vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG – Steuersatz für die Verwendung von Toluol als Heizstoff und Herstellung von Titandioxid im Chloridverfahren
Leitsatz (redaktionell)
- Für die Verwendung von Toluol als Heizstoff zur Herstellung von Titandioxid im Chloridverfahren ist in richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG der Mindeststeuersatz für zum Verheizen verwendete Erzeugnisse gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG anzuwenden.
- Nach seiner maßgeblichen konkreten Verwendung steht das Toluol in diesem Fall dem Heizöl der Unterpos. 2710 19 61 bis 2710 19 69 KN gleich, für das ein Steuersatz von 25 EUR je 1.000 kg anzuwenden ist.
- Auf die besonderen Beschaffenheitsmerkmale für Heizöl nach der Zusätzlichen Anmerkung 1 Buchst. f zu Kap. 27 KN kommt es für die Anwendung dieses Steuersatzes nicht an.
- Die fehlende Kennzeichnung des Toluols steht einer Anwendung des Steuersatzes des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG gleichfalls nicht entgegen.
Normenkette
EnergieStG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 Sätze 1, 3, § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 S. 1, § 67 Abs. 4; MinöStG § 12; EnergieStV § 8 Abs. 1 S. 1; KN Unterpos. 2902 30 00; RL 2003/96/EG Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1
Streitjahr(e)
2008
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin befasst sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Titanpigmenten sowie Titanverbindungen. Sie stellt unter Einsatz von Toluol im Chloridverfahren Titandioxidpulver her, das sie als sog. Weißpigment verkauft. Die Titandioxidpigmente werden in einem Synthesereaktor in drei Schritten hergestellt. Der erste Schritt stellt die Reduktion von Titantetrachlorid (TiCl4) zu TiCl3 in einer Sauerstoffatmosphäre dar. Der Sauerstoff verbindet sich mit dem Titan, während das Chlor teilweise als Chlorgas und teilweise als Chlorwasserstoff entsteht. Die Einleitung der Titandioxidsynthese erfolgt bei sehr hohen Temperaturen. Titantetrachlorid und Sauerstoff werden vor ihrer Zusammenführung stark erhitzt. Da Sauerstoff mit einer Erdgasflamme nur bis etwa 950 Grad Celsius erhitzt werden kann, der Beginn der chemischen Reaktion jedoch eine Erhitzung des Sauerstoffs auf 1.650 Grad Celsius erfordert, wird das Toluol direkt – zur Schließung der „Energielücke” – in den 950 Grad Celsius heißen Sauerstoffstrom eingesprüht, wo es verdampft und anschließend verbrennt. In einem zweiten Schritt kondensieren die Titandioxideinzelmoleküle unter Hitzeeinwirkung zu Nanopartikeln, die in einem dritten Schritt durch Kollision miteinander und anschließender Versinterung zu Mikropartikeln heranwachsen.
Das gewonnene Titandioxid weist eine instabile Struktur und eine nicht sehr hohe Beständigkeit auf. Deshalb verarbeitet die Klägerin das Titandioxid in einem Trockner und in einem Temperofen weiter. Dabei wird die Oberfläche der Titandioxidgrundkörper durch einen Überzug mit keramischen Mikropartikeln aus Aluminium, Zirkon oder Siliciumoxid oder Mischungen hiervon stabilisiert. Ferner werden Kristallgitterfehler beseitigt. Der Trockner und der Temperofen werden jeweils durch eine Erdgasflamme erhitzt.
Der Klägerin war mit Verfügung vom 27. Juli 1994 nach § 12 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) eine Erlaubnis für die steuerfreie Verwendung von Toluol zur Herstellung von Titandioxid erteilt worden. Sie beantragte mit Schreiben vom 19. Dezember 2006, ihr nach § 24 Abs. 2 Satz 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) eine Erlaubnis für die steuerfreie Verwendung von Toluol zur Herstellung von Titandioxid im Chloridverfahren zu erteilen. Das beklagte Hauptzollamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 ab, weil das Toluol zum Verheizen verwendet werde. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin hiergegen Klage, die unter dem Aktenzeichen 4 K 1695/10 VE anhängig war.
Auf Aufforderung des beklagten Hauptzollamts gab die Klägerin am 12. Februar 2008 eine Steueranmeldung für die Verwendung von 1.714.556,32 Liter Toluol zur Herstellung von Titandioxid im Chloridverfahren in dem Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2007 ab. Sie ermittelte unter Anwendung des Steuersatzes des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG eine Steuer von 1.122.177,11 EUR.
Die Klägerin legte gegen die Steueranmeldung Einspruch ein, mit dem sie vortrug: Die Verwendung des Toluols sei nach § 25 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG steuerfrei. Ihr stehe zudem ein Anspruch auf Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG zu. Jedenfalls könne das von ihr verwendete Toluol nicht mit dem Steuersatz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG besteuert werden. Das Toluol sei nach seiner Beschaffenheit zwar Leichtölen der Unterpositionen 2710 11 11 bis 2710 11 90 der Kombinierten Nomenklatur (KN) ähnlicher als den in § 2 Abs. 1 Nr. 4, 5, 9 und ...