Entscheidungsstichwort (Thema)
Möglichkeit der Auslegung prozessualer und außerprozessualer Rechtsbehelfe einer rechtskundigen Person bei Fehlen einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung
Leitsatz (redaktionell)
- Ein Einspruch „gegen den Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer” betrifft im Zweifel auch die hiermit in einem zusammengefassten Bescheid verbundene Festsetzung eines Verspätungszuschlages.
- Es kann nicht zu einem – die spätere Konkretisierung des Einspruchsumfangs ausschließenden - Rechtsverlust führen, wenn der Stpfl. bei Anfechtung eines Bescheides die Bezeichnung verwendet hat, mit der das Finanzamt den Bescheid selbst benannt hat. Dies gilt auch für Erklärungen rechtskundiger Personen.
- Die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO für Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, gilt nicht für die Korrektur der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach den Vorschriften der §§ 130, 131 AO.
Normenkette
AO §§ 5, 130 Abs. 1, §§ 152, 351 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Streitjahr(e)
2003, 2004
Tatbestand
Die Kläger werden für die Streitjahre 2003 und 2004 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als Geschäftsführer nichtselbständig und daneben in geringem Umfang als Steuerberater freiberuflich tätig; die Klägerin ist in geringem Umfang als Steuerberaterin tätig.
Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung für 2003 setzte dem Beklagten das Finanzamt die Einkommensteuer 2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Schätzungsweg auf 77.316 EUR fest und verband damit die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von 4.500 EUR (Bescheid vom 1.12.2005). Die Kläger fochten den Bescheid nicht an, reichten jedoch am 10.01.2006 ihre Einkommensteuererklärung für 2003 beim Finanzamt ein. Das Finanzamt setzte daraufhin die Einkommensteuer entsprechend auf 10.195 EUR und den Verspätungszuschlag auf 1.010 EUR herab (Einkommensteuer-Änderungsbescheid vom 29.03.2006).
Gegen den „Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (...) vom 29.03.2006” erhoben die Kläger Einspruch. In einer späteren Einspruchsbegründung wandten sie sich ausdrücklich auch gegen den festgesetzten Verspätungszuschlag. Sie bemängelten, dass der Verspätungszuschlag, der vorher 5,82 % der festgesetzten Einkommensteuer betragen haben, nunmehr dem Höchstbetrag von 10 % der festgesetzten Einkommensteuer entspreche, obwohl sich der Nachzahlungsbetrag (noch 64.350 EUR im Schätzungsbescheid) deutlich reduziert habe (nunmehr nur 1.404 EUR). Unter diesen Umständen sei der Zuschlag ermessensfehlerhaft.
Für das Streitjahr 2004 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer ebenfalls zunächst im Schätzungsweg auf 70.274 EUR fest und verband damit die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von 2.500 EUR (Bescheid vom 27.03.2006). Gegen den „Bescheid” erhoben die Kläger Einspruch. Nach Erklärungseingang im April 2006 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2004 entsprechend auf 26.262 EUR herab; den Verspätungszuschlag beließ es bei 2.500 EUR (Einkommensteuer-Änderungsbescheid 2004 vom 24.08.2006). Hiergegen hielten die Kläger ihren Einspruch aufrecht, ausdrücklich auch hinsichtlich des beibehaltenen Verspätungszuschlags.
Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2007 verwarf das Finanzamt die Einsprüche der Kläger jeweils als unzulässig. Der Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2003 sei bestandskräftig geworden; den gegen den Änderungsbescheid erhobenen Einspruch hätten die Kläger erst verspätet (nach Ablauf der Einspruchsfrist) auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags erweitert. Da zudem der bestandskräftige Verspätungszuschlag lediglich zu Gunsten der Kläger geändert (herabgesetzt) worden sei, sei kein Änderungsrahmen vorhanden, § 351 Abs. 1 AO. Für 2004 ging das Finanzamt davon aus, dass die Kläger nur die Einkommensteuerfestsetzung, nicht jedoch die Festsetzung des Verspätungszuschlags angefochten hätten. Das Einspruchsschreiben sei auch nicht auszulegen, weil die Kläger Steuerberater seien.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger halten die Verwerfung ihrer Einsprüche gegen die Verspätungszuschläge für rechtswidrig. Soweit die Einsprüche gegen „Bescheide über Einkommensteuer,...” erhoben worden seien, seien die Bescheide mit all ihren Regelungen angefochten worden - dies ergebe sich auch aus den Begründungen der Einsprüche. Wenn die Kläger die Bezeichnungen verwendeten, mit denen das Finanzamt die Bescheide selbst benenne, so müsse die „offizielle Bezeichnung” des Bescheides zur Anfechtung der hierin getroffenen Regelungen ausreichen.
Die Kläger beantragen,
die Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2007 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat das Finanzamt auf Bedenken an seiner Rechtsauffassung hingewiesen. Demgegenüber beharrt das Finanzamt auf der Meinung, für das Jahr 2003 hätten die Kläger Einspruch zunächst nur gegen den Änderungs- „Bescheid” erhoben, den sie erst nach Ablauf der Einspruchsfrist auf den beibehaltenen Versp...