Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen bei Aufnahme von neuen Geschäftsbeziehungen mit erheblichen Umsätzen ohne Abfrage der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des in einem anderen EU-Land ansässigen Abnehmers und bei klar ersichtlichen Anhaltspunkten für die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung des Abnehmers. Beweislast des Unternehmers für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 UStG objektiv zweifelsfrei gegeben sind, obliegt im finanzgerichtlichen Verfahren der tatrichterlichen Überzeugungsbildung; die Beweislast trägt der Unternehmer. Die Beschaffung von Nachweisen ist Sache des Steuerpflichtigen, Ermittlungspflichten der Finanzbehörden oder Finanzgerichte bestehen nicht.
2. Die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegen nicht vor, wenn u. a.
- der Lieferer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers nicht gemäß § 18e UStG abgefragt hat und der Abnehmer zum Zeitpunkt der Lieferungen tatsächlich auch noch nicht über eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt hat,
- nicht objektiv zweifelsfrei („unbestreitbar”) feststeht, dass die Ware zunächst aus dem anderen EU-Staat importiert und dann an einen anderen Abnehmer in dem anderen EU-Staat geliefert worden ist,
- der Abnehmer eine Steuerhinterziehung begangen hat und der Lieferer dies nach den gesamten Umständen hätte erkennen müssen,
- der Lieferer zunächst keine zusammenfassenden Meldungen über seine innergemeinschaftlichen Lieferungen nach § 18a UStG abgegeben hat.
3. Wer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer überhaupt nicht abfragt und seine steuerlichen Pflichten (Zusammenfassende Meldungen, vollständige Steuererklärungen) nicht ansatzweise erfüllt, wirkt daran mit, dass der Abnehmer im Bestimmungs-Mitgliedsstaat eine Umsatzsteuerhinterziehung begehen kann, und ist daher als bösgläubig anzusehen. Wer eine neue Geschäftsbeziehung in einem ihm nicht vertrauten Bereich mit einer Größenordnung von mehreren Millionen Euro mit einem in einem anderen EU-Land ansässigen Abnehmer aufnimmt, ist schon aus Gründen der kaufmännischen Vorsicht verpflichtet, die Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines Abnehmers zu überprüfen.
Normenkette
UStG 2011 § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 4 S. 1, § 18e; UStDV § 17a Abs. 2, § 17c Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2; EGRL 112/2006 Art. 138 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen vorliegen.
1. Der –in A (Polen) geborene– Kläger betreibt seit dem Jahr 2004 in X ein Einzelunternehmen im Bereich Innenausbau. Er versteuerte seine Umsätze nach vereinbarten Umsätzen und war zur vierteljährlichen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet. Seine Jahresumsätze blieben in den Jahren vor dem Streitjahr unter 100.000 EUR.
a) Von August bis Dezember 2011 handelte der Kläger außerdem mit Zucker, was er der Stadt X in der Gewerbe-Ummeldung vom 9. September 2011 anzeigte. Daneben wurde auch in deutlichen kleineren Mengen mit Kunststoffen und Skiern gehandelt.
Der Kläger kaufte den Zucker von einem polnischen Lieferanten (L mit Sitz in B) und verkaufte ihn weiter an den polnischen Abnehmer (K mit Sitz in A).
Nach den Feststellungen der polnischen Steuerbehörden handelt es sich bei dem polnischen Lieferanten um einen Händler („Speisezutatenhandel”).
Zum Abnehmer K stellten die polnischen Finanzbehörden fest, dieser habe keine innergemeinschaftlichen Erwerbe vom Kläger versteuert. Er sei ein sog. „missing trader”. Wörtlich heißt es in der Antwort der polnischen Steuerbehörde auf die deutsche Anfrage vom 21. September 2012: „K hat sich für die MwSt-Zwecke seit 21.06.2012 registrieren lassen. Ihr Steuerpflichtiger erwies die Warenlieferungen an unseren Steuerpflichtigen im 3Q und 4Q/2011 … In diesem Zeitraum war unser Steuerpflichtiger nicht für die MwSt-Zwecke angemeldet. … K hat sowohl keine ZM als auch keine MwSt-Erklärungen abgelegt und damit erwies er keine Warenerwerbe von Ihrem Steuerpflichtigen und hat sie nicht versteuert. Da der Steuerpflichtige unter den genannten Adressen abwesend war, ist es nicht gelungen, die Steuerkontrolle durchzuführen. … Unser Steuerpflichtiger wurde aus dem MwSt-Register … am 14.09.2012 ausgestrichen.”
b) Der Zucker wurde nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt X (Steuerfahndungsstelle) tatsächlich von Polen (B) nach Y (Ost-Deutschland) und wieder zurück nach Polen (A) befördert. Der Kläger hatte in Y [] ab 15. August 2011 einen Containerstellplatz und einen Lagerraum von jeweils 47,5 qm angemietet.
Die Waren wurden von einer Spedition (S mit Sitz in W, Litauen) transportiert. Die Frachtbriefe wiesen zunächst die (Wohn-)Anschrift des Klägers in X a...