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BGH Urteil vom 07.07.2008 - II ZR 37/07

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Mietzinsanspruch als Insolvenzmasse. Ausscheiden des vorletzten BGB-Gesellschafters wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anwachsung des Vermögens bei verbliebenem Gesellschafter. Vollbeendigung der Gesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

a) Scheidet der vorletzte Gesellschafter aus einer BGB-Gesellschaft aus, für die im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist, dass die Gesellschaft unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, führt dies - soweit nichts Abweichendes geregelt ist - zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft und zur Anwachsung des Gesellschaftsvermögens bei dem letzten verbliebenen Gesellschafter.

b) Der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines nicht existenten Schuldners (hier: einer voll beendeten BGB-Gesellschaft) ist nichtig und bindet die Prozessgerichte nicht.

 

Normenkette

BGB §§ 728, 738, 812 ff.; InsO §§ 80, 110 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 10.01.2007; Aktenzeichen 4 U 52/06)

LG Oldenburg (Entscheidung vom 09.05.2006; Aktenzeichen 4 O 2546/05)

 

Nachgehend

OLG Dresden (Beschluss vom 05.10.2011; Aktenzeichen 17 W 0828/11)

 

Tenor

Die Revision des Streithelfers der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 10.1.2007 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] H. und R. L. waren nach dem Ausscheiden eines weiteren Mitgesellschafters zu jeweils 50 % Gesellschafter der Bürocenter D. GbR (im Folgenden: GbR), zu deren Vermögen ein Grundstück in M. gehörte. Dieses hatte die GbR an die P. GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) vermietet. Die Beklagte gewährte der GbR Kredite, die durch Grundpfandrechte auf dem Grundstück der GbR abgesichert waren. Darüber hinaus hatte die GbR die Mietzinsansprüche gegen die KG an die Beklagte abgetreten. Die KG zahlte die Miete für den Monat September 2004i.H.v. 35.790,43 EUR, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, an die Beklagte.

[2] Über das jeweilige Vermögen der Gesellschafter wurden am 19.7.2004 (R. L.) und am 11.8.2004 (H. L.) Insolvenzverfahren eröffnet und der Streithelfer der Beklagten (für R.) und der Kläger (für H.) zu Insolvenzverwaltern bestellt. Am 6.6.2006 wurde über das Vermögen der GbR, die weiterhin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen war, ein Insolvenzverfahren eröffnet.

[3] Der Gesellschaftsvertrag (im Folgenden: GV) der GbR enthält, soweit hier von Bedeutung, folgende Regelungen:

"§ 16 Auflösung der Gesellschaft In allen Fällen, in denen das Gesetz an den Eintritt bestimmter Ereignisse in der Person eines Gesellschafters die Auflösung der Gesellschaft anknüpft, soll diese nicht eintreten. Vielmehr soll der betroffene Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden. Der oder die anderen Gesellschafter sind sodann berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Gesellschaft mit dem vorhandenen Gesellschaftsvermögen und dem Recht zur Fortführung der Bezeichnung weiter zu betreiben. § 17 Ausscheiden aus der Gesellschaft .... 4.) Wird über das Vermögen eines Gesellschafters das Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet, wird die Eröffnung eines dieser Verfahren mangels Masse abgelehnt oder hat ein Privatgläubiger von dem Recht des § 725 BGB Gebrauch gemacht, so scheidet der betroffene Gesellschafter aus der Gesellschaft aus. ..."

[4] Der Kläger ist der Ansicht, der Mietzinsanspruch für den Monat September falle in die Insolvenzmasse des ehemaligen Gesellschafters H. L., so dass ihm ein Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte zustehe.

[5] Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Streithelfers der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

[6] Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

[7] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, aus § 17 Nr. 4 GV folge, dass dem Gesellschafter H. L. das Gesellschaftsvermögen und damit auch der Anspruch der GbR auf die Mietzinszahlungen angewachsen sei. Allein dem Kläger stehe deswegen die von der Beklagten vereinnahmte Miete zu, ohne dass sich daran durch das rund zwei Jahre später eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der GbR etwas geändert habe.

[8] II. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Mietzinsforderungen gegen die KG infolge Anwachsung des Gesellschaftsvermögens in die Insolvenzmasse des ehemaligen Gesellschafters H. L. fallen (1). Daran hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GbR nichts geändert (2). Die Abtretung der Mietzinsforderung an die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Grundschuldgläubigerin steht der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs aus § 816 Abs. 2 BGB für den Monat September 2004 nicht entgegen (3).

[9] 1. Haben die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, wenn ein Gesellschafter ausscheidet, wächst bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters - soweit im Gesellschaftsvertrag für diesen Fall nichts Abweichendes geregelt ist - dem letzten verbleibenden Gesellschafter das Vermögen der GbR an, d.h. die Aktiva und Passiva gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über, ohne dass es eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedarf (st.Rspr.; BGHZ 32, 307, 314 ff.; BGH, Urt. v. 13.12.1965 - II ZR 10/64, WM 1966, 62 f.; v. 27.1.1966 - II ZR 54/64, WM 1966, 513; v. 9.3.1992 - II ZR 195/90, NJW 1992, 2757, 2758; v. 12.7.1999 - II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527; Beschl. v. 18.2.2002 - II ZR 331/00, ZIP 2002, 614, 615; s. auch BGH, Urt. v. 22.9.1993 - IV ZR 183/92, WM 1993, 2259, 2260).

[10] a) So liegt der Fall hier. Das Vermögen der GbR ist mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des R. L. gem. § 17 Nr. 4 GV H. L. angewachsen. Dies folgt, wie das Berufungsgericht unter ausführlicher Begründung ohne revisionsrechtlich relevante Fehler entschieden hat, aus der Auslegung der §§ 16 und 17 Nr. 4 GV.

[11] Während danach § 16 GV die grundsätzliche Regelung enthält, dass in den dort genannten Fällen die verbleibenden Gesellschafter zur Fortsetzung der Gesellschaft berechtigt, aber nicht verpflichtet sind (Fortsetzungsklausel mit Übernahmerecht), stellt § 17 Nr. 4 GV eine davon abweichende Spezialregelung für enumerativ aufgezählte Ereignisse in der Person des Gesellschafters dar. Danach "scheidet der ... Gesellschafter aus der Gesellschaft" u.a. dann "aus", wenn über sein Vermögen das Konkursverfahren (nunmehr: Insolvenzverfahren) eröffnet wird. Anders als in § 16 GV wird in diesem Fall nach der Auslegung des Tatrichters die Gesellschaft "automatisch" fortgesetzt, ohne dass es einer Übernahmeerklärung seitens der verbleibenden Gesellschafter bedarf.

[12] b) Folge der Regelung in § 17 Nr. 4 GV ist, dass im Falle des insolvenzbedingten Ausscheidens eines Gesellschafters dessen Anteil am Gesellschaftsvermögen den verbleibenden Gesellschaftern gem. § 738 BGB anwächst. Mangels abweichender Regelung findet § 17 Nr. 4 GV auch dann Anwendung, wenn infolge des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters keine Gesellschaft mehr existiert, die fortgesetzt werden könnte. Nach der gefestigten, vom Berufungsgericht zutreffend angewandten Rechtsprechung des Senats (s. die Nachw. oben II 1) führt eine Fortsetzungsklausel wie die in § 17 Nr. 4 GV bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelung zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft und Gesamtrechtsnachfolge des letzten verbleibenden Gesellschafters.

[13] 2. Durch die spätere Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der nicht mehr existierenden "GbR" hat sich an dieser materiellen Rechtslage nichts geändert. Ein solcher gegen einen nicht existenten Schuldner ergehender Eröffnungsbeschluss geht ins Leere und ist nach allgemeiner Meinung (Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 27 Rz. 31; Schilken in Jaeger, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 34 Rz. 42; Schmahl in MünchKomm/InsO § 34 Rz. 119) nichtig; er bindet die Prozessgerichte nicht, soweit nicht ausnahmsweise wegen der Eintragung im Handelsregister der Schein einer noch existenten Gesellschaft besteht (BGHZ 113, 216, 217 f.; Kirchhof, a.a.O.) mit der hier - wegen des gegenüber H. L. bereits eröffneten Insolvenzverfahrens - nicht relevanten Folge, dass sich das eröffnete Verfahren dann gegen den nur falsch bezeichneten Schuldner richtet.

[14] 3. Dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des H. L. steht gegen die Beklagte hinsichtlich der Miete für den Monat September 2004 ein Anspruch aus Bereicherungsrecht zu (§§ 812 ff. BGB; 80 Abs. 1, 91, 110 Abs. 1 Satz 1 InsO - s. hierzu BGH, Urt. v. 9.11.2006 - IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 Tz. 15 f.).

[15] Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des H. L. am 11.8.2004 führte nach § 110 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Unwirksamkeit der Abtretung der Mietzinsforderung für den Monat September 2004. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte nicht nur Abtretungsempfängerin, sondern zugleich Grundschuldgläubigerin war (BGH, Urt. v. 9.11.2006, a.a.O.; Beschl. v. 13.7.2006 - IX ZB 301/04, WM 2006, 1685, 1686 f.). Zwangsverwaltung war im September 2004 noch nicht angeordnet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2030394

BB 2008, 1909

DB 2008, 1965

DStR 2008, 1792

HFR 2009, 310

WPg 2008, 1092

NJW 2008, 2992

NWB 2008, 3638

BGHR 2008, 1222

EBE/BGH 2008

EWiR 2008, 679

IBR 2008, 653

MittBayNot 2009, 57

NZG 2008, 704

NZG 2008, 740

NZM 2008, 739

StuB 2008, 976

WM 2008, 1687

ZIP 2008, 1677

MDR 2008, 1223

NZI 2008, 612

ZInsO 2008, 973

NJW-Spezial 2008, 591

RdW 2008, 639

StX 2008, 671

ZNotP 2008, 452

NWB-BB 2009, 179

SJ 2008, 39

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