Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung des gerichtlichen Instanzenzugs. Rechtsschutz gegen Feststellungsbescheid mit negativen Besteuerungsgrundlagen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung durch ein Gericht genügt insbesondere dann, wenn bereits eine an Recht und Gesetz gebundene Verwaltungsbehörde in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren eine Entscheidung getroffen hat.
2. Der Gesetzgeber kann verfassungsrechtlich unbedenklich eröffnete Instanzenzüge schließen oder einschränken. Dies kann, wie durch Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG, auch durch ein zeitlich befristetes Gesetz und in der Weise geschehen, daß die Zulässigkeit der Beschwerde von der an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Zulassung durch den iudex a quo abhängig gemacht und gegen die Nichtzulassung kein Rechtsbehelf gewährt wird.
3. Daß das Finanzgericht selbst darüber entscheidet, ob gegen „seine” Entscheidung die Beschwerde statthaft ist, läuft nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwider (hier: Beschluß in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung).
4. Seit der Entscheidung vom 10. Juli 1979 VIII B 84/78 (BFHE 128, 164) gewähren die Ertragsteuersenate des BFH vorläufigen Rechtsschutz nicht durch einstweilige Anordnung, sondern durch Aussetzung der Vollziehung, wenn in einem Feststellungsbescheid ein Verlust aus Gewerbebetrieb niedriger als erklärt festgestellt wurde. Daß und mit welcher Begründung für Bescheide über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens etwas anderes als bei der Feststellung der Einkünfte gelten sollte, läßt sich der Rechtsprechung des BFH nicht entnehmen.
5. Die Zulassung der Beschwerde in einem Änderungsbeschluß nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die nachträgliche Zulassung der Beschwerde nach Ansicht des BFH gemäß Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG unstatthaft und unbeachtlich sei. Denn das Finanzgericht kann seine Beschlüsse auf Gegenvorstellung der Beteiligten nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO auch in der Weise abändern, daß es inhaltlich zwar an seiner vorangegangenen Entscheidung festhält und diese wiederholt, die Beschwerde aber nunmehr zuläßt, weil es abweichend von der zunächst getroffenen Entscheidung einen der Zulassungsgründe für gegeben hält.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 3; BFHEntlG Art. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde ist teils unzulässig, teils hat sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, gewährleisten weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip einen gerichtlichen Instanzenzug (BVerfGE 11, 232 ≪233≫; 28, 21 ≪36≫; 54, 277 ≪291≫). Die Entscheidung durch ein Gericht genügt insbesondere dann, wenn bereits eine an Recht und Gesetz gebundene Verwaltungsbehörde in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren eine Entscheidung getroffen hat (BVerfGE 8, 174 ≪182≫). Hiervon ist erst recht dann auszugehen, wenn es nicht um die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung, sondern lediglich um die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerverwaltungsakts geht und zu diesem Zweck die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfsverfahrens summarisch abzuschätzen sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings zu Art. 19 Abs. 4 GG entschieden, daß der Zugang zu einer gesetzlich eröffneten weiteren Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl. BVerfGE 44, 302 ≪305 f.≫). Dieses Erschwerungsverbot wendet sich vorzugsweise an den Richter und macht ihm zum Beispiel zur Auflage, bei der Handhabung des Prozeßrechts eine Verzögerung der Postzustellung oder der Entgegenahme einer Rechtsmittelschrift durch das Gericht nicht dem rechtsuchenden Prozeßbeteiligten als Verschulden anzurechnen und sich auf diese Weise einer Sachentscheidung zu entziehen. Dagegen kann der Gesetzgeber verfassungsrechtlich unbedenklich eröffnete Instanzenzüge schließen oder einschränken. Dies kann, wie durch Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG, auch durch ein zeitlich befristetes Gesetz und in der Weise geschehen, daß die Zulässigkeit der Beschwerde von der an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Zulassung durch den iudex a quo abhängig gemacht und gegen die Nichtzulassung kein Rechtsbehelf gewährt wird.
Daß auf diese Weise das Finanzgericht selbst darüber entscheidet, ob gegen „seine” Entscheidung die Beschwerde statthaft ist, läuft nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwider (vgl. BVerfGE 19, 323 ≪328≫; 28, 1≪8≫). Denn es muß von dem Gericht erwartet werden, daß es über die Frage der Zulassung der Beschwerde unbefangen und objektiv entscheidet. Der Beschwerdeführer macht zu Unrecht geltend, seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung hätte ausnahmsweise als statthaft erachtet werden müssen, weil er mit der Beschwerde verfassungsrechtliche Argumente vorgebracht hat. Diese Ansicht findet in Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG keine Stütze. Nach dieser klaren und eindeutigen Vorschrift ist die Entscheidung des Finanzgerichts über die Nichtzulassung der Beschwerde nicht mit der Beschwerde angreifbar.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts ist erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Zu Unrecht meint der Beschwerdeführer, durch die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig sei die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts neu in Lauf gesetzt worden. Dies wäre nur zutreffend, wenn der Beschwerdeführer sich in einer berechtigten Ungewißheit über die Zulässigkeit seines Rechtsmittels befunden hätte (vgl. BVerfGE 5, 17 ≪19≫). Die Verwerfung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels setzt jedoch die Frist für die Verfassungsbeschwerde nicht neu in Lauf, weil die Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels nicht zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört. Darüber, daß die Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig war, konnte der Beschwerdeführer angesichts der Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung (Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG), der Rechtsmittelbelehrung durch das Finanzgericht und der zu Art.1 Nr. 3 BFHEntlG ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht im Ungewissen sein (vgl. BVerfGE 28, 1 ≪6≫).
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts ist überdies auch deshalb nicht zulässig, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft hat; denn wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, stellt die Änderungsmöglichkeit des § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO i.V.m. Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG – danach kann das Finanzgericht den Beschluß über den Aussetzungsantrag jederzeit von Amts wegen oder auf Antrag ändern – einen Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG dar. Von dieser Änderungsmöglichkeit hat der Beschwerdeführer noch keinen erschöpfenden Gebrauch gemacht. Dies gilt insbesondere insoweit, als das Finanzgericht eine Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1977 und 1. Januar 1979 mit der Erwägung abgelehnt hat, diese Bescheide hätten, da sie auf negative Beträge lauteten, keinen vollziehbaren Inhalt, und sich zur Begründung auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 26. Januar 1983 (BFHE 137, 235) berufen hat. Diese Entscheidung befaßt sich indessen mit der – hier nicht aufzuwerfenden – Frage, in welcher Form einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn die Finanzbehörde die Feststellung (negativer oder positiver) Besteuerungsgrundlagen überhaupt ablehnt und einen sogenannten negativen Feststellungsbescheid erläßt. Hier geht es indessen darum, in welcher Form vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn die Finanzbehörde durch einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Einkünfte oder Einheitswert des Betriebsvermögens) negative Beträge festgestellt hat, diese aber nach Ansicht des Betroffenen erhöht werden müßten. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hierzu hat sich gewandelt (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Stand Januar 1985, § 69 FGO Tz. 3 a S. 13 mit Nachweisen über die ältere Rechtsprechung). Seit der Entscheidung vom 10. Juli 1979 (BFHE 128, 164) gewähren die Ertragsteuersenate des Bundesfinanzhofs vorläufigen Rechtsschutz nicht durch einstweilige Anordnung, sondern durch Aussetzung der Vollziehung, wenn in einem Feststellungsbescheid ein Verlust aus Gewerbebetrieb niedriger als erklärt festgestellt wurde (vgl. BFHE 131, 455 m.w.N.). Daß und mit welcher Begründung für Bescheide über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens etwas anderes als bei der Feststellung der Einkünfte gelten sollte, läßt sich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht entnehmen. Auf einen Änderungsantrag des Beschwerdeführers wird das Finanzgericht mithin zu prüfen haben, ob es sich dieser Rechtsprechung anschließen und in eine Sachprüfung des Aussetzungsantrags hinsichtlich des Einheitswerts des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1977 und 1. Januar 1979 eintreten oder ob es von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs abweichen will. In diesem Falle wird es nicht umhin können, die Beschwerde nach Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG zuzulassen. Eine willkürliche Nichtzulassung der Beschwerde kann geeignet sein, den Betroffenen seinem gesetzlichen Richter zu entziehen (vgl. Krämer, FamRZ 1980, S. 971 ≪973≫ m.w.N.).Die Zulassung der Beschwerde in einem Änderungsbeschluß nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO kann auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß die nachträgliche Zulassung der Beschwerde nach Ansicht des Bundesfinanzhofs gemäß Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG unstatthaft und unbeachtlich sei (vgl. BFHE 125, 150). Denn das Finanzgericht kann seine Beschlüsse auf Gegenvorstellung der Beteiligten nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO auch in der Weise abändern, daß es inhaltlich zwar an seiner vorangegangenen Entscheidung festhält und diese wiederholt, die Beschwerde aber nunmehr zuläßt, weil es abweichend von der zunächst getroffenen Entscheidung einen der Zulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 FGO) für gegeben hält.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen