Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahnarztpraxis steht der Bewertung als Einfamilienhaus nicht entgegen
Leitsatz (NV)
1. Ein Hausgrundstück mit einer Wohnung wird für freiberufliche Zwecke (lediglich) mitbenutzt, wenn diese Nutzung diejenige zu Wohnzwecken nicht erreicht oder übersteigt.
2. Der Umfang der freiberuflichen Mitbenutzung ist regelmäßig nach dem Verhältnis der Flächen, nicht nach dem umbauten Raum zu beurteilen, und zwar ohne Rücksicht auf gewisse Unterschiede in der Höhe der betreffenden Räume. Ausnahmen können - insbesondere - bei gewerblich genutzten Flächen gelten, deren Raumhöhe diejenige der Wohnräume so deutlich übersteigt, daß der Vergleich der Flächen offensichtlich kein brauchbarer Maßstab mehr ist.
3. Die (bloße) Mitbenutzung für freiberufliche Zwecke führt (nur) dann zu einer Bewertung als gemischtgenutztes Grundstück, wenn durch die Mitbenutzung die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Das ist nur der Fall, wenn die Mitbenutzung das Grundstück deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt. Der Einstufung als Einfamilienhaus steht nicht entgegen, daß die freiberufliche Zahnarztpraxis von außen sichtbar und mit dem Besuch von (teilweise motorisierten) Patienten verbunden ist. Etwas anderes kann bei gewerblich mitbenutzten Grundstücken gelten, bei denen der An- und Abtransport von Waren und sonstigen Materialien unter Verwendung entsprechender Fahrzeuge die Eigenart des Grundstücks prägen können.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 1 Nrn. 3-5, Abs. 4, 5 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin bebaute ihr Grundstück mit einem Haus, das in zwei Geschossen (Untergeschoß und Obergeschoß) eine Wohnung für ihre Familie sowie die Zahnarztpraxis ihres Ehemannes enthält.
Die Wohnung liegt im Obergeschoß, die Zahnarztpraxis befindet sich im Untergeschoß, dessen vorderer Teil wegen der Hanglage des Grundstücks zur Straße hin frei liegt. Der Eingang zu den Praxisräumen im Untergeschoß ist in der Vorderwand und der Eingang zur Wohnung im Obergeschoß auf der Seite des Hauses. Neben dem Haus befindet sich eine Doppelgarage. Das Grundstück um das Haus herum ist als Garten gestaltet und an der Straße ist entlang dem Bürgersteig ein Längsstreifen abgegrenzt und gepflastert. Er ist als Parkplatz für Praxisbesucher vorgesehen und durch ein Schild entsprechend gekennzeichnet. Außerdem weisen auf dem Grundstück zwei Schilder auf die Praxis hin. Auch die Eingangstür im Untergeschoß trägt die Aufschrift ,,Praxis".
Das beklagte Finanzamt (FA) bewertete das Grundstück durch Artfortschreibung (bei gleichzeitiger Wertfortschreibung) zum 1. Januar . . . als Einfamilienhaus.
Mit ihrem Einspruch begehrte die Klägerin erfolglos die Bewertung als gemischtgenutztes Grundstück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Das Haus werde zwar zu freiberuflichen Zwecken in Form der Zahnarztpraxis genutzt. Diese Nutzung erreiche oder übersteige aber nicht diejenige zu Wohnzwecken. Die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus werde durch die freiberufliche Mitbenutzung nicht wesentlich beeinträchtigt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen geltendes Recht.
1. Das FG stützt seine Entscheidung darauf, daß die Nutzung des Grundstücks zu freiberuflichen Zwecken diejenige zu Wohnzwecken nicht erreiche oder gar übersteige. Allerdings hat es nicht festgestellt, welche ziffernmäßig bestimmten Flächen- oder Raummaße den beiden Nutzungsarten zuzuordnen sind. Das bedeutet aber nicht, daß die tatsächlichen Feststellungen die Entscheidung des FG nicht tragen, wie die Klägerin meint. Diese hat schon in der Erklärung zur Feststellung des Einheitswertes sowie in der Einspruchsbegründung die Flächen der Wohnräume und der Praxisräume mit 148,6 qm und 134,42 qm angegeben und in der Klagebegründung vom 26. September 1985 eingeräumt, daß ,,die Wohnfläche über der Praxisfläche liegt". Vor allem aber weist das FG in seinem Urteil mit Recht darauf hin, daß nach der baulichen Gestaltung des Hauses der Wohnteil zwangsläufig größer sei als der Praxisteil. Denn beide Geschosse des Hauses haben dieselbe Flächengröße und in dem Untergeschoß mit den Praxisräumen liegt zumindest auch der zum Wohnteil gehörige sog. Hauswirtschaftsraum, der mit dem Obergeschoß durch eine Wendeltreppe verbunden und gegenüber dem Praxisteil im Untergeschoß durch Mauern ohne Türen abgetrennt ist.
Zwar hat das FG in seinem Urteil darauf hingewiesen, daß die Akten unterschiedliche Angaben zu dem Verhältnis zwischen der freiberuflichen Fläche und der Wohnfläche enthalten. Entsprechend dem vorgenannten Umstand, daß die Wohnfläche nach der baulichen Gestaltung des Hauses überwiegt, bleiben aber auch die unterschiedlichen Angaben in den Aktenstellen, auf welche das FG-Urteil Bezug nimmt, zwangsläufig in diesem Rahmen, d. h., die Wohnfläche ist nach diesen Angaben stets größer als die freiberuflich genutzte Fläche. Darüber hinaus sind dies größtenteils jeweils die Angaben der Klägerin selbst (gegenüber der Baubehörde, dem FA und dem FG).
2. Hält demnach die Feststellung des FG-Urteils über das Verhältnis zwischen der freiberuflich genutzten Fläche und der Wohnfläche dem vorgenannten Revisionsangriff stand, so wurde das Hausgrundstück mit einer Wohnung am Bewertungsstichtag i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) für freiberufliche Zwecke (lediglich) mitbenutzt. Denn diese Nutzung erreichte oder überstieg nicht diejenige zu Wohnzwecken (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135).
a) Die Klägerin möchte das Verhältnis zwischen freiberuflich genutzter Fläche und Wohnfläche dadurch verändern, daß sie den Heizungsraum und den sog. Hauswirtschaftsraum teilweise zu den Praxisräumen rechnet. Damit reiche die freiberuflich genutzte Fläche ,,an die 50 v. H. heran". Außerdem werde der im Bauplan als Gästezimmer bezeichnete Raum ausschließlich für die Zahnarztpraxis verwendet. Er sei deshalb zur freiberuflich genutzten Fläche zu zählen. ,,Damit wäre die Praxisfläche sogar größer als die Wohnfläche".
Dieses Begehren ist nicht gerechtfertigt.
Daß der Heizungsraum bisher zur Wohnfläche gezählt worden ist, läßt der Vortrag der Klägerin nicht erkennen. Nach ihren Angaben gegenüber der Baubehörde, auf denen auch ihre Steuererklärung beruht, ist der Heizungsraum (wie auch der Hauswirtschaftsraum) nicht der Wohnfläche, sondern außerhalb der freiberuflich genutzten Fläche und der Wohnfläche einer gesonderten ,,Nutzfläche" (von 71,36 qm) zugerechnet worden. Würde er demnach auf freiberuflich genutzte Fläche und auf Wohnfläche verteilt, so könnte dies das Verhältnis dieser Flächen zueinander nicht ändern.
Das Gästezimmer liegt im Obergeschoß innerhalb der Wohnung und ist aus dieser nicht in der Weise ausgegliedert, daß eine unmittelbare bautechnische Verbindung zur Zahnarztpraxis besteht. Es muß daher der Wohnung zugerechnet werden (vgl. BFHE 155, 128). Dasselbe gilt für den Haushaltsraum, der zwar im Untergeschoß liegt, aber von den Praxisräumen aus nicht zu erreichen, sondern durch eine Wendeltreppe mit der Wohnung im Obergeschoß verbunden ist.
b) Schließlich weist die Klägerin darauf hin, daß der Rohbau des Untergeschosses etwas höher sei als derjenige des Obergeschosses. Man habe im Untergeschoß unter einer abgehängten Decke die für den Betrieb der Zahnarztpraxis notwendigen Installationen und Versorgungsleitungen unterbringen müssen. Es stelle sich die Frage, ob man das Ausmaß der freiberuflichen Mitbenutzung des Grundstücks nach dem umbauten Raum der Praxisräume statt nach der Fläche beurteilen solle. Dann verschiebe sich das Verhältnis zugunsten der Praxis.
Die Klägerin sagt nicht, in welchem Maße die Berechnung nach dem umbauten Raum das Verhältnis zugunsten der Praxis verschieben würde. Die Berechnung ist nicht möglich, weil die Rohbauraumhöhen der beiden Geschosse des Hauses nicht festgestellt und zwischen den Beteiligten streitig sind. Die Klägerin meint, das Untergeschoß sei 60 cm höher als das Obergeschoß; das FA errechnet anhand der Baupläne nur eine Differenz von 25 cm.
Der Senat braucht auf diese Unklarheiten nicht einzugehen. Er sieht jedenfalls keinen Anlaß, hier den Umfang der freiberuflichen Mitbenutzung nach dem umbauten Raum statt nach der Fläche zu beurteilen. Denn dieser Umfang ist regelmäßig nach dem Verhältnis der Flächen ohne Rücksicht auf gewisse Unterschiede in der Höhe der betreffenden Räume zu beurteilen. Die etwas größere Rohbauraumhöhe der Praxisräume hat ebensowenig Einfluß, wie ihn eine - in ihrer Höhe über das bei Wohnräumen üblichem Maß hinausreichende - Wohnhalle in dem Wohnteil des Hauses der Klägerin haben könnte. Ausnahmen können - insbesondere - bei gewerblich genutzten Flächen gelten, deren Raumhöhe diejenige der Wohnräume so deutlich übersteigt, daß der Vergleich der Flächen offensichtlich kein brauchbarer Maßstab mehr ist. Das mag z. B. zutreffen, wenn ein Teil des Hauses als Wagenhalle (Abstellplatz für Lkw oder Omnibusse) genutzt wird. Der vorliegende Fall erfüllt diese Voraussetzungen nicht, selbst wenn man mit der Klägerin annimmt, daß die Rohbauraumhöhe der Praxisräume diejenige der Wohnräume um 60 cm übersteigt.
3. Nach Auffassung des FG wird durch die freiberufliche Mitbenutzung die Eigenart des Grundstücks der Klägerin als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Grundstück biete äußerlich das typische Bild eines Wohnhauses. Zwar sei die Mitbenutzung für die Zahnarztpraxis von außen erkennbar. Das führe aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung. Dem allgemeinen Vorstellungsbild widerspreche es regelmäßig nicht, daß ein Arzt seine Praxis in einem Einfamilienhaus unterhält und zu diesem Zweck vor diesem Haus PKW-Stellplätze einrichtet. Gegenüber dem äußeren Erscheinungsbild habe die innere Gestaltung des Hauses nur nachrangige Bedeutung. Die besondere Ausgestaltung des Untergeschosses für die Zahnarztpraxis stehe zu dem Wohnhauscharakter des Hauses nicht in entscheidendem Widerspruch.
Nach Ansicht der Klägerin hat das FG damit den Rechtsbegriff der wesentlichen Beeinträchtigung der Eigenart des Einfamilienhauses unzutreffend beurteilt und ausgelegt. Jedoch läßt das FG-Urteil auch insoweit keinen Rechtsfehler erkennen. Die Eigenart eines Einfamilienhauses wird durch eine freiberufliche Mitbenutzung erst dann wesentlich beeinträchtigt, wenn diese Mitbenutzung das Grundstück deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt (BFH-Urteil vom 12. November 1986 II R 48/85, BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104). Nach diesem Grundsatz ist das FG hier verfahren. Zwar erwähnt es, dem allgemeinen Vorstellungsbild widerspreche es regelmäßig nicht, daß ein Arzt seine Praxis in einem Einfamilienhaus unterhält. Ob es damit die Verkehrsauffassung gemeint hat, die seit dem BFH-Urteil vom 5. Februar 1986 II R 31/85 (BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448) nicht mehr maßgebend ist, mag offenbleiben. Jedenfalls tragen aber die übrigen Ausführungen im FG-Urteil die Entscheidung, daß das Grundstück der Klägerin durch die freiberufliche Mitbenutzung in seiner Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Mitbenutzung in diesem Sinne ist nicht Nutzung von untergeordneter Bedeutung (BFHE 148, 76). Daß die Praxis von außen sichtbar und mit dem Besuch von (teilweise motorisierten) Patienten verbunden ist, hindert daher die Einstufung des Grundstücks als Einfamilienhaus ebensowenig wie der gesonderte Eingang für die Zahnarztpraxis (BFH-Urteil in BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135). Die Verhältnisse liegen hier anders als bei Grundstücken, die gewerblich mitbenutzt werden. Dort könnten unter Umständen der An- und Abtransport von Waren und sonstigen Materialien unter Verwendung entsprechender Fahrzeuge die Eigenart des Grundstücks prägen.
Dem Vortrag der Klägerin ist auch nicht zu entnehmen, inwiefern das FG den Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung unzutreffend beurteilt und ausgelegt hat. Sie bemängelt vielmehr, das FG habe verschiedene Umstände nicht ausreichend oder nicht hinreichend gewürdigt. Die tatsächliche Würdigung des FG kann der BFH aber nur daraufhin überprüfen, ob sie gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt (BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522). Solche Verstöße behauptet aber die Klägerin nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 417427 |
BFH/NV 1991, 579 |