Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrnehmung hoheitlicher Pflichtaufgaben durch eine privatrechtlich strukturierte Körperschaft im Auftrag ihres hoheitlichen Gesellschafters kann selbstlos sein. Einrichtung eines Rettungswesens als gemeinnützige Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Wahrnehmung hoheitlicher Pflichtaufgaben durch eine privatrechtlich strukturierte Körperschaft steht der Selbstlosigkeit der Körperschaft nicht entgegen, sofern die übernommene Pflichtaufgabe – wie im Streitfall die Durchführung des dem Gesellschafter, einem Landkreis, obliegenden Rettungsdienstes – gemeinnützig ist.
2. Die Einrichtung eines Rettungswesens, das der ärztlichen Versorgung kranker bzw. verletzter Menschen dient, ist gemeinnützig, da sie das öffentliche Gesundheitswesen fördert. Ob die Rettung verletzter Personen auch bzw. alternativ als mildtätig im Sinne von § 53 Nr. 1 AO anzusehen ist, konnte im Streitfall offenbleiben.
Normenkette
AO § 52 Abs. 2 Nrn. 3, 11, § 53 Nr. 1, § 55 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9
Nachgehend
Tenor
Die Bescheide über Körperschaftsteuer 2002 und Gewerbesteuermessbetrag 2002 vom … Februar 2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom … März 2008 werden aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist die Gemeinnützigkeit der Klägerin.
Die Klägerin ist eine am … September 2002 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Alleiniger Anteilseigner der Klägerin ist der Landkreis D. als Träger des Rettungsdienstes im Landkreis D. im Sinne des § 3 Abs. 1 des Brandenburgischen Rettungsdienstgesetzes (BbgRettG).
Der Zweck der Klägerin ist nach § 2 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem Brandenburgischen Rettungsdienstgesetz, insbesondere die bedarfsgerechte und flächendeckende Notfallrettung, der Krankentransport, die Sofortreaktion in besonderen Fällen sowie die Errichtung und der Betrieb von Rettungswachen; wegen der weiteren Einzelheiten des Zwecks nimmt der Senat auf § 2 des Gesellschaftsvertrags Bezug.
Nach § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags sollte die Klägerin selbstlos tätig sein und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen. Gemäß § 3 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags dürfen die Mittel der Klägerin nur für satzungsmäßige Zwecke verwendet werden; etwaige Überschüsse sind einer Rücklage zuzuführen, die nur zur Sicherung und Erfüllung des Gesellschaftszwecks verwendet werden darf. Nach § 3 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags darf der Gesellschafter weder Gewinnanteile noch – in seiner Eigenschaft als Gesellschafter – sonstige Zuwendungen aus Mitteln der Klägerin erhalten. Bei seinem Ausscheiden, bei Auflösung der Klägerin oder bei Wegfall der Gemeinnützigkeit sollte der Gesellschafter nicht mehr als seine eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert seiner geleisteten Sacheinlagen zurückerhalten. Gemäß § 3 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrags fällt das Vermögen der Klägerin bei ihrer Auflösung oder bei Wegfall der steuerbegünstigten Zwecke an den Landkreis D. zurück, soweit das Vermögen die eingezahlten Kapitalanteile des Gesellschafters und den gemeinen Wert seiner geleisteten Sacheinlagen übersteigt. Der Landkreis D. ist verpflichtet, das Vermögen zu steuerbegünstigten Zwecken zu verwenden; Beschlüsse über die zukünftige Verwendung des Vermögens dürfen erst nach Einwilligung des Finanzamts ausgeführt werden. Das Stammkapital der Klägerin betrug nach § 5 des Gesellschaftsvertrags EUR 100.000,–. Schließlich war die Geschäftsführung nach § 15 des Gesellschaftsvertrags verpflichtet, vor Beginn eines Geschäftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen, so dass die Gesellschafterversammlung noch vor Beginn des Geschäftsjahres hierüber beschließen konnte. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat ebenfalls auf den Gesellschaftsvertrag.
Hinsichtlich der Durchführung des Rettungsdienstes schloss die Klägerin am … Dezember 2002 einen Vertrag mit dem Landkreis D. ab – im Folgenden: Dienstleistungsvertrag genannt –, der ab dem 01. Januar 2003 (§ 10 Abs. 1) in Kraft treten sollte. Der Vertrag regelte in § 1 die Durchführung des Rettungsdienstes nach Maßgabe des Brandenburgischen Rettungsdienstgesetzes, den Betrieb bestimmter Rettungswachen (§ 2), die Anzahl und Art der Rettungs- und Krankentransportfahrzeuge (§ 3), den Betrieb der Leitstelle durch den Gesellschafter (Landkreis D.) gemäß § 5 sowie die Vergütung der Klägerin (§ 6): Dabei wurde die Höhe der Vergütung nicht ausdrücklich bestimmt, sondern sollte sich nach dem Jahresbudget richten, das jährlich zwischen den Vertragspartnern festgelegt werden sollte. Das Budget sollte sich wiederum nach dem Ergebnis der mit den Krankenkassen vereinbarten Kosten- und Leistungsrechnung für den Rettungsdienst richten. Soweit in dieser Kosten- und Leistungsrechnung Gesamtkosten berücksichtigt wurden, sollten die bei der Kreisverwaltung D. selbst anfallenden Kosten abgezogen werden (§ 6 Abs. 1). Das für die...