Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Nachzahlungszinsen: Vergleich mit Marktzinsen im Zeitraum April bis Juli 2013 – Erlass bei vorfristiger Steuerzahlung – Schuldhafte Verzögerung der Steuerfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
- Die Höhe der nach § 233a AO festzusetzenden Nachzahlungszinsen ist für den Zeitraum April bis Juli 2013 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
- Der gesetzliche Zins hielt sich für den Zeitraum April bis Juli 2013 beim Vergleich mit den Marktzinsen noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen.
- Leistet der Steuerpflichtige vor Fälligkeit eine freiwillige Steuerzahlung, ist die Beschränkung des Erlasses der Nachzahlungszinsen (in Höhe vergleichbar berechneter „fiktiver Erstattungszinsen”) auf volle Monate nach Eingang der freiwilligen Leistung gemäß Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO ermessensgerecht.
- Eine schuldhafte Verzögerung der Steuerfestsetzung rechtfertigt keinen Erlass der Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit.
Normenkette
AO §§ 227, 233 a, 238 Abs. 1 S. 1; FGO § 102
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger sind für das Streitjahr 2011 zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Streitig ist, ob zu Recht Nachzahlungszinsen (§ 233 a der Abgabenordnung - AO -) festgesetzt wurden und diese ggf. zu erlassen sind.
Der Kläger hatte am 19.10.2011 eine zu versteuernde Sonderzahlung erhalten. Dies teilte er dem Beklagten am 25.11.2011 mit und beantragte, die Einkommensteuervorauszahlungen anzupassen. Der Beklagte änderte daraufhin am 6.12.2011 den Vorauszahlungsbescheid und berechnete unter Abzug einer Ermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 302.640 Euro die vorauszuzahlende Einkommensteuer. Der Qualifikation als Einkünfte aus Gewerbebetrieb lag die seinerzeit streitige Einschätzung des für die Gesellschaft, an der der Kläger beteiligt war, zuständigen Finanzamtes () zu Grunde (Mitteilung vom 29.12.2011 über die voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen). Das dort anhängige Einspruchsverfahren führte jedoch später zu einer Umqualifizierung als Einkünfte aus selbständiger Arbeit und einer entsprechenden Bescheidung.
Der Kläger bezahlte zunächst die festgesetzten Vorauszahlungen und stellte zugleich „auf einem gesonderten Konto” bei der ()bank einen Geldbetrag von 300.000 Euro wegen der aus seiner Sicht drohenden Einkommensteuernachzahlung in Folge der zu Unrecht in Abzug gebrachten Ermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 35 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Steuerzahlung bereit.
Er gab am 28.12.2012 seine Einkommensteuererklärung 2011 ab. Sodann leistete er am 16./18.7.2013 im Hinblick auf die drohende Einkommensteuernachzahlung für den Fall der späteren Qualifizierung seiner Einkünfte als Einkünfte aus selbständiger Arbeit eine freiwillige Zahlung i.H.v. 366.400 Euro an das Finanzamt. Erst zeitlich danach erging am 26.9.2013 schließlich der Einkommensteuerbescheid 2011. Darin waren die Einkünfte des Klägers als Einkünfte aus selbständiger Arbeit erfasst und war, anders als noch im Vorauszahlungsbescheid, der Feststellung des Finanzamtes () folgend, eine Ermäßigung nach § 35 EStG nicht vorgenommen worden. Zugleich wurden auch die streitigen Nachzahlungszinsen i.H.v. 11.721 Euro (Zinszeitraum April bis September 2013) festgesetzt.
Dagegen wandten sich die Kläger am 20.10.2013 im Wege des Einspruchs. Zudem beantragten sie am 18.11.2013 den Erlass der Nachzahlungszinsen. Die Einkommensteuerfestsetzung wurde am 18.12.2013 und am 7.8.2014 aus anderen Gründen geändert. Die Nachzahlungszinsen waren zuletzt mit 11.431 Euro berechnet worden. Über diesen Einspruch wurde erst im Klageverfahren, am 11.8.2015, entschieden. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.
Der Erlassantrag hatte zum Teil Erfolg. Die Zinsen wurden mit Bescheid vom 25.11.2013 für die Monate August und September erlassen (3.664 Euro). Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 13.8.2014 zurückgewiesen.
Daraufhin haben die Kläger am 17.9.2014 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Einkommensteuerfestsetzung mit dem Ziel der Aufhebung der Festsetzung der Nachzahlungszinsen wenden und hilfsweise beantragen, auch die restlichen Zinsen zu erlassen.
Im Klageverfahren argumentieren die Kläger, dass die Vorschrift des § 233 a AO seit Jahren wegen der Niedrigzinsphase gegen das allgemeine Gleichheitsgebot verstoße und der Zielsetzung bei Einführung der sogenannten Vollverzinsung im Jahre 1990 widerspreche. Ziel der Norm sei nämlich, den Zins- und Liquiditätsvorteil bzw. den Nachteil auszugleichen. Ein solcher Vorteil bzw. Nachteil entstehe aber in einer Niedrigzinsphase nicht in dem vom Gesetz angenommenen Umfang. Zudem sei es bei den hier in Rede stehenden Zinsen, anders als bei den Stundungs- und Aussetzungszinsen so, dass die Kläger sich nicht die Verzinsung in Kauf nehmend betätigt hätten. Bei Nachzahlungszinsen, wie hier, sei der Einfluss der Steuerpflichtigen nur begrenzt. Zu ...