BGH Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht

Der BGH hat am 9.1.2024 entschieden, ob einem Käufer beim Grundstückskaufvertrag ein Missbrauch der Vertretungsmacht des Geschäftsführers der Verkäuferin auffallen muss, wenn er weiß, dass die Gesellschaft ihren wesentlichen Vermögensgegenstand verkauft, kein Gesellschafterbeschluss vorliegt und Streit um die Abberufung des Geschäftsführers besteht.

Hintergrund

Der BGH hatte über eine Klage einer GmbH aus der Immobilienwirtschaft (Klägerin und Verkäuferin) zu entscheiden, die sich gegen die Wirksamkeit eines notariellen Grundstückskaufvertrags richtete und die Beklagte (eine Verwaltungs GmbH und die Käuferin) auf Zustimmung zur Löschung einer Auflassungsvormerkung in Anspruch nahm.

Die Gesellschafter der Klägerin waren eine A GmbH (Mehrheitsgesellschafterin) und eine B GmbH & Co. KG als Minderheitsgesellschafterin. Einziger Vermögensgegenstand der Klägerin war ein Grundstück am Kurfürstendamm in Berlin, welches mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut war. Dieses teilte die Klägerin im Sommer 2015 in mehrere Gewerbeeinheiten und Eigentumswohnungen auf. Zwischen dem Geschäftsführer D der Klägerin und der Mehrheitsgesellschafterin kam es in der Folge zu Unstimmigkeiten. In einer als „Letter of guarantee“ überschriebenen Urkunde vom 23.10.2017 erklärte der Geschäftsführer D gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, dass er keine Veräußerung, Belastung, vertragliche Bindung oder Vermögensschmälerung ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin vornehmen werde.

Anfang 2018 betrieb die Mehrheitsgesellschafterin die Abberufung des D als Geschäftsführer sowie die Einziehung des Geschäftsanteils der Minderheitsgesellschafterin und verhandelte mit D über die Veräußerung des Grundstücks (der Klägerin) am Kurfürstendamm. In einem Vereinbarungsentwurf war ein Verkaufspreis von 16 Mio. € vorgesehen, von dem mindestens 9 Mio. € an die Mehrheitsgesellschafterin fließen sollten.

Am 16.6.2018 – einem Samstag – wurde der Verkauf der Gewerbeeinheiten und Eigentumswohnungen der Klägerin zu einem Preis von 12,2 Mio. EUR beurkundet. Zu Gunsten der Beklagten wurden Auflassungsvormerkungen eingetragen.

Das Landgericht hat die Klage auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkungen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe

Wenig überraschend stellte der BGH auch in dieser Entscheidung (vgl. BGH, Urteil v. 8.1.2019 – II ZR 364/18) noch einmal fest, dass § 179a AktG (mit der Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Kaufvertrages) keine analoge Anwendung auf die GmbH findet. Denn die Gesellschafter einer GmbH haben durch Mitwirkungs-, Informations- und Kontrollrechte deutlich größeren Einfluss auf die Geschäftsleitung als Aktionäre und bedürfen daher nicht des Schutzes aus § 179a AktG analog.

Zudem weist der Senat auf das Selbsthilferecht des Minderheitsgesellschafters aus § 50 Abs. 3 GmbHG hin, wonach ein Gesellschafter, der mindestens 10% des Stammkapitals hält, die Einberufung der Gesellschafterversammlung selbst bewirken kann, wenn seinem vorherigen Einberufungsverlangen nicht oder nicht ausreichend oder ordnungsgemäß nachgekommen wurde. Dies gilt selbst dann, wenn eine Einberufung durch den Geschäftsführer einem Formmangel unterliegt und der Minderheitsgesellschafter erklärt hat, dass er sich auf den Formmangel nicht berufen will.

Der BGH hält die Feststellungen des Kammergerichtes als Vorinstanz in entscheidenden Punkten jedoch für nicht ausreichend und verwies den Fall daher mit folgenden Argumenten zurück:

1. Missbrauch der Vertretungsmacht

Zutreffend habe das KG zwar angenommen, dass der ehemalige Geschäftsführer D mit dem Abschluss des Grundstückskaufvertrages ohne Gesellschafterbeschluss die im Innenverhältnis bestehenden Grenzen seiner nach § 15 Abs. 1 HGB als fortbestehend anzusehenden Vertretungsmacht missachtet hat, allerdings könne – so anders noch die Annahme des KG als Berufungsgerichts – dieser Missbrauch der Vertretungsmacht auf das Außenverhältnis durchschlagen.

2. Geltung der Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB

Im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB gelten auch die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Die Rechtsscheinregeln des § 15 Abs. 1 HGB bewirken, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann.

3. Zustimmungsbedürftigkeit des Grundstücksgeschäfts

Das KG habe zwar zutreffend angenommen, dass die Zustimmungsbedürftigkeit des Grundstücksgeschäfts aus § 49 Abs. 2 GmbHG folge, unzutreffend sei dagegen die Feststellung, die Rechtslage im Zeitpunkt der Beurkundung sei umstritten gewesen. Dem Geschäftsführer einer GmbH komme, vorbehaltlich gesetzlicher Pflichten, Geschäftsführungsbefugnis nur dann und insoweit zu, als die Gesellschafterversammlung von ihrer Geschäftsführungskompetenz weder durch Regelung im Gesellschaftsvertrag noch durch Beschlussweisung an den Geschäftsführer Gebrauch macht.

Eine Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens einer GmbH sei ein so besonders bedeutsames Geschäft, dass der Geschäftsführer einen zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Vornahme des Geschäfts herbeiführen muss, selbst wenn der Gesellschaftsvertrag – wie im Fall der Klägerin – keinen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt enthält.

4. Erkennbarkeit des Missbrauchs der Vertretungsmacht

Jedenfalls teilweise rechtsfehlerhaft sei auch die Begründung des KG, mit der ein für die Beklagte erkennbarer Missbrauch der Vertretungsmacht verneint wurde. Denn auch in den Fällen, in denen mit einer Immobilie nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden soll, kann sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen kann (BGH, Urteil v. 8.1.2019 – II ZR 364/18). Dies gelte nach dem BGH vor allem dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – bereits die Firma der Gesellschaft in nach außen offensichtlicher Weise darauf hinweist, dass die Immobilie ihr alleiniger oder zumindest wesentlicher Vermögensgegenstand ist.

Unvollständig habe das KG den Umstand gewürdigt, die Beklagte habe im Vertrauen auf die rechtliche Einschätzung des Notars hinsichtlich der Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses gehandelt und sei daher einem Rechtsirrtum unterlegen gewesen. Das KG habe sich nämlich nicht mit der Zeugenaussage des damaligen Geschäftsführers K. der Beklagten befasst, auf dessen Kenntnis es maßgeblich ankomme. Dieser habe bekundet, im Beurkundungstermin sei über ein Beschlusserfordernis überhaupt nicht gesprochen worden, bzw. er könne sich nicht daran erinnern. Nach Auffassung des BGH hätte hier nach Lage des Falles die Beschlussnotwendigkeit angesichts der evidenten Veräußerung des wesentlichen Vermögensgegenstandes auch für einen juristischen Laien auf der Hand gelegen, wenn man die Wahrnehmung des notariellen Rats zur Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses auf Seiten der Beklagten hinweg denke.

Fazit und Praxishinweis

Dreh- und Angelpunkt ist hier die Frage, ob sich der Beklagten aufdrängen musste, dass der D seine Vertretungsmacht zum Zeitpunkt der Beurkundung des Grundstückskaufvertrages missbrauchte. Die Anforderungen sind hier sehr hoch, aber erstaunlicherweise muss sich auch einem juristischen Laien aufdrängen, dass bei der Veräußerung des wesentlichen Vermögensgegenstandes des Veräußerers ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist.

Der BGH hat bestätigt, dass Dritte sich grundsätzlich auf den ausdrücklichen, die Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses attestierenden Rat des beurkundenden Notars verlassen kann, solange der Rat weder erkennbar fehlerhaft noch offensichtlich auf falschen bzw. unzureichenden Grundlagen erteilt wurde.

Für die Feststellungen zum Missbrauch der Vertretungsmacht sind nach dem BGH alle Umstände des Einzelfalls zu erfassen, dem war das LG durch die unzureichende Berücksichtigung der Zeugenaussage des ehemaligen Geschäftsführers K. der Beklagten jedoch nicht hinreichend nachgekommen.

Es bleibt abzuwarten, ob eine erneute Zeugenvernehmung des ehemaligen Geschäftsführers K. der Beklagten – immerhin fast 6 Jahre nach dem Beurkundungstermin – noch neue Erkenntnisse dazu bringt, ob über eine Beschlussnotwendigkeit gesprochen wurde und K. sich (nunmehr) daran erinnern kann. Sollte sich die Erteilung des Rechtsrats des Notars (der sich erst im Nachhinein durch die geänderte Rechtsprechung des BGH als unzutreffend herausstellte) auch nicht zweifelsfrei aus anderen Umständen ergeben, dürfte die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg haben.

Dieses lange Verfahren hätte sich die Klägerin möglicherweise „sparen“ können, wenn sie bereits im Vorhinein Maßnahmen zum Schutz ihrer Vermögensposition gegen das eigenmächtige Handeln des Geschäftsführers D getroffen hätte, wie beispielsweise die Begründung einer nur gemeinschaftlichen Vertretungsbefugnis mit einem anderen Geschäftsführer oder gemeinsam mit einem Prokuristen (Seibt, ZIP 2024, 866), die Einhaltung der Formalia bei der Einberufung der Gesellschafterversammlung mit dem Ziel der Abberufung des Geschäftsführers oder aber – insbesondere wenn es schnell gehen muss – die Beantragung einer einstweiligen Verfügung, mit dem Ziel, dem Geschäftsführer bestimmte Geschäfte zu verbieten (OLG Saarbrücken, NZG 2023, 1551). Diese Maßnahmen sollten Gesellschafter insbesondere auch dann in Erwägung ziehen, wenn der Geschäftsführer (wie hier der D) bereits angekündigt hat, den Interessen der Gesellschafter zuwider handeln zu wollen.

In jedem Fall sollte sich der Erwerber beim Kauf des wesentlichen Vermögensgegenstandes einer GmbH von dieser den zustimmenden Gesellschafterbeschluss der Gesellschafterversammlung vorlegen lassen.

(BGH, Urteil v. 9.1.2024, II ZR 220/22)