Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorschriften zum Steuerabzug bei Bauleistungen mit der Dienstleistungsfreiheit. Voraussetzungen des Vorliegens ernstlicher Zweifel i. S. von § 69 FGO
Leitsatz (redaktionell)
1. An der Vereinbarkeit der Vorschriften der §§ 48 ff EStG zum Steuerabzug bei Bauleistungen mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit bestehen ernstliche Zweifel.
2. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO bestehen nicht erst dann, wenn ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen, sondern sie liegen bereits dann vor, wenn das Begehren des Antragstellers nicht als von vornherein aussichtslos erscheint.
Normenkette
EStG 2002 §§ 48, 48a, 48b; EG Art. 49-50; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
Die Vollziehung des Haftungsbescheides über den Steuerabzug bei Bauleistungen vom 4. Juni 2007 wird in Höhe von weiteren 186.311,10 EUR bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 15. Juni 2007 ausgesetzt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin.
In seinem Prüfungsbericht vom 4. Januar 2007 über die Außenprüfung bei der Antragstellerin stellte der Prüfer des Finanzamtes –FA-M unter Textziffer 7 „Bauabzugssteuer” fest, die Antragstellerin sei für die Zeit vom 15. Mai 2003 bis zum 31. Dezember 2005 verpflichtet gewesen, eine Steuer in Höhe von 15% der Bauleistungen der Firma E, Geschäftsanschrift: … einzubehalten. Für den Zeitraum vom 17. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003 habe eine gefälschte Freistellungsbescheinigung vorgelegen. Die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, diese Freistellungsbescheinigung zu überprüfen. Als Bemessungsgrundlage ermittelte der Prüfer folgende Entgelte und Steuerbeträge (in EUR):
Zeitraum |
Nettobetrag |
Bruttobetrag |
Steuer |
15.05.-16.07.2003 |
132.712 |
153.946 |
23.092 |
17.07.-31.12.2003 |
353.317 |
409.848 |
61.477 |
01.01.-31.12.2005 |
938.041 |
1.088.128 |
163.219 |
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die Außenprüfung bei der Antragstellerin des FA M vom 4. Januar 2007 (Bl. 2-34 Steuerakten) sowie auf die zu den Steuerakten eingereichte Kopie einer „Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen” (Bl. 40 Steuerakten) Bezug genommen.
Auf der Basis dieser Ermittlungen erließ der Antragsgegner am 4. Juni 2007 einen Haftungsbescheid über den Steuerabzug bei Bauleistungen gegenüber der Antragstellerin. Dabei wurde ein Gesamtbetrag der Haftung nach §§ 48, 48 a Einkommensteuergesetz – EStG – in Höhe von 247.788,30 EUR festgesetzt.
Dagegen wendete sich die Antragstellerin mit ihrem Einspruch vom 22. Juni 2007. Die Antragstellerin rügte die fehlerhafte Ausübung des Entschließungsermessens und des Auswahlermessens. Die Steuerschuld der E habe nach den Angaben einer Pfändungsverfügung vom 7. November 2005 in Höhe von 69.824, 20 EUR, nach den Angaben eines Schreibens des Antragsgegners vom 22. Juni 2006 in Höhe von 23.708,10 EUR bestanden. Danach könne eine Haftung lediglich in Höhe von 23.708,10 EUR bestehen. Zudem habe sich der Antragsgegner widersprüchlich verhalten. Er habe bereits gepfändete Werklohnforderungen freigegeben. Es widerspreche den Grundsätzen des fairen Verfahrens, diese Beträge zur Auszahlung freizugeben und anschließend die auszahlende Firma für Steuerrückstände in Haftung zu nehmen.
Weiterhin trug die Antragstellerin vor, die Fälschung der Freistellungsbescheinigung für den Zeitraum vom 17. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003 sei von ihr nicht zu erkennen gewesen. Auch sei sie zu Nachforschungen bezüglich der Echtheit der Urkunde nicht verpflichtet gewesen. Die Regelungen des EStG zur Abzugssteuer widersprächen der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 und 50 Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften – EGV –. Sie seien geeignet, Gebietsfremde von der Leistungserbringung im Inland abzuhalten und daher gemeinschaftsrechtswidrig. Der Gebietsfremde erhalte lediglich ein Entgelt in Höhe von 85% für seine Bauleistungen und werde auf ein Freistellungs- und Erstattungsverfahren verwiesen, welches mit erhöhtem Verwaltungsaufwand einhergehe.
Der Antragsgegner hat den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung der Aussetzung der Vollziehung durch Bescheid vom 21. November 2007 abgelehnt.
Zur Begründung des daraufhin bei dem Finanzgericht –FG – gestellten Aussetzungsantrages rügt die Antragstellerin einen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz – GG –. Die Gestaltung des Erhebungsverfahrens führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung im Leistungserfolg. Nach Erkenntnissen der Oberfinanzdirektion – OFD –… sei die Haftungsregelung des § 48 a EStG nicht praktikabel. Die notwendigen Nachforschungen seien nur stichprobenweise möglich.
Des Weiteren...