Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 8
Erfasst werden von dem Verbot des Abs. 1 nur Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger, so dass auch hierfür wieder auf die in § 38 enthaltene Legaldefinition abzustellen ist. Unter den Begriff der Insolvenzgläubiger fallen auch die in § 39 definierten nachrangigen Insolvenzgläubiger. Da zu den nachrangigen Insolvenzforderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 nunmehr auch die seit Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen für Forderungen der Insolvenzgläubiger gehören, ist entgegen dem früheren Rechtszustand nach § 14 Abs. 1 KO eine Vollstreckung wegen dieser Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner nicht mehr möglich.
Das Vollstreckungsverbot des § 89 gilt nicht für die Massegläubiger nach § 55. Für einige Massegläubiger, nämlich die Gläubiger "oktroyierter" Masseverbindlichkeiten, ist aber das zeitweilige Vollstreckungsverbot nach § 90 zu beachten. Ferner ergibt sich bei (angezeigter) Masseunzulänglichkeit oder Massearmut ein Vollstreckungsverbot für Massegläubiger aus § 210 in unmittelbarer Anwendung (zulasten der in § 209 Abs. 1 Nr. 3 genannten Massegläubiger) oder in analoger Anwendung (zulasten der in § 209 Abs. 1 Nr. 2 genannten Massegläubiger zwecks Wahrung des Vorrangs der in § 209 Abs. 1 Nr. 1 genannten Massegläubiger oder zulasten eines Massegläubigers nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 zwecks Wahrung der in § 207 Abs. 3 Satz 1 festgelegten Ranggleichheit aller Massegläubiger dieser Rangklasse). – Möglich ist eine Vollstreckung wegen der Ansprüche, die den Aussonderungsgläubigern nach §§ 47, 48 zustehen.
Rn 9
Schließlich sind auch während des Insolvenzverfahrens Vollstreckungsmaßnahmen der absonderungsberechtigten Gläubiger (§§ 49 ff.) zur Verwirklichung ihrer Absonderungsrechte zulässig, jedoch sind dabei die sich aus den §§ 166 – 173 InsO, §§ 30d ff., 153b f. ZVG ergebenden Beschränkungen zu beachten. Kontrovers wurde (und wird noch) die Frage diskutiert, ob bei einem vermieteten oder verpachteten Grundstück ein Grundpfandgläubiger sein Absonderungsrecht (§ 49) während des Insolvenzverfahrens dadurch verwirklichen kann, dass er die ihm haftenden Miet- oder Pachtforderungen (§ 1123 Abs. 1 BGB) aufgrund eines dinglichen Titels pfänden lässt. Der BGH hat dies zutreffend verneint. Er kann sich hierbei zum einen auf den Wortlaut des § 49 stützen, wonach die dort genannten Gläubiger (nur) "nach Maßgabe des ZVG", also mittels Zwangsversteigerung (§§ 15 ff. ZVG) oder mittels Zwangsverwaltung (§§ 146 ff. ZVG), zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sind. Vor allem entspricht es der Interessenlage, eine Verwirklichung des Absonderungsrechts an Miet- oder Pachtforderungen nicht durch deren Pfändung, sondern nur im Wege der Zwangsverwaltung zuzulassen. Im Fall der Zwangsverwaltung sorgen § 155 Abs. 1, § 156 Abs. 1 ZVG dafür, dass aus den Miet- oder Pachteinnahmen vorweg die Ausgaben der Verwaltung (z.B. Kosten der Gebäudeunterhaltung und -versicherung) und die öffentlichen Lasten bestritten werden können, während es bei einer Pfändung der Miet- oder Pachtforderungen an einem solchen Schutz der Insolvenzmasse und der Insolvenzgläubiger fehlt.
Rn 10
Für die Anwendung des Vollstreckungsverbots ist es unerheblich, ob der Gläubiger von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und von der Zugehörigkeit des Vollstreckungsgegenstandes zur Insolvenzmasse Kenntnis hatte, da es bei Zwangsvollstreckungen keinen Gutglaubensschutz gibt. Auch ein Insolvenzgläubiger, der auf die Teilnahme am Insolvenzverfahren verzichtet, darf nicht in etwaiges insolvenzfreies Vermögen des Insolvenzschuldners vollstrecken, also z.B. nicht künftige, erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens entstehende Forderungen pfänden lassen, da sich seine Qualifikation als Insolvenzgläubiger nach § 38 allein aus dem Bestehen des materiellen Anspruchs ergibt und nicht aus dessen Verfolgung im Insolvenzverfahren.