BMF, Schreiben v. 14.7.2004, IV C 1 - S 2252 - 171/04, BStBl I 2004, 611
Zu Zweifelsfragen bei der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG auf Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung einer Kapitalanlage bei vorübergehender oder endgültiger Zahlungseinstellung des Emittenten nehme ich unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wie folgt Stellung:
Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen wird von dem Grundsatz beherrscht, dass zwischen dem Kapitalvermögen als solchem und dem Ertrag als Frucht des Kapitals zu unterscheiden ist. Grundsätzlich wirken sich deshalb Wertveränderungen der Kapitalanlage als solche auf die Besteuerung der erzielten Erträge im Rahmen des § 20 EStG nicht aus (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs; zuletzt Urteil vom 24.10.2000, BStBl 2001 II S. 97).
Der Gesetzgeber hat mit der durch das StMBG eingefügten Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG die Erfassung von verdeckten Zinserträgen bei sog. Finanzinnovationen gesetzlich abgesichert. Er wollte klarstellen, „dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören” (vgl. BT-Drucks. 12/5630, S. 59).
Bei Erträgen aus der Veräußerung oder Abtretung der in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG genannten Kapitalanlagen ist als Einnahme aus Kapitalvermögen grundsätzlich die auf die Besitzzeit entfallende Emissionsrendite zu erfassen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG). Haben die Kapitalanlagen keine Emissionsrendite oder weist der Steuerpflichtige diese nicht nach, gilt der Unterschiedsbetrag zwischen dem bei Erwerb gezahlten Entgelt und den Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung als Kapitalertrag (sog. Marktrendite i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Durch den Ansatz der Marktrendite werden somit unter Umständen auch realisierte Kursschwankungen der Wertpapiere und Kapitalforderungen in die Besteuerung nach § 20 EStG einbezogen. Der Gesetzgeber hat mit der Marktrendite eine leichtere Form der Ertragsermittlung zugelassen. Hiermit wird in gewissem Umfang in Kauf genommen, dass sich durch den Kapitalmarkt verursachte Wertveränderungen auf der Vermögensebene (z.B. Zinsniveauänderungen) auch ertragsteuerlich niederschlagen.
Der Gesetzgeber wollte allerdings solche Vorgänge nicht in die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen einbeziehen, die eindeutig der Vermögensebene zuzuordnen sind. Hierzu gehören Wertveränderungen der Kapitalanlage als solche, die sich aus einer (vorübergehenden) Zahlungseinstellung eines Emittenten oder der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eines privaten Unternehmens ergeben. Verluste aus der Veräußerung oder Abtretung einer hiervon betroffenen Kapitalanlage sind daher im Rahmen des § 20 EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen, sondern allenfalls bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 EStG.
Für die Beurteilung, ob eine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG vorliegt, ist ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Emission abzustellen. Nachträgliche Veränderungen sind aus ertragsteuerlicher Sicht irrelevant. Ein Tatbestand nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG liegt daher u.a. nur vor, wenn Stückzinsen bereits ab dem Zeitpunkt der Emission nicht gesondert in Rechnung gestellt werden.
Werden festverzinsliche Wertpapiere, öffentliche Schuldverschreibungen oder sonstige Kapitalforderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt wegen vorübergehender oder endgültiger Zahlungseinstellung eines privaten Emittenten oder eines Staates nicht mehr unter offenem Ausweis von Stückzinsen, sondern „flat” gehandelt, so führt dies nicht zu einer nachträglichen Einordnung unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG. Die nach Umstellung auf den Flathandel eintretenden Wertveränderungen sind nicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG, sondern allenfalls bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 EStG zu berücksichtigen. Auf diese Wertveränderungen ist kein Zinsabschlag zu erheben.
Die Grundsätze dieses Schreibens sind bei der Veranlagung in allen noch offenen Fällen anzuwenden; bei der Erhebung des Zinsabschlags wird es nicht beanstandet, wenn die auszahlende Stelle die Grundsätze erst auf Veräußerungen, Abtretungen oder Einlösungen nach der Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt anwendet.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Fundstellen
BStBl I, 2004, 611