Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerminderung nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens ohne Einfluss auf die Aussetzungszinsen. Treu und Glauben verdrängt gesetztes Recht nur ausnahmsweise. Zinssatz für Aussetzungszinsen ist nicht verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Aussetzungszinsen kommt es allein auf das Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens an. Davon unabhängige, spätere Änderungen der Festsetzung (im Streitfall aufgrund einer später möglicherweise erfolgenden Rückgängigmachung der nach § 17 EStG steuerpflichtigen Anteilsveräußerung oder Minderung des Kaufpreises infolge Vergleichs oder rechtskräftigen Urteils) haben auf die Höhe der Aussetzungszinsen keinen Einfluss.
2. Der Grundsatz von Treu und Glauben verdrängt gesetztes Recht – hier die Aussetzungszinspflicht – nur in besonders liegenden Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmten Verhalten der Verwaltung – hier die Nichterhebung von Aussetzungszinsen – nach allgemeinem Rechtsgefühl in so hohem Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen.
3. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit von Aussetzungszinsen kommt es nicht auf den Zinsnachteil des Fiskus an, den dieser dadurch erleidet, dass er aufgrund der Aussetzung zwischenzeitlich in entsprechendem Umfang höhere Darlehen aufnehmen muss, sondern ausschließlich auf den Vorteil, den der Steuerpflichtige durch die Aussetzung erhält. Bei Bestimmung der abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile ist primär der Steuerpflichtige in den Blick zu nehmen, der mit Kredit arbeitet (arbeiten muss), und wenn, dann nur nachrangig derjenige Steuerpflichtige, der seine Guthaben verwaltet und anlegt.
4. Der Zinssatz für Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % p. a. ist auch derzeit noch und erst recht im Streitzeitraum (Zinslauf von November 2004 bis März 2011) als „laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags” angemessen und somit keineswegs unverhältnismäßig und daher auch nicht verfassungswidrig.
5.Aufgrund der Angemessenheit des Zinssatzes kommt es auch auf die Dauer der Aussetzung und eine möglicherweise durch die Finanzverwaltung zu vertretende Verfahrensverzögerung nicht an.
Normenkette
AO §§ 233, 237 Abs. 5, § 238 Abs. 1 S. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 85; EStG § 17; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Aussetzungszinsen in Höhe von 108.202 EUR.
I.1.
Mit Bescheid vom 29.04.2008 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Einkommensteuer (ESt) 2006 auf rund 551 TEUR fest, resultierend v. a. aus Einkünften gemäß § 17 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Kläger und seine Ehefrau legten am 26.05.2008 Einspruch ein und beantragten beim FA Aussetzung der Vollziehung (AdV), die mit Bescheid vom 29.05.2008 für die Dauer des Einspruchsverfahrens gewährt wurde. Mit Einspruchsentscheidung vom 01.11.2011 wurde die ESt 2006 verbösernd auf rund 555 TEUR erhöht und der Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Am 05.12.2011 erhoben die Eheleute Klage (3 K 3295/11). Außerdem beantragten Sie beim Finanzgericht am 21.12.2011 AdV für die Dauer des Klageverfahrens (3 V 3312/11). Der Senat wies den Antrag auf AdV mit Beschluss vom 05.07.2012 zurück. Daraufhin nahmen die Eheleute am 17.09.2012 ihre Klage zurück, wodurch die Einkommensteuerfestsetzung bestandskräftig wurde.
2.
Mit Klage beim Landgericht C., dem hiesigen Kläger und dortigen Beklagten zugestellt am 01.10.2012, wurde dieser vom Anteilskäufer der GmbH-Anteile, deren Verkauf den vorgenannten Gewinn gemäß § 17 EStG begründet haben, auf Rückzahlung des Kaufpreises und Schadenersatz in Höhe von 1,175 Mio. EUR in Anspruch genommen (FG-A Bl. 6-30). Das Landgericht verhandelte hierüber am 19.06.2013, verkündete jedoch noch kein Urteil. Für den 05.02.2014 ist ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme anberaumt.
3.
Im Rahmen der o. g. ESt-Forderung kam es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, verschiedenen Anträgen und Rechtsbehelfsverfahren, u. a. wegen Erlass der Säumniszuschläge, und verschiedenen Gesprächen zwischen dem Klägervertreter und dem Finanzamt, u. a. zu einem Gespräch an Amtsstelle am 24.08.2012. Aus den vom FA übersandten Steuerakten, insbesondere dem Hefter „Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen” (nachfolgend: Rb-Hefter) ergibt sich folgender Hergang (Unterstreichungen durch das Gericht):
a)
Am 17.07.2012 schrieb der Klägervertreter an das FA (Erlass- und Stundungsakte Bl. 78):
„Ich danke in diesem Zusammenhang für Ihre Aufstellung vom 03.07.2012.
Herrn A. wird es nunmehr gelingen, kurzfristig nahezu die gesamte Forderung auszugleichen.
Er muss sich diesbezüglich auf privatem Weg Gelder besorgen, die aber gesichert sein dür...