Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinssatz von 6 % für Aussetzungszinsen nach § 237 AO für einen im September 2016 endenden Zinszeitraum nicht verfassungswidrig. Verzicht auf Aussetzungszinsen unter Billigkeitsgesichtspunkten
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der gesetzliche Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO (6%) bei der Berechnung von Aussetzungszinsen nach § 237 AO für einen Zinszeitraum von November 2012 bis September 2016 nicht verfassungswidrig ist. Die gesetzliche Regelung ist nicht unverhältnismäßig und verstößt weder gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 19 Abs. 4 GG. Entscheidungen anderer Gerichte, die eine Aussetzung der Vollziehung gebieten würden, liegen nicht vor (vgl. umfangreiche Rechtsprechungsnachweise).
2. Bei einer Gesamtschau der Zinsen für andere Darlehensarten im Zeitraum 2012 bis 2016 (u. a. Dispokredite, Immobiliendarlehen, Konsumentenkredite, Basiszinssatz, Verzugszinsen) sieht der Senat keinen Anlass, einen Zinssatz von 6 % (§ 238 Abs. 1 AO) als verfassungswidrig anzusehen. Die Verfassung bietet keinen Maßstab, um aus anderen Zinssätzen eine bestimmte Darlehensgruppe als maßgeblich herauszugreifen. Ebenso wenig ist zu erkennen, wie aus den Werten verschiedener Darlehensarten ein Durchschnittswert gebildet werden könnte, an dem der gesetzliche Zinssatz von 6 % nach § 238 Abs. 1 AO jährlich gemessen werden könnte (gegen FG Münster, Urteil v. 17.8.2017, 10 K 2472/16). Damit ist der Gesetzgeber von Verfasssungs wegen nicht gehindert, sich bei der gesetzlichen Festlegung von Aussetzungszinsen am Dispozins oder auch dem zwischen Bürgern geltenden gesetzlichen Zinssatz für Verzugs- und Prozesszinsen zu orientieren, der gemittelt über 6 % jährlich liegt.
3. Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass für eine Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines formellen Gesetzes ein besonderes berechtigtes Interesse erforderlich ist.
Normenkette
AO § 238 Abs. 1 S. 1, § 237 Abs. 1 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; BGB § 288 Abs. 1 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig in dem Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheids über Aussetzungszinsen nach § 237 AO, insbesondere ob die gesetzliche Zinshöhe des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO von monatlich einhalb Prozent im Zeitraum November 2012 bis September 2016 verfassungswidrig ist.
Die Antragsteller wurden in den Jahren 2007 bis 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Antragsteller erzielte unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Steuerberater mit einer Kanzlei in X. Nach einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 16. Oktober 2015 verwaltete der Antragsteller neben der Steuerberatung für Kunden Wertpapiere (Rechtsbehelfsakten Bd. I Bl. 83). Aufgrund der Feststellungen einer abgekürzten Außenprüfung ergingen am 23. Oktober 2012 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 (Rechtsbehelfsakten Bd. I Bl. 6, 9, 12 und 14). Dies beruhte darauf, dass Wertpapiere, anders als erklärt, nicht als (notwendiges) Betriebsvermögen eingestuft wurden (vergleiche Rechtsbehelfsakten Bd. I Bl. 17). Die Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 führten zu erheblichen Mehrsteuern. In den Jahren 2007, 2008 und 2010 hatte der Antragsgegner in den Erstbescheiden Steuererstattungen errechnet, aus denen nun erhebliche Nachforderungen wurden. Im Einzelnen wiesen die Bescheide folgende zu wenig entrichtete Steuerbeträge aus:
Jahr |
ESt |
Zinsen zur ESt |
SolZ |
KiSt |
2007 |
74.354,00 EUR |
13.260,00 EUR |
4.106,63 EUR |
2.220,00 EUR |
2008 |
31.577,00 EUR |
4.732,00 EUR |
1.736,73 EUR |
840,00 EUR |
2009 |
30.028,00 EUR |
2.700,00 EUR |
1.651,54 EUR |
0,00 EUR |
2010 |
23.448,00 EUR |
702,00 EUR |
1.388,29 EUR |
696,00 EUR |
Gegen die Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 legte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller am 21. November 2012 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide (Rechtsbehelfsakten Bd. I Bl. 1). Die Wertpapiere seien (notwendiges) Betriebsvermögen gewesen.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2013 (Rechtsbehelfsakten Bd. I Bl. 36) setzte der Antragsgegner die Vollziehung hinsichtlich der in der obigen Tabelle genannten Nachforderungsbeträge aus den geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2007 bis 2010 ohne Sicherheitsleistung aus. Die Aussetzung der Vollziehung wurde befristet und endete jeweils einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch bzw. der sonstigen Erledigung des Einspruchsverfahrens. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass nac...