Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld für behindertes Kind für bestandskräftig abgelehnte Zeiträume nach Ergehen eines Anerkennungsbescheids des Versorgungsamts über die Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
Ein bestandskräftiger Kindergeldablehnungsbescheid, der mangels Vorlage einer Bescheinigung für die Behinderung des Kindes ergangen ist, kann nicht wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen aufgehoben und geändert werden, wenn das Versorgungsamt erstmalig eine Behinderung des Kindes feststellt. Die "Tatsache" ist bei Ergehen des Ablehnungsbescheids noch nicht dagewesen, so dass keine nachträglich bekannt gewordene ursprüngliche Tatsache besteht (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). Im Streitfall traf die Antragstellerin zudem grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Behinderung. Ein rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ebenfalls nicht gegeben.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 32 Abs. 4 Nr. 3
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist die Mutter von A 2, geboren: 16.08.1974. Ihr Sohn bekam ab dem 01.04.2007 eine bis zum 31.12.2009 befristete Erwerbsunfähigkeitsrente.
Im Oktober 2008 beantragte die Klägerin Kindergeld für A 2. Ende März 2009 forderte der Beklagte die Klägerin auf, unter anderem eine vollständige Kopie des Schwerbehindertenausweises und eine Kopie des Feststellungsbescheides des Versorgungsamtes bis zum 21.07.2009 vorzulegen. Mit Bescheid vom 11.08.2009 lehnte der Beklagte den Kindergeldfestsetzungsantrag ab, weil die Klägerin keinerlei Unterlagen vorgelegt hatte. Dieser Bescheid wurde mangels Einlegung eines Einspruches bestandskräftig.
Am 28.10.2010 beantragte die Klägerin erneut, ihr für die nicht verjährten Zeiten Kindergeld für A 2 zu gewähren. Im Laufe des Antragsverfahrens legte sie einen Abhilfebescheid der Stadt O, Versorgungsamt, vom 12.01.2010 vor. Hierin wird bescheinigt, dass unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2009 ab 16.03.2009 der Grad der Behinderung 70 v.H. für A 2 beträgt. Mit Bescheiden vom 24.05.2011 lehnte der Beklagte die Kindergeldfestsetzung bis zum Monat der Bekanntgabe (Erst-)Bescheid vom 11.08.2009 ab und gewährte erstmalig Kindergeld rückwirkend ab September 2009.
Den dagegen am 21.06.2011 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22.06.2011 als unbegründet zurück. Unter anderem führte er aus, dass insbesondere eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) ausscheide, weil die Einspruchsführerin im vorliegenden Fall ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der maßgeblichen Tatsachen/Beweismittel treffe. So habe die Einspruchsführerin erst nach Ablauf der Einspruchsfrist erneut Kindergeld beantragt und im Verlaufe dieses Antrages erstmalig die erforderlichen Beweismittel eingereicht.
Mit der am 21.07.2011 eingelegten Klage trägt die Klägerin vor, dass während der ersten Antragstellung auf Gewährung von Kindergeld noch kein Schwerbehindertenverfahren für ihren Sohn anhängig gewesen sei. Der Aufforderung des Beklagten vom 31.03.2005, einen Bescheid des Versorgungsamtes vorzulegen, habe sie damit nicht Folge leisten können. Erst nach Rechtskraft des Kindergeldablehnungsbescheides vom 11.08.2009 sei der Abhilfebescheid des Versorgungsamtes vom 12.01.2010 ergangen. Mit diesem Bescheid sei der Grad der Behinderung auf 70 % ab dem 16.03.2009 zuerkannt worden. Ihr könne nicht vorgeworfen werden, diese Entscheidung nicht schon früher vorgelegt zu haben. Außerdem werde bestritten, dass der Beklagte bei Erlass des Erstbescheides Kenntnis von der Behinderung des Sohnes gehabt habe. Sollte dem Beklagten die Tatsachen der Schwerbehinderung des Sohnes allerdings bekannt gewesen sein, so treffe die Klägerin keinerlei Verschulden. Es hätte der Vorlage eines Beweismittels nicht bedurft. Sollte aber die Vorlage eines Beweismittels erforderlich sein, gerade weil dem Beklagten die Tatsachen nicht bekannt waren, die allen anderen auch nicht bekannt waren, selbst dem Versorgungsamt nicht, dann sei dieses Beweismittel erst im Januar 2010 entstanden und damit nach Rechtskraft des Verwaltungsaktes, so dass §§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eingreife. Ermittlungsfehler der Behörde seien ein erheblicher Verfahrensstoß, welcher der Klägerin nicht angelastet werden könnten. Im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO könnten Tatsachen nicht zum Nachteil eines Bürgers als bereits bekannt gelten, wenn der zuständige Bearbeiter dies lediglich hätte erkennen können oder erkennen müssen. Die Behörde könne sich schlechterdings nicht auf ihr eigenes Versäumnis und/ oder Verschulden hinsichtlich eines Ermittlungsfehlers berufen.
Gegen den am 02.07.2012 ergangenen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26.07.2012 mündliche Verhandlung beantragt.
Die Vertreterin der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 02.07.2012 aufzuheben und der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum März 2005 bis August 2009 für Ihr Kind A 2 zu gewähren.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mangels Korrekturvorschriften, die z...