Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Mehrwertsteuer. Sechste Richtlinie. Begriff des Steuerpflichtigen. Gemischte Holding. Vorsteuerabzugsrecht. Von einer gemischten Holding als Vorsteuer für Beratungsdienstleistungen in Bezug auf eine im Hinblick auf den eventuellen Erwerb von Beteiligungen an anderen Gesellschaften durchgeführte Markterkundung entrichtete Mehrwertsteuer. Aufgabe der Erwerbsvorhaben. Als Vorsteuer auf eine Bankprovision für die Organisation und die Errichtung einer Anleihe, die die Tochtergesellschaften mit den für die Vornahme von Investitionen erforderlichen Mitteln ausstatten soll, entrichtete Mehrwertsteuer. Nicht verwirklichte Investitionen
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 4 Abs. 1, Art. 17 Abs. 5, 2, 1, Art. 4 Abs. 2
Beteiligte
Autoridade Tributária e Aduaneira |
Verfahrensgang
Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Beschluss vom 05.12.2018; ABl. EU 2019, Nr. C 139/33) |
Tenor
1. Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17 Abs. 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass eine gemischte Holding, die in wiederkehrender Weise in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, berechtigt ist, die Mehrwertsteuer, die beim Erwerb von Beratungsdienstleistungen in Bezug auf eine im Hinblick auf den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an einer anderen Gesellschaft durchgeführte Markterkundung entrichtet wurde, auch dann als Vorsteuer abzuziehen, wenn dieser Erwerb letztlich nicht erfolgt ist.
2. Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17 Abs. 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 sind dahin auszulegen, dass eine gemischte Holding, deren Eingreifen in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften wiederkehrenden Charakter hat, nicht berechtigt ist, die Mehrwertsteuer, die auf die Provision entrichtet wurde, die an ein Kreditinstitut für die Organisation und die Einrichtung einer Anleihe zur Vornahme von Investitionen in einem bestimmten Bereich gezahlt wurde, als Vorsteuer abzuziehen, wenn diese Investitionen letztlich nicht erfolgt sind und das durch diese Anleihe erhaltene Kapital vollständig in Form eines Darlehens an die Muttergesellschaft des Konzerns ausgezahlt wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 5. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 2019, in dem Verfahren
Sonaecom SGPS SA
gegen
Autoridade Tributária e Aduaneira
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Sonaecom SGPS SA, vertreten durch J. Vieira Peres, A. Lobo Xavier, G. Machado Borges, I. Santos Fidalgo und A. Carrilho Ribeiro, advogados,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, R. Campos Laires, T. Larsen und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Afonso, P. Costa de Oliveira und N. Gossement als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Mai 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 17 Abs. 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sonaecom SGPS SA (im Folgenden: Sonaecom) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Abzugsfähigkeit – als Vorsteuer – der Mehrwertsteuer, die von Sonaecom für Ausgaben entrichtet wurde, die zum einen für Beratungsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer Markterkundung im Hinblick auf den eventuellen Erwerb von Beteiligungen an anderen Gesellschaften und zum anderen für die Zahlung einer Provision für die Organisation und Einrichtung einer Anleihe an die BCP Investimento SA getätigt wurden, wobei weder der Erwerb noch die Investitionen, für die die Anleihe vereinbart wurde, verwirklicht worden sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Sechste Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerri...