Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Pflegekindschaftsverhältnis zu einem deutlich älteren Behinderten bei Haushaltsaufnahme im Rahmen eines Projekts zum begleiteten Wohnen in der Familie
Leitsatz (redaktionell)
1. Nimmt eine in einer Werkstatt für Behinderte arbeitende Steuerpflichtige aufgrund einer Vereinbarung mit dem Träger des begleiteten Wohnens einen deutlich älteren Schwerbehinderten im Rahmen eines Projekts zum begleiteten Wohnen in ihrer Wohnung auf, so besteht kein „familienähnliches Band” als Voraussetzung für einen Kindergeldanspruch der Steuerpflichtigen aufgrund eines Pflegekindschaftsverhältnisses, wenn u. a. der Behinderte nicht als Familienmitglied, sondern als „Gast” behandelt werden soll und von der Steuerpflichtigen nicht eigenverantwortlich betreut und versorgt wird, sondern erhebliche Mitbestimmungs- und Kontrollrechte sowohl für den Träger des begleiteten Wohnens als auch für die für den Behinderten eingesetzte Betreuerin bestehen, und wenn die Unterbringung insgesamt gesehen ähnlich wie bei anderen Formen des betreuten Wohnens ausgestaltet ist.
2. Darüber hinaus scheidet ein familienähnliches Band auch deswegen aus, weil aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich eine ideelle Dauerbindung und ein Autoritätsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern entwickelt hat.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die am …10.1965 geborene Klägerin (Klin) nahm am 01.11.2003 M (geb. 18.06.1948) zur Betreuung in ihren Haushalt auf. M ist geistig behindert, hör-, seh- und gehbehindert. Der Grad der Behinderung beträgt gemäß dem ab 01.01.1978 gültigen Schwerbehindertenausweis 100, zusätzlich sind die Merkzeichen G und RF eingetragen. M arbeitet in einer Werkstatt für Behinderte. Als Betreuerin des M ist Rechtsanwältin D eingesetzt. Die Aufnahme des M erfolgte auf der Grundlage einer Vereinbarung über begleitetes Wohnen in der Familie vom 11./18.02.2004 zwischen dem Träger des Begleiteten Wohnens in der Familie, dem M und der Klin, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird. Grundlage des Vertrages sind die Eingliederungshilferegelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw. des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) sowie die Leistungsvereinbarung zwischen dem Träger des begleiteten Wohnens und dem Landeswohlfahrtsverband (LWV). Der Träger der Sozialhilfe gewährt im Rahmen der Eingliederungshilfe für M ein monatliches Betreuungsgeld. Dieses beinhaltet zum einen die Hilfe zum Lebensbedarf bzw. die Grundsicherung. Der davon erfasste Grundbedarf, der Mehrbedarf und die Unterkunftskosten werden durch Leistungen des Sozialhilfeträgers gedeckt, soweit das einzusetzende eigene Einkommen des M (Rente wegen voller Erwerbsminderung, Lohn aus Behindertenwerkstätte) nicht ausreicht. Daneben umfasst das Betreuungsentgelt die Hilfe zur Pflege. Das Betreuungsentgelt wird über den Sozialhilfeträger bzw. die Betreuerin an die Klin ausgezahlt. Diese hat hieraus einen monatlichen Barbetrag und eine Bekleidungspauschale an M auszuzahlen. Der Träger des begleiteten Wohnens erhält für die fachliche Beratung und Begleitung des M und der Gastfamilie eine Leistungspauschale.
Am 01.12.2008 zog M in den Haushalt einer anderen Familie.
Die Beklagte (die Familienkasse –FK–) lehnte den Kindergeldantrag vom 23.07.2007 mangels Eltern-Kind-Verhältnis mit Bescheid vom 12.09.2007 ab. Hinsichtlich des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs für ein volljähriges behindertes Kind hat die FK bislang keine Entscheidung getroffen. Den gegen den Ablehnungsbescheid gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 31.01.2008 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Die Klin besorge für M die Dinge des täglichen Lebens, sie koche für ihn, schneide ihm die Haare, achte auf Hygiene, wasche die Wäsche und kaufe für M ein. Insbesondere teile sie auch das Taschengeld für M ein, dadieser mit Geld nicht umgehen könne. Ferner überwache sie die Medikamenteneinnahme. M habe keine Familienangehörigen. Die Eltern seien 1969 bzw. 1993 verstorben. Dieeinzige noch lebende Tante wehre sich gegen einen Kontakt zu M. M sei aufgrund seiner Behinderung trotz Volljährigkeit nicht in der Lage ohne fremde Hilfe seine Angelegenheiten im Bereich der Lebensführung wahrzunehmen. Daher erbringe die Klin wegen insoweit gegebener Hilflosigkeit für M Betreuungs- und Erziehungsleistungen. Die Klin erbringe Betreuungsleistungen im Bereich der Gesundheitssorge, der häuslichen Versorgung,der Unterstützung bei Behördenangelegenheiten, der Vermögenssorge und der lebenspraktischen Tätigkeit. Aufgrund des fünfjährigen Zusammenlebens sei ...