Entscheidungsstichwort (Thema)
Stille Gesellschaft. Anwendbarkeit der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft
Leitsatz (redaktionell)
Die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft, nach denen die in Vollzug gesetzte fehlerhafte Gesellschaft für die Vergangenheit als wirksam zu behandeln und nur mit Wirkung ex nunc kündbar ist, sind zwar auch auf reine Innengesellschaften wie die stillen Gesellschaften, die kein eigenes Vermögen bilden, anwendbar, gelten jedoch dann nicht, wenn der Inhaber des Handelsgeschäfts i.S.d. § 230 HBG als Vertragspartner des stillen Gesellschafters verpflichtet ist, diesen so zu stellen, als hätte er den Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen und seine Einlage nicht geleistet.
Normenkette
HGB § 230; BGB § 278
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Schleswig v. 5.12.2002 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Beklagte nicht zur Zahlung verurteilt, sondern die von dem LG zugesprochene Forderung in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der früheren Beklagten zur Tabelle festgestellt wird.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter der R. AG (im Folgenden: die Beklagte). Die Beklagte, deren sämtliche Aktien von ihrem vormaligen Alleinvorstand A. Re. gehalten werden, befasste sich mit dem Erwerb und der Verwertung von Kapitalanlagen, Unternehmensbeteiligungen und Immobilien. Das dafür erforderliche Kapital brachte sie durch den Abschluss zahlreicher stiller Gesellschaftsverträge auf. Nach dem jeweils zu Grunde liegenden "Vertrag über eine Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter" hatte der Anleger eine Einlage als Einmalzahlung oder in monatlichen Raten zu erbringen. Weiter war vorgesehen, dass die stillen Gesellschafter im Innenverhältnis an dem Vermögen der Beklagten so beteiligt sein sollten, als ob es ihnen und der Beklagten gemeinsam gehören würde, und dass den stillen Gesellschaftern der Gewinn im Wesentlichen entsprechend der Höhe ihrer Einlagen und dem Grundkapital der Beklagten zustehen sollte - nach Abzug eines Vorwegbetrages i.H.v. 6 % zu Gunsten der Beklagten. Ferner sollten die stillen Gesellschafter nach dem gleichen Schlüssel an etwaigen Verlusten beteiligt sein, allerdings nur bis zur Höhe ihrer jeweiligen Einlage. Bei einer Beendigung der stillen Gesellschaft sollte eine Auseinandersetzung stattfinden, bei der die Vermögenswerte einschließlich des Geschäftswerts des Unternehmens unter Auflösung stiller Reserven mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen sein sollten.
Am 22.11.2000 unterzeichnete der Kläger Angebote ("Zeichnungsscheine") zum Abschluss zweier Gesellschaftsverträge nach dem vorbezeichneten Muster mit Einlagen i.H.v. 14.000 DM und 13.440 DM, jeweils nebst einem Agio und zahlbar teilweise sofort, teilweise in monatlichen Raten. Dabei - nach der Behauptung der Beklagten bereits früher - erhielt er einen mit "Präsentation" überschriebenen Prospekt der Beklagten.
Mit Anwaltsschreiben v. 17.4.2001 forderte der Kläger die Beklagte auf, die von ihm bereits geleisteten Zahlungen zurückzugewähren, und verweigerte weitere Zahlungen. Zur Begründung machte er geltend, die Verträge seien wegen Verstoßes gegen § 32 KWG gem. § 134 BGB nichtig. Hilfsweise erklärte er die Kündigung der Verträge wegen mangelhafter Aufklärung über die Nachteile und Risiken der Kapitalanlage.
Mit seiner Klage hat der Kläger Rückzahlung von 16.353,32 DM verlangt, das sind die von ihm an die Beklagte gezahlten Beträge abzgl. einer Entnahme i.H.v. 466,68 DM. LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Der Kläger wehrt sich gegen die Revision mit der Maßgabe, dass die Forderung zur Tabelle festgestellt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Verträge als Einlagengeschäfte i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 32 KWG anzusehen und deshalb mangels einer dafür erforderlichen Erlaubnis der Beklagten gem. § 134 BGB nichtig sind, ob sie wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig sind und ob sie wegen der Möglichkeit der Beklagten, Börsentermingeschäfte zu tätigen bei fehlender Termingeschäftsfähigkeit des Klägers nach § 53 BörsG a.F., unwirksam sind. Es hat angenommen, dass die Beklagte nach den Grundsätzen der Prospekthaftung und des Verschuldens bei Vertragsschluss zur Rückzahlung der geleisteten Beiträge verpflichtet sei und dass dieser Pflicht die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft nicht entgegenstünden.
II. Die Revision wendet sich nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Angaben in dem von der Beklagten herausgegebenen Prospekt genügten nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Richtigkeit und Vollständigkeit von Prospekten im Rahmen von Kapitalanlagemodellen und begründeten deshalb eine Schadensersatzpflicht der Beklagten als der für den Prospekt Verantwortlichen (vgl. BGH v. 24.4.1978 - II ZR 172/76, BGHZ 71, 284; v. 6.10.1980 - II ZR 60/80, BGHZ 79, 337 = MDR 1981, 648; v. 5.7.1993 - II ZR 194/92, BGHZ 123, 106 = AG 1994, 32 = MDR 1993, 1068; Urt. v. 18.12.2000 - II ZR 84/99, MDR 2001, 638 = BGHReport 2001, 245 = ZIP 2001, 369; v. 3.2.2003 - II ZR 233/01, DStR 2003, 1494). Ebenso nimmt sie die Auffassung des Berufungsgerichts hin, die Beklagte hafte zusätzlich wegen Verletzung von Aufklärungspflichten nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss (c.i.c.) i.V.m. § 278 BGB.
Dagegen ist revisionsrechtlich auch nichts einzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss einem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt vermittelt werden, d.h. er muss über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken, zutreffend, verständlich und vollständig aufgeklärt werden (BGH v. 6.10.1980 - II ZR 60/80, BGHZ 79, 337 [344] = MDR 1981, 648; Urt. v. 7.4.2003 - II ZR 160/02, BGHReport 2003, 800 = WM 2003, 1087 [1088]). Das ist hier - wie das Berufungsgericht in fehlerfreier tatrichterlicher Würdigung festgestellt hat - weder durch den Prospekt noch durch die Erklärungen der für die Beklagte tätig gewordenen Vermittler K. und F. geschehen. Die fehlerhafte Aufklärung ist nach der Lebenserfahrung auch ursächlich für die Anlageentscheidung geworden (vgl. BGH, Urt. v. 29.5.2000 - II ZR 280/98, NJW 2000, 3346 [3347]). Damit ist der Kläger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er die beiden stillen Gesellschaftsverträge nicht abgeschlossen hätte. Ob die Investition tatsächlich werthaltig ist, spielt dabei keine Rolle. Zwar hat der BGH angenommen, dass es bei einer voll werthaltigen Kapitalanlage an einem Schaden des Anlegers fehlen könne (BGH BGHZ 115, 213 [221]; Urt. v. 27.9.1988 - XI ZR 4/88, MDR 1989, 157 = UR 1990, 23 = ZIP 1988, 1464 [1467]; v. 19.12.1989 - XI ZR 29/89, WM 1990, 681 [684]). Hier geht es aber um Nachteile und Risiken des von der Beklagten angebotenen Anlagemodells, die sich nicht auf die von ihr getätigten Investitionen, sondern auf die Art der Vertragsgestaltung im Rahmen der stillen Gesellschaften beziehen. Das betrifft nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die ungünstigen Entnahmemöglichkeiten, die langfristige Vertragsbindung und insbesondere die Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit der im Ermessen der Beklagten stehenden Anlagestrategie. Damit liegt der Schaden des Klägers darin, dass er überhaupt eine derart ungünstige Art der Vermögensanlage gewählt hat, unabhängig von dem gegenwärtigen Stand dieses Vermögens.
III. Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Inanspruchnahme der Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Einlagen verstoße nicht gegen die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft. Sie meint, diese Grundsätze seien auf eine stille Gesellschaft ohne Einschränkungen anwendbar und führten dazu, dass die Beteiligungen des Klägers nur mit Wirkung für die Zukunft beendet werden könnten und dass er nicht seine vollen Einlagen, sondern nur seine möglicherweise geringeren Abfindungsguthaben herausverlangen könne. Dem kann nicht gefolgt werden.
Das Berufungsgericht hat aus den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft, nach denen die in Vollzug gesetzte fehlerhafte Gesellschaft für die Vergangenheit als wirksam zu behandeln und lediglich mit Wirkung ex nunc kündbar ist, zu Recht keine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs des Klägers hergeleitet. Der Senat hat diese Grundsätze zwar nicht nur auf Gesellschaften mit eigenem Vermögen angewandt, sondern auch auf reine Innengesellschaften wie die stillen Gesellschaften, die kein gemeinschaftliches Vermögen bilden (BGH BGHZ 8, 157 [166 ff.]; BGHZ 55, 5 [8 ff.]; BGHZ 62, 234 [237]; Urt. v. 12.2.1973 - II ZR 69/70, WM 1973, 900 [901]; v. 25.11.1976 - II ZR 187/75, WM 1977, 196 [197]; v. 22.10.1990 - II ZR 247/89, NJW-RR 1991, 613 [614]; v. 29.6.1992 - II ZR 284/91, GmbHR 1992, 747 = MDR 1992, 948 = ZIP 1992, 1552 [1554]; zweifelnd in Urt. v. 18.6.1990 - II ZR 132/89, WM 1990, 1543 [1546]; ebenso Zutt in Großkomm./HGB, 4. Aufl., § 230 Rz. 69; Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 230 Rz. 11; dagegen Ulmer in MünchKomm/BGB 4. Aufl. § 705 Rz. 359; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband 2002, S. 143 ff.; Hüffer, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl., § 22 Fn. 28; vermittelnd - nur bei atypischen Gesellschaften - K. Schmidt in MünchKomm/HGB § 230 Rz. 130 ff.). Das kann aber jedenfalls dann nicht gelten, wenn der Vertragspartner des stillen Gesellschafters, der Inhaber des Handelsgeschäfts i.S.d. § 230 HGB, verpflichtet ist, den stillen Gesellschafter im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als hätte er den Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen und seine Einlage nicht geleistet. Jedenfalls ein solcher Anspruch unterliegt nicht den Beschränkungen nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft (BGH, Urt. v. 24.5.1993 - II ZR 136/92, MDR 1993, 951 = ZIP 1993, 1089 [1090 f.]; Bayer/Riedel, NJW 2003, 2567 [2571 f.]; von Gerkan, EWiR § 235 HGB 1/03, S. 1037 f.; a.A. Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 [198]).
Das ergibt sich aus den Besonderheiten der stillen Gesellschaft im Gegensatz zu einer Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer Kommanditgesellschaft. Wer einer solchen Publikumsgesellschaft beitritt, um sein Vermögen anzulegen, kann bei einer mangelhaften Aufklärung über die Risiken und Chancen des Anlageprojekts von der Gesellschaft weder Schadensersatz noch sonst Rückabwicklung seiner Gesellschaftsbeteiligung verlangen, weil die fehlerhafte Aufklärung der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann. Der einzelne Gesellschafter hat auf die Beitrittsverträge neuer Gesellschafter keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten, tritt insoweit auch nicht in Erscheinung und ist im Gegenteil bei seinem eigenen Eintritt in die Gesellschaft regelmäßig selbst getäuscht oder jedenfalls nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden (st.Rspr., s. etwa BGH, Urt. v. 21.7.2003 - II ZR 387/02, BGHReport 2003, 1208 = MDR 2003, 1188 = NJW 2003, 2821 [2822]). Wohl aber hat der eintretende Gesellschafter Schadensersatzansprüche gegen die Initiatoren der Gesellschaft, gegen die Gründungsgesellschafter und gegen diejenigen, die sonst für die Mängel seines Beitritts verantwortlich sind (BGH BGHZ 26, 330 [333 f.]). Das ist bei der stillen Gesellschaft in dem vorliegenden Anlagemodell anders. Hier tritt der Anleger nicht einer bestehenden Publikumsgesellschaft bei, sondern bildet mit der von dem Initiator des Anlageprojekts gegründeten Aktiengesellschaft eine neue - stille - Gesellschaft. Dabei beschränken sich seine Rechtsbeziehungen allein auf diese Aktiengesellschaft. Sie schuldet ihm bei einer Beendigung der stillen Gesellschaft das Auseinandersetzungsguthaben. Zugleich haftet sie ihm nach den Grundsätzen der Prospekthaftung und des Verschuldens bei Vertragsschluss, jeweils i.V.m. § 31 BGB und ggf. § 278 BGB, auf Schadensersatz. Anders als bei einer Publikumsgesellschaft richten sich der Auseinandersetzungs- und der Schadensersatzanspruch gegen dieselbe Person. Nicht eine solche Gesellschaft ist Adressat des gesellschaftsrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs, sondern ausschließlich die als Inhaberin des Handelsgewerbes i.S.d. § 230 HGB auftretende Aktiengesellschaft, mit der allein der stille Gesellschaftsvertrag zu Stande gekommen ist, und die zugleich im Wege des Schadensersatzes verpflichtet ist, etwaige Minderungen der gesellschaftsrechtlichen Einlage auszugleichen. Dann aber kann der Schadensersatzanspruch nicht nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft beschränkt sein. Auch der Schutz der Gläubiger gebietet eine solche Beschränkung nicht, schon weil es bei der stillen Gesellschaft an einem durch Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften geschützten Gesellschaftsvermögen fehlt.
Da der Kläger somit seinen Schadensersatzanspruch ohne Einschränkungen durch die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft geltend machen kann, bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob diese Grundsätze - wie die Revisionserwiderung meint - auch deshalb nicht zur Anwendung kommen würden, weil die stille Beteiligung des Klägers an der beklagten Aktiengesellschaft einen Teilgewinnabführungsvertrag i.S.d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG darstellt (vgl. BGH Urt. v. 21.7.2003 - II ZR 109/02, AG 2003, 625 = BGHReport 2003, 1270 = MDR 2003, 1428 = NJW 2003, 3412 [3413]) und deshalb nach § 294 Abs. 2 AktG erst wirksam wird mit der Eintragung in das Handelsregister, wozu das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat.
Entgegen der Auffassung der Revision kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger auf Grund seiner Beteiligung Steuervorteile erlangt hat. Darauf hätte sich die Beklagte in den Tatsacheninstanzen berufen müssen, was nicht geschehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1213413 |
BB 2004, 2147 |
DB 2004, 1988 |
DB 2004, 2209 |
DStR 2004, 1799 |
DStZ 2004, 695 |
BGHR 2004, 1498 |
EBE/BGH 2004, 322 |
NJW-RR 2004, 1407 |
EWiR 2004, 1093 |
NZG 2004, 961 |
StuB 2005, 143 |
WM 2004, 1823 |
WM 2004, 2019 |
WuB 2004, 943 |
ZIP 2004, 1706 |
ZfIR 2004, 942 |
RÜ 2004, 579 |
ZBB 2004, 415 |
BBV 2005, 39 |
FB 2004, 788 |
JWO-VerbrR 2004, 292 |
LL 2005, 20 |
LMK 2004, 189 |
SJ 2004, 37 |