Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückstellung für zu erwartende Kartellbußen der EU
Leitsatz (amtlich)
Der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen einer zu erwartenden Kartellbuße der EU-Kommission steht das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG entgegen; die Kartellbuße enthält keinen Abschöpfungsteil für Mehrgewinne.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 Nr. 8; HGB § 249 Abs. 1, 3
Tatbestand
Streitig ist, ob und ggf. in welcher Höhe die Klägerin in ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1993 eine Rückstellung wegen eines gegen sie (und 18 weitere Unternehmen) von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission) am 21. Dezember 1992 nach Artikel 85 Abs. 1 (jetzt: Art. 81 Abs. 1) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) eingeleiteten Verfahrens wegen Beteiligung an einem Preis- und Mengenkartell bilden konnte.
Gegenstand der klagenden KG ist die Herstellung und der Vertrieb von Karton jeder Art. Im Anschluss an europaweite Ermittlungen im April 1991 bei insgesamt 19 Unternehmen im Bereich äKarton (darunter die Klägerin) teilte die Kommission der Klägerin (und den weiteren 18 Unternehmen) im Schreiben vom 21. Dezember 1992 die Einleitung eines Bußgeldverfahrens (Fall ...) wegen Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV nach der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 06. Februar 1962 (KartellVO) mit. Aufgrund dessen bildete die Klägerin erstmals im Jahresabschluss zum 31. Dezember 1992 eine (sonstige) Rückstellung (äschwebende Rechtsstreite) von 10 .500.000,-- DM für die drohenden Aufwendungen. Diesen Betrag ermittelte sie im Anschluss an Auskünfte der Rechtsanwaltskanzlei ... vom 15. September 1993 (Bl. 3 Außenprüfungshandakte - AP - Nr. 7) und 12. April 1994 (Bl. 13 AP Nr. 8) dahin, dass sie die zu erwartende Geldbuße mit 10.280.960,-- DM (= 8 % ihres EG-weiten Umsatzes 1992) und die voraussichtlichen Prozesskosten mit 219.040,-- DM (insgesamt also: 10.500.000,-- DM) schätzte. Die Rückstellung wurde anlässlich einer Ende 1993/Anfang 1994 durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 1989 bis 1992 nicht beanstandet.
Unter Hinweis auf die Bestimmung des Art. 15 Abs. 2 KartellVO zur Höhe der (ggf.) zu verhängenden Geldbuße (bis 10 % des von dem betroffenen Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatz) forderte die Kommission die Klägerin mit Schreiben vom 07. Oktober 1993 (Bl. 9 AP Nr. 7) auf, für die letzten beiden Geschäftsjahre ihre Umsätze (Gesamtumsatz, Umsatz im Kartonbereich, Umsatz im Kartonbereich in der EG) zu benennen und Angaben zu ihrer finanziellen Situation zu tätigen.
Zum 31. Dezember 1993 setzte die Klägerin die hier streitbefangene Rückstellung in ihrer am 08. Juni 1994 erstellten Bilanz mit 10.370.000,-- DM (Geldbuße: 10.282.381,-- DM; Rechts- bzw. Prozesskosten: 87.619,-- DM) an.
Mit Schreiben vom 01. August 1994 gab die Kommission der Klägerin ihre Entscheidung vom 13. Juli 1994 bekannt (Bl. 14 und 15 sowie 16 bis 119 AP Nr. 7). Hiernach wurde gegen die Klägerin wegen Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV durch Beteiligung in der Zeit von Mitte 1986 bis mindestens April 1991 an einem seit Mitte 1986 bestehenden unzulässigen Preis- und Wettbewerbskartell eine Geldbuße von 3.000.000,-- ECU (= ca. 5.738.804,-- DM) verhängt. Hinsichtlich der Höhe der insgesamt, also gegen die betroffenen 19 Unternehmen, ausgesprochenen Geldbußen sind die Erwägungen der Kommission in Rz. 168 (Bl. 111 AP Nr. 7) aufgeführt. Berücksichtigt wurde hiernach u. a., dass die Preis- und Marktaufteilungsabsprachen als solche schwere Wettbewerbsverstöße darstellten, das Kartell sich praktisch europaweit erstreckte, umfassende Verschleierung stattfand und das Kartell entsprechend seiner Zielsetzung weitgehend erfolgreich war. Darüber hinaus berücksichtigte die Kommission bei den einzelnen beteiligten Unternehmen individuelle Tatumstände, die in Tz. 169 benannt (u. a. die entfalteten Aktivitäten bei Zustandekommen der Absprachen, die Stellung des einzelnen Unternehmens in der Branche und dessen zeitliche Beteiligung am Kartell sowie ämildernde Umstände) und in Tz. 170 bis 172 gewürdigt sind, allerdings - wie die Kommission klarstellt - ohne Verwendung genauer mathematischer Formeln. Hinsichtlich der Klägerin wurde ausgeführt (Tz. 170 Abs. 3), dass sie äin der Gestaltung der Politik des Kartells keine so wichtige Rolle wie die großen Industriekonzerne gespielt zu haben schien.
Gegen die Entscheidung der Kommission erhob die Klägerin Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Das Gericht 1. Instanz bestätigte mit Urteil vom 14. Mai 1998 (T-317/94; Bl. 132 bis 200 AP Nr. 7) den von der Kommission festgestellten Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EGV und erachtete die von der Klägerin u. a. erhobene Rüge, die Kommission habe die Höhe der Bußgeldbemessung unzureichend begründet, für unzutreffend (Tz. 182 bis 196 des vorgenannten Urteils). Die Klage hatte jedoch insoweit Erfolg, wie das Gericht die Dauer der Zugehörigkeit der Klägerin zum Kartell abweichend von den Feststellungen der Kommission (dort: ab...