Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für eine Änderung von Einkommensteuerbescheiden
Leitsatz (redaktionell)
Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 können Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Steuerfalles bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren. Hierbei kommt es auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde, und zwar der Personen an, die innerhalb der Behörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten. Dabei gilt für jede Stelle innerhalb der Behörde das als bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2001 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen haben.
Die Kläger werden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezieht Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als Arbeiter und die Klägerin erhält Lohn aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis, der im Steuerjahr 1999 im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung besteuert wurde.
Die Kläger hatten ab dem Veranlagungsjahr 1998 Unterhaltsleistungen an die Mutter der Klägerin M (im Folgenden: M; geboren am 30.10.1934, verwitwet seit 1996) geltend gemacht. In der Einkommensteuererklärung 1998 heißt es, M verfüge über keinerlei Barschaft, ihr Vermögen bestehe nur aus einem kleinen Häuschen. Für die Streitjahre sind als Einkünfte der M ihre Rente und als Vermögen das alte Einfamilienhaus mit dem Hinweis „siehe Vorjahr“ angegeben.
Im Rahmen der Veranlagung 1999 fragte das Finanzamt mit Schreiben vom 7.04.2000 u.a. an, wie die land- und forstwirtschaftlichen Flächen der Klägerin, genutzt würden. Bei den Akten befindet sich auch eine Veräußerungsanzeige (Eingangsstempel: 22.08.2000), wonach die Klägerin unbebaute Grundstücke in den Gemarkungen 1 und 2 für 74.000 DM verkauft habe. Die Bewertungsstelle hatte dazu am 04.10.2000 auf Anfrage mitgeteilt, die Grundstücke seien am 01.11.1993 bzw. 12.07.1999 durch Schenkung erworben worden und als land- und forstwirtschaftliches Vermögen bewertet.
In den Einkommensteuerbescheiden 1999 vom 20.06.2000, 2000 vom 30.08.2001 und 2001 vom 15.11.2002 sind jeweils Unterhaltszahlungen an M i.H.v. 3.600 DM als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer 1999 auf 8.274,00 DM, für 2000 auf 3.982,00 DM und für 2001 auf 5.914,00 DM fest.
Im Rahmen einer Einspruchsbearbeitung stellte die Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts im Jahr 2004 fest, dass M (Mit-)Eigentümerin des folgenden Grundbesitzes ist:
Gemarkung |
FlNr. |
Miteigentumsanteil |
Nutzungsart |
Größe |
2 |
125 |
1/1 (selbst genutzt; Baujahr v. 1890) |
EFH |
520 qm |
2 |
673 |
1/1 |
Garten |
450 qm |
2 |
674 |
-Anteil an Erbengemeinschaft nach V (Vater der Klägerin) |
Bauplatz |
1.160 qm |
Außerdem stellte sich damals heraus, dass der Erbengemeinschaft nach V , an der M zu und die Klägerin zu beteiligt waren, bis 12.07.1999 noch 12.230 qm Ackerland und 2.806 qm Wald gehört hatten. Mit notariellem Vertrag vom 12.07.1999 hatten sich die Beteiligten der Erbengemeinschaft über den Grundbesitz auseinandergesetzt und das Alleineigentum daran der Klägerin ohne Gegenleistung zugewiesen. Der in Kopie nun bei der Einkommensteuerakte befindliche Vertrag war beim Finanzamt ursprünglich am 26.07.1999 eingegangen. Lt. Aktenlage war er in die Grunderwerbsteuerstelle gelangt und dort abgeheftet worden. Eine Veräußerungs-/Erwerbsmitteilung dazu befindet sich nicht bei der Einkommensteuerakte.
Das Finanzamt teilte den Klägern nun mit, es habe festgestellt, dass M Inhaberin von nicht nur geringem Vermögen sei; dies schließe die Berücksichtigung der an sie geleisteten Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung aus. M sei (Mit-)Eigentümerin von Grundbesitz und habe Bankguthaben von nicht nur geringem Umfang; dies ergebe sich aus ihren von der Zinsabschlagsteuer freigestellten Zinserträgen. Dazu komme, dass keine außergewöhnliche Belastung vorliege, wenn der Unterstützte einen bürgerlichrechtlichen Anspruch auf Herausgabe verschenkten Vermögens habe, weil der eigene Unterhalt gefährdet sei. Aus der Steuerakte ergibt sich, dass eine Liste von Freistellungsaufträgen 2000 und 2002 mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis entnommen worden ist.
Am 20.09.2004 ergingen Einkommensteueränderungsbescheide 1999, 2000 und 2001, bekanntgegeben mit einfachem Brief, die auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt sind. Die Unterhaltsleistungen sind darin nicht mehr berücksichtigt. Die Einkommensteuer wurde auf 9.314 DM (für 1999), 4.920 DM (für 2000) und 6.830 DM (für 2001) festgesetzt.
Die Kläger haben am 22.10.2004 Sprungklage erhoben. Das Finanzamt, dem die Klage am 27.10.2004 zuges...