Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergewöhnliche Belastung eines Gehbehinderten durch Aufwendungen für Treppenschräglift und Toilettensitzerhöhung. Einkommensteuer 1988
Leitsatz (amtlich)
1. Aufwendungen eines gehbehinderten Steuerpflichtigen für den Einbau eines Treppenschrägliftes und von Toilettensitzerhöhungen können neben dem Körperbehindertenpauschbetrag als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Bei diesen Hilfsmitteln handelt es sich um sog. Hilfsmittel im engeren Sinne, bei denen die Notwendigkeit ihrer Anschaffung nicht durch die Vorlage eines vor Kauf erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attestes nachgewiesen werden muss und ein Gegenwert nicht anzusetzen ist.
2. Die Zwangsläufigkeit entfällt auch nicht, wenn Treppenschräglift und Toilettensitzerhöhungen in eine Zweitwohnung eingebaut werden.
Normenkette
EStG §§ 33, 33b
Tenor
Die Einkommensteuer 1988 wird abweichend von dem Bescheid vom 20. März 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 1991 unter Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen von 14 622,00 DM festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war erforderlich.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert beträgt 5 600,00 DM.
Tatbestand
Der Kläger und seine 1991 verstorbene Ehefrau wurden im Streitjahr 1988 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Die Ehefrau des Klägers war schwerbehindert, und zwar gemäß Bescheid vom … 1981 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v. H. und dem Merkmal „G.” (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr). Gemäß der in den Akten des Versorgungsamtes … befindlichen ärztlichen Stellungnahme vom … 1981 beruhte die MdE u. a. auf Gelenkrheumatismus und Wirbelsäulenverschleiß. Der mit dem Ziel eingelegte Widerspruch, auch das Merkmal „B.” (ständige Begleitung bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln) zu erlangen, blieb erfolglos. Nach einem Oberschenkelhalsbruch in 1984 konnte sie nur noch mit zwei Gehhilfen laufen. 1987 wurde das rechte Kniegelenk, 1991 die linke Hüfte erneuert. Über den Antrag auf Neufeststellung der Behinderung vom … 1991 ist wegen ihres Todes nicht mehr entschieden worden. In einer ärztlichen Stellungnahme vom … 1991 waren eine MdE von 100 v. H. und u. a. das Merkmal „aG” (außergewöhnliche Gehbehinderung) befürwortet worden.
Die Eheleute haben 1981 ein zweigeschossiges Einfamilienhaus in G. erworben, das sie ab Dezember 1981 als Zweitwohnung nutzten. Schlafzimmer, Badezimmer und Balkon befinden sich in dem Obergeschoß. Aufgrund der Gehbehinderung der Ehefrau ließen sie 1988 einen Treppenschräglift einbauen, der so konstruiert war, daß im Treppenhaus zwischen Erdgeschoß und Obergeschoß an der Wand eine Schiene mit elektrischer Zuleitung und Bremsvorrichtung angebracht war, auf der der Stuhl, ein heruntergeklappter Sitz, lief. Die Anlage mußte vom TÜV abgenommen und vom Gewerbeaufsichtsamt C. genehmigt werden. Auflage war u. a., daß die Anlage nur von der behinderten Person benutzt wird. Die Kosten für den Treppenschräglift betrugen 20 000,00 DM, die der Kläger in zwei Teilbeträgen in 1988 zahlte; für die Elektroarbeiten und an TÜV-Gebühren entstanden Aufwendungen von 166,68 DM und 99,18 DM, so daß sich die Gesamtaufwendungen für den Lift auf 20 265,68 DM beliefen.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1988 machten der Kläger und seine Ehefrau diese Aufwendungen sowie Kosten für zwei Toilettensitzerhöhungen mit Armstützen von je 615,60 DM als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Einkommensteuergesetz –EStG– geltend. Der Beklagte lehnte die Anerkennung in seinem Einkommensteuerbescheid vom … 1990 ab, da er die Aufwendungen nicht für zwangsläufig hielt.
Den Einspruch hiergegen wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom … 1991 als unbegründet zurück. Er vertrat hierbei die Auffassung, daß die Kosten für die beiden Toilettensitzerhöhungen durch den Behinderten-Pauschbetrag von 1 740,00 DM abgegolten seien, im übrigen auch unter der zumutbaren Eigenbelastung lägen (der Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger betrug 111 584,00 DM). Die Kosten für die Treppenliftanlage seien nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, weil der Kläger einen Gegenwert erhalten habe, also nicht belastet sei. Dieser Gegenwert sei mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (vgl. Urteil vom 4. März 1983 VI R 189/79 in Bundessteuerblatt –BStBl– 1983, S. 378) darin zu sehen, daß der Kläger einen Gegenstand erhalten habe, der eine gewisse Marktfähigkeit besitze, die in einem bestimmten Verkehrswert zum Ausdruck komme. Die Liftanlage könne jederzeit wieder veräußert werden, z. B. anläßlich eines Umzuges oder Verkaufs des Hauses. Dies habe auch der VIII. Senat des Finanzgerichts –FG– Berlin in einem Urteil vom 14. Januar 1991 (VIII 26/8...