Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung des FA und Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten im Anwendungsbereich von § 3 SachBezV bei Erlass eines Lohnsteuerhaftungsbescheids gegen den Arbeitgeber wegen Überlassung von Räumlichkeiten an Arbeitnehmer. Lohnsteuerhaftung
Leitsatz (redaktionell)
1. Führten die Werte für eine freie Unterkunft nach § 3 Abs. 1 und 2 SachBezV in der vor 2004 gültigen Fassung zu überhöhten und damit zu unbilligen Besteuerungsergebnissen, musste das FA im Rahmen der erforderlichen Ermessensausübung beim Erlass eines Lohnsteuerhaftungsbescheids gegen den Arbeitgeber auch Billigkeitsgesichtspunkte (§§ 163, 227 AO) berücksichtigen. Fehlen solche Billigkeitserwägungen, leidet der Haftungsbescheid an einer Ermessensunterschreitung und ist aufzuheben.
2. Der in § 3 Abs. 2 Nr. 3 SachBezV vorgesehene Abschlag setzt die Belegung eines einzelnen Raumes mit mehreren Personen voraus. Die Nutzung einer aus mehreren Räumen bestehenden Unterkunft durch mehrere Personen vermag dagegen einen solchen Abschlag nicht zu rechtfertigen.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 2 S. 6, § 42d Abs. 1 Nr. 1; SachBezV § 3 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 4; AO §§ 5, 191 Abs. 1, §§ 163, 227
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 8. August 2000 und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung vom 1. September 2000 werden aufgehoben.
2. Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des im Kostenfestsetzungsbeschluss festgelegten Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger seinerseits in dieser Höhe Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Haftungsinanspruchnahme eines Arbeitgebers, die mit dem Vorwurf begründet wurde, dieser habe die geldwerten Vorteile aus der Überlassung von Unterkünften an Arbeitnehmer im Rahmen seiner Lohnsteueranmeldungen zu gering bemessen.
Der Kläger – ein eingetragener Verein – ist Eigentümer eines Gebäudes in der Schwarzwaldgemeinde A, das über zwei Wohngeschosse verfügt. Im südlichen Teil des Gebäudes befindet sich eine Wohnung, die sich über beide Etagen erstreckt (Wohneinheit 1); diese Wohnung war in den Streitjahren nicht Arbeitnehmern des Klägers zur Nutzung überlassen worden. Eine weitere Wohnung (Wohneinheit 2) befindet sich im Erdgeschoss des nördlichen Gebäudeteils. Sie verfügt über einen Wohn- und Schlafraum, eine Küche sowie eine Toilette mit Waschgelegenheit und weist eine Wohnfläche von 30,96 m 2 auf. In dieser Wohneinheit 2 wohnten in den Jahren 1995 und 1996 Frau H R und seit 1997 Frau U M. Über einen Treppenaufgang rechts vom Nordeingang des Gebäudes erreicht man einen Flur, von dem drei Zimmer mit einer Wohnfläche jeweils zwischen 10,88 und 11,51 m 2, ein weiteres Zimmer mit einer Wohnfläche von 6,08 m 2 sowie ein WC mit Dusche und Waschgelegenheit mit 4,72 m 2 abgehen (Wohneinheit 3). Einschließlich des Flurs beläuft sich die Wohnfläche der Wohneinheit 3 auf insgesamt 50 m 2. Diese Räumlichkeiten wurden während des gesamten streitbefangenen Zeitraums (1995 bis Juli 1999) Frau M N und daneben in der Zeit von Januar 1996 bis November 1997 Frau G W sowie 10 Monate des Jahres 1998 Herrn P G zur Nutzung überlassen. Wegen der Lage und Größe sowie der Zuordnung der einzelnen Räume zu den drei Wohneinheiten wird auf die vom Kläger mit Schriftsatz vom 24. September 2004 vorgelegten Grundrisse Bezug genommen, die allerdings insoweit mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmen, als im Obergeschoss die Wohneinheit 1 von der Wohneinheit 3 an der mit einem Strich markierten Stelle durch eine Wand getrennt ist, wohingegen die zwischen diesen Einheiten eingezeichnete – durch eine Tür unterbrochene – Wand nicht mehr besteht.
Die vorstehend namentlich erwähnten Personen waren seinerzeit Arbeitnehmer des Klägers. Mit ihnen sind schriftliche Mietverträge über die Überlassung der Räumlichkeiten zu Wohnzwecken nicht abgeschlossen worden. Für die diesen Personen eingeräumte Nutzungsmöglichkeit (einschließlich Energie- und Wasserversorgung) ist vom Kläger ein geldwerter Vorteil in Höhe von 180 DM pro Person und Monat der Lohnsteuer unterworfen worden; dabei wurde nicht danach unterschieden, ob die jeweilige Person im Erdgeschoss oder im Obergeschoss untergebracht war.
Im Rahmen einer im August 1999 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte die Prüferin zu der Auffassung, dass eine verbilligte Wohnraum-Überlassung vorliege und die Differenz zwischen den sich aus § 3 der Sachbezugsverordnung (SachBezV) für die Gewährung einer Unterkunft ergebenden Werten einerseits und den jeweils versteuerten Beträgen andererseits als Nettobezüge nachzuversteuern sei. Dabei verminderte sie den sich aus § 3 Abs. 1 SachBezV ergebenden Wert um 15 %, da sie von einer Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft ausging (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 SachBezV). Wegen der auf die einzelnen Arbeitnehmer und Jahre entfallenden Beträge wird ...