Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Zuständigkeit der Hauptzollämter im Vollstreckungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Der Antrag auf einstweilige Anordnung der vorläufigen Einstellung der Vollstreckung aus einem Kindergeldrückforderungsbescheid kann nicht auf die mögliche sachliche oder örtliche Unzuständigkeit der Agentur für Arbeit Recklinghausen (Inkasso-Service) gestützt werden. Denn die Vollstreckung wird in eigener Verantwortung durch die zuständigen Hauptzollämter betrieben (Abschnitt V 32.2 Abs. 1 Satz 2 DA-KG 2019).
Normenkette
FGO § 38 Abs. 1, 2a, § 70 S. 1; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO §§ 16, 125 Abs. 1, § 258
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege eines Antrags auf einstweilige Anordnung, die Vollstreckung aus einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vorläufig einzustellen und ein gepfändetes Guthaben auszuzahlen.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2012 hob die Familienkasse Hamburg (die Rechtsvorgängerin der Familienkasse Nord) der Bundesagentur für Arbeit die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn der Klägerin (A, geb. am ... 1999) ab April 2008 auf und forderte das von April 2008 bis März 2012 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 8.422 € von der Klägerin zurück mit der Begründung, dass das Kind den Haushalt der Klägerin am 1. April 2008 verlassen habe.
Die Agentur für Arbeit Recklinghausen - Inkasso-Service Familienkasse - der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Inkasso-Service) forderte die Antragstellerin mehrfach, u.a. mit Schreiben vom 4. September 2017 und zuletzt mit Schreiben vom 18. Februar 2019 unter Fristsetzung bis zum 26. Februar 2019, zur Zahlung der Kindergelderstattung zzgl. Säumniszuschlägen (insgesamt 15.226 €) auf.
Den Antrag der Antragstellerin vom 29. Oktober 2018 auf Erlass der Rückforderung zzgl. der Säumniszuschläge lehnte der Inkasso-Service mit Bescheid vom 18. Januar 2019 ab.
Das Hauptzollamt Hamburg-1 erließ wegen der Kindergelderstattung zzgl. Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren und -auslagen (Forderung insgesamt: 15.254,78 €) gegenüber der Bank B, bei der die Antragstellerin ein Girokonto unterhält, eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung und stellte sie der Drittschuldnerin am 6. September 2019 zu.
Die Antragstellerin hat am 4. Dezember 2019 beim Sozialgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die "Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse Hamburg", gestellt und gleichzeitig Klage auf "Rücknahme des rechtsunwirksamen, nichtigen Erstattungsbescheides" vom 30. Mai 2012 erhoben. Mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 hat das Sozialgericht den Rechtsweg zum Sozialgericht für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Finanzgericht Hamburg verwiesen. Die Familienkasse Nord der Bundesagentur für Arbeit, die durch den beschließenden Senat zunächst als Antragsgegnerin behandelt worden war, hat darauf hingewiesen, dass der Inkasso-Service als für die Vollstreckung zuständige Behörde passivlegitimiert sei, und eine Verweisung des Rechtsstreits an das für den Inkasso-Service örtlich zuständige FG Münster beantragt.
Die Antragstellerin trägt vor, dass der Erstattungsbescheid vom 30. Mai 2012 auf der Begehung von Straftatbeständen basiere und daher nichtig sei. Ihr Sohn sei wegen ... ab dem 1. November 2007 in einer therapeutischen Heimeinrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in ... untergebracht gewesen. Ab diesem Zeitpunkt habe dem Fachamt Jugend- und Familienhilfe Hamburg-2 (im Folgenden: Jugendamt) das Kindergeld zugestanden. Das Jugendamt habe aber ihr, der Antragstellerin, das Kindergeld für die Monate Dezember 2007 bis Februar 2008 überwiesen und für die Folgezeit zu ihren Gunsten auf das Kindergeld verzichtet. Nicht auf ihre, der Antragstellerin, sondern auf Veranlassung des Jugendamtes habe die zuständige Familienkasse ihr das Kindergeld ab März 2008 ausgezahlt, obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass ihr, der Antragstellerin, dem Grunde nach kein Kindergeldanspruch zugestanden habe.
Aus diesem Grund habe das Hauptzollamt Hamburg-3 die im April 2013 erlassene Pfändungs- und Einziehungsverfügung seinerzeit wieder aufgehoben und die Vollstreckung eingestellt.
Durch die aktuelle Kontopfändung befinde sie, die Antragstellerin, sich in einer existenzbedrohenden Notlage. Weder die Wohnungsmiete noch die Gebühren für Strom, Wasser und Telekommunikation könnten von dem gepfändeten Konto abgebucht werden. Sie müsse daher die Einstellung der Strom- und Wasserversorgung durch die Versorger befürchten und ihr drohe die Obdachlosigkeit, wenn der Vermieter Räumungsklage einreiche. Ihr Telekommunikations-Provider habe den Telefon- und Internetanschluss bereits gesperrt; E-Mail-Kommunikation, normaler Schriftverkehr und Internetrecherchen seien ihr seitdem nur mit erheblichem Zeitaufwand und unter deutlich erschwerten Bedingungen möglich. Sie habe deshalb ihre reguläre Arbeitszeit reduzieren müssen. Zudem erhalte sie zahlreiche Mahnungen und Klagandrohungen von Gläubigern, weil die ihnen erteilten Einzugsermächtigungen nicht bedient wür...