Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß von Säumniszuschlägen auf materiell unrechtmäßige Steuerforderung
Leitsatz (redaktionell)
Die Verwirkung von Säumniszuschlägen ist unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der zu zahlenden Steuerforderung. Entstandene Säumniszuschläge auf materiell unrechtmäßige Steuerforderungen - hier infolge fehlender Umsetzung einer EU-Richtlinie durch die Bundesregierung - können daher nicht Gegenstand einer Billigkeitsregelung nach § 227 Abs. 1 AO sein.
Normenkette
AO § 227 Abs. 1, §§ 240, 240 Abs. 1, 1 Sätze 1, 4, § 227
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist der Erlass von Säumniszuschlägen.
Der Kläger betrieb 1992 ein Glücksspielunternehmen. Am 09. September 1996 erließ der Beklagte (das Finanzamt – FA –) einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1992. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und verwies zur Begründung auf ein beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängiges Verfahren betreffend die Umsatzsteuerfreiheit von Erlösen aus Glücksspiel nach Art. 13 Teil B lit. f der Richtlinie 77/388/EWG. Danach bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Umsatzsteuer 1992. Das FA setzte die Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung 1992 bis zur Entscheidung über den Einspruch aus. Mit Bescheid vom 14. Dezember 1999 hob das FA die Umsatzsteuerfestsetzung 1992 auf, nachdem der EuGH die Erhebung von Umsatzsteuern auf Erlöse aus Glücksspielen als nicht mit der Richtlinie 77/388/EWG vereinbar erklärt hatte. Wegen Nichtzahlung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate Januar bis August 1992 waren bis dahin Säumniszuschläge in Höhe von 7.310,00 DM verwirkt.
Am 15. Dezember 1999 beantragte der Kläger den Erlass der Säumniszuschläge. Die Bundesrepublik Deutschland habe es rechtswidrig unterlassen, Art. 13 Teil B lit. f der Richtlinie 77/388/EWG in nationales Recht umzusetzen. Die Festsetzung der Umsatzsteuer 1992 sei von vornherein, also auch schon im Wege der Festsetzung von Vorauszahlungen, rechtswidrig gewesen. Die rechtswidrige Unterlassung der Umsetzung einer EG-Richtlinie durch die Bundesrepublik könne keine Säumnis des Steuerpflichtigen begründen.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2000 erließ das FA aus sachlichen Billigkeitsgründen die seit dem 24. September 1996, dem Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 1992, verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von 3.226,00 DM. Den weiter gehenden Erlass (4.084,00 DM) lehnte das FA ab. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung hätten sich erst mit der Einlegung des Einspruchs und dessen Begründung ergeben. § 240 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung (AO 1977) stelle ausdrücklich klar, dass verwirkte Säumniszuschläge unberührt blieben, wenn eine Steuerfestsetzung nachträglich aufgehoben oder geändert werde. Ein Verzicht auf die Erhebung von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen sei nur möglich, wenn ein zwingender Erlassgrund vorliege. Dies sei dann der Fall, wenn es möglich gewesen wäre, die rückständigen Beträge zu stunden, sodass Säumniszuschläge nicht entstanden wären. Die Voraussetzungen zur Stundung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Januar bis August 1992 seien aber erst mit dem Einspruch vom 24. September 1996 gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 1992 erfüllt gewesen. Erst zu diesem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass ein Wegfall auch der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen wahrscheinlich gewesen sei.
Hiergegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides hätten nicht erst nachträglich entstehen dürfen, sondern hätten bei rechtskonformer Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG schon bei der Umsetzung derselben entstehen müssen. Die Erhebung von Säumniszuschlägen dürfe nicht dazu führen, dass eine unrechtmäßige Steuer der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsbrecherin noch zusätzliche Erträge bringe. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 könne nur dahingehend ausgelegt werden, dass verwirkte Säumniszuschläge dann unberührt blieben, wenn sich die ursprüngliche Steuerfestsetzung im Einklang mit den Gesetzen befand, was hier jedoch von Anfang an nicht der Fall gewesen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verpflichten, die Säumniszuschläge zu den Umsatzsteuer-Vorausszahlungen Januar bis August 1992 zu erlassen.
Das beklagte FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 9. August 2001.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage kann keinen Erfolg haben. Die Ablehnung des begehrten Erlasses war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Gemäß § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen gemäß § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 AO 1977 auch Ansprüche auf Säumniszuschläge gehören, ganz oder zum Teil erlasse...