Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung eines Anteilstauschs mit kurz danach folgender Gewinnausschüttung, Rechtfertigung der Besteuerung nur bei Rechtsmissbrauch oder Steuerhinterziehung
Leitsatz (amtlich)
Auf die Vorlagefrage ist zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gewinnausschüttung von der Art der dort gezahlten nicht in die Berechnung der „baren Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, einzubeziehen ist und somit ein Anteilstausch wie der in Rede stehende einen „Austausch von Anteilen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie darstellt.
Folglich steht Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 grundsätzlich der Besteuerung eines derartigen Anteilstauschs entgegen, es sei denn, dass Vorschriften des innerstaatlichen Rechts über Rechtsmissbrauch, Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie ausgelegt werden können und somit eine Besteuerung des Austauschs rechtfertigen können.
Normenkette
EWGRL 434/90 Art. 11, 2 Buchst. d, Art. 8 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
Østre Landsret (Dänemark) (Urteil vom 03.08.2004; Abl.EU 2005, Nr. C 257/6) |
Tatbestand
„Richtlinie 90/434/EWG ‐ Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen ‐ Nationale Entscheidung, mit der ein Anteilstausch besteuert wird ‐ Anteilstausch ‐ Kurz danach erfolgende Gewinnausschüttung ‐ Rechtsmissbrauch“
In der Rechtssache C-321/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 3. August 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 23. August 2005, in dem Verfahren
Hans Markus Kofoed
gegen
Skatteministeriet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Hans Markus Kofoed, vertreten durch L. Melchior Kjeldsen, advokat,
‐ der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten im Beistand von K. Lundgaard Hansen, advokat,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Februar 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 Buchst. d, 8 und 11 der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kofoed und dem Skatteministeriet (Ministerium für Steuern) über die Frage, ob ein Anteilstausch der Einkommensteuer unterliegt.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Ihrem ersten Erwägungsgrund zufolge besteht das Ziel der Richtlinie 90/434 darin, sicherzustellen, dass Umstrukturierungsvorgänge (wie Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen), die Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden.
4
Hierzu schafft die Richtlinie ein System, nach dem die genannten Vorgänge als solche nicht Anlass zu einer Besteuerung geben dürfen. Etwaige mit diesen Vorgängen zusammenhängende Wertzuwächse können grundsätzlich besteuert werden, aber nur zu dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich realisiert werden.
5
Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert den „Austausch von Anteilen“ als den „Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder ‐ bei Fehlen eines solchen ‐ des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten“.
6
Nach Art. 2 Buchst. g und h der Richtlinie sind unter „erworbener Gesellschaft“ die „Gesellschaft, an der beim Austausch von Anteilen eine Beteil[ig]ung erworben wurde“, und unter „erwerbende...