Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Zinssatz von 6 Prozent p. a. gem. § 238 Abs. 1 AO bei Aussetzungszinsen verfassungswidrig?
Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung des Zinssatzes von 6 % per anno gem. § 238 Abs. 1 AO auf ausgesetzte Steuerbeträge gem. § 237 AO verstößt trotz kontinuierlich gesunkenen Zinsniveaus jedenfalls für einen Zinslauf von 2004 bis 2011 nicht gegen die Verfassung.
Normenkette
AO §§ 237-238; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung von Aussetzungszinsen.
Die Kläger sind Eheleute, die im Veranlagungszeitraum 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie hatten am ... 1996 eine Eigentumswohnung erworben, die sie am ... 2002 wieder veräußerten. Mit Bescheid vom 08.10.2004 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2002 insoweit unter Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns von 61.539 € als Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft i. S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.10.2004, mit dem sich die Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Spekulationsfrist beriefen. Auf den am selben Tag gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewährte der Beklagte am 26.10.2004 Aussetzung der Vollziehung in Höhe der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer von 29.632 €. Am 28.10.2004 ordnete der Beklagte das Ruhen des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Sache IX R 46/02 an. Dieses Verfahren hatte der BFH mit Beschluss vom 16.12.2003 ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen zu der Frage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 mit dem Grundgesetz (GG) insoweit unvereinbar ist, als danach auch private Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998, bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist von zwei Jahren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a. F.) bereits abgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung unterworfen werden.
Nachdem das BVerfG am 07.07.2010 entschieden hatte (2 BvL 2/04), behandelte der Beklagte nur noch einen Betrag von 34.078 € als steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn und setzte mit geändertem Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 15.02.2011 die Einkommensteuer entsprechend niedriger fest. Zugleich wurde die gewährte Aussetzung der Vollziehung aufgehoben. Mit Bescheid vom 30.03.2011 setzte der Beklagte auf den ausgesetzten Betrag gem. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 238 AO Aussetzungszinsen für die Zeit vom 11.11.2004 bis zum 21.03.2011, mithin für 76 Monate, in Höhe von 6.023,00 € fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.04.2011, mit dem sich die Kläger darauf beriefen, dass die Festsetzung der Zinsen wegen der extrem langen Verfahrensdauer von 6 Jahren und vier Monaten nicht nur überraschend, sondern auch willkürlich und verfassungswidrig sei. Im Einklang mit der Verfassung könne allenfalls eine Verzinsung für die Dauer eines Jahres sein. Mit Entscheidung vom 02.12.2011 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Die Zinsfestsetzung sei nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung erfolgt.
Am 04.01.2012 haben die Kläger Klage erhoben. Sie berufen sich weiterhin darauf, dass die Zinsfestsetzung wegen der überlangen Verfahrensdauer verfassungs- und menschenrechtswidrig sei. § 237 AO müsse verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass er bei überlanger Verfahrensdauer nicht anzuwenden sei und schon gar nicht Zinsen in Höhe von 6 Prozent per anno festgesetzt werden dürften. Sie, die Kläger, dürften auch nicht gezwungen werden, zur Vermeidung der Zinslast den streitigen Steuerbetrag erst einmal zu zahlen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Bescheid über Aussetzungszinsen vom 30.03.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 06.12.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist darauf hin, dass die Zinsfestsetzung dem geltenden Recht ebenso entspreche wie dem Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht, die den Nutzungsvorteil abschöpfen solle, den der Steuerpflichtige durch die Aussetzung der Vollziehung derjenigen Steuerbeträge erlange, die im Ergebnis dem Fiskus zustünden.
Die die Kläger betreffende Einkommensteuerakte nebst Beiakten zur Steuernummer .../.../... hat vorgelegen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Festsetzung der Zinsen entspricht der geltenden Rechtslage (dazu 1.), durchgreifende verfassungsrechtliche Zweifel an der Zinshöhe bestehen für den streitigen Zeitraum nicht (dazu 2.).
1. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen St...