § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO war daher nicht mehr möglich.
Der nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheid für 1960 muß daher wegen des durch die Verjährung eingetretenen Erlöschens des Steueranspruchs 1960 ersatzlos aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 557285 |
BStBl II 1976, 253 |