Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen, Elisabeth Wöhrle
Rz. 100
Nach der in Rz. 96 vertretenen Auffassung bestimmen sich die Strukturmerkmale einer Verschmelzung nach Art. 2 Buchst. a) FRL. Strukturmerkmale sind danach:
- Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger auf einen bestehenden Rechtsträger bei der Verschmelzung zur Aufnahme oder von mindestens 2 Rechtsträgern auf einen neu gegründeten Rechtsträger bei der Verschmelzung zur Neugründung;
- Gewährung von Anteilen an dem übernehmenden Rechtsträger an die Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers;
- Auflösung ohne Abwicklung des oder der übertragenden Rechtsträger;
- Zuzahlung i. H. v. maximal 10 % des Nennwerts der gewährten Anteile.
Rz. 100a
Diese Strukturmerkmale, mit Ausnahme der Zuzahlung von maximal 10 %, entsprechen den von der Verwaltung angenommenen Strukturmerkmalen. Die Finanzverwaltung führt aber 2 weitere Merkmale als Strukturmerkmale auf, nämlich
- die Übertragung aufgrund eines Rechtsgeschäfts und
- die Übertragung kraft Gesetzes.
Rz. 100b
Die maximale Zuzahlung von 10 % wird nicht als Strukturmerkmal, sondern als "sonstiges Vergleichskriterium" eingeordnet. Sie ist daher, anders als ein von vornherein wesentliches Strukturmerkmal, auf ihre Bedeutung zu prüfen. Das Überschreiten der Grenze von 10 % kann daher nicht ohne weiteres zur Ablehnung einer steuerneutralen Umwandlung führen, sondern nur dann, wenn die Abweichung so gewichtig ist, dass der Vorgang nicht mehr mit einer Umwandlung nach deutschem Recht vergleichbar ist. Dazu sind auch die anderen Struktur- und Vergleichskriterien in die Prüfung einzubeziehen.
Rz. 100c
Die beiden zusätzlichen Strukturmerkmale sind jedoch kritisch zu sehen, weil sie nicht in der FRL erwähnt werden. Die Verwaltung übernimmt diese Kriterien aus der Verschmelzungsrichtlinie. Das Erfordernis der Umwandlung "aufgrund eines Rechtsgeschäfts", also die Notwendigkeit eines Verschmelzungsvertrags oder -plans, stammt aus Art. 6 der Verschmelzungsrichtlinie. Die Notwendigkeit der Übertragung kraft Gesetzes, also die Gesamtrechtsnachfolge anstelle der Einzelrechtsnachfolge, leitet die Verwaltung aus Art. 19 der Verschmelzungsrichtlinie ab, wonach die Rechtswirkungen der Verschmelzung "ipso jure" eintreten. U. E. kann die Verschmelzungsrichtlinie jedoch nicht als Maßstab herangezogen werden. Zum einen betrifft diese Richtlinie nur Verschmelzungen von AG, nicht von GmbH und Genossenschaften; die darin enthaltenen Merkmale sind also keine allgemein gültigen Strukturmerkmale einer Verschmelzung. Zum anderen ist die Verschmelzungsrichtlinie eine unternehmensrechtliche Richtlinie. Daher liegt die Heranziehung der FRL, also einer steuerrechtlichen Richtlinie, als Maßstab für die Beurteilung der steuerlichen Folgen einer Verschmelzung näher. Die FRL nimmt die Verschmelzungsrichtlinie nicht in Bezug, sodass die Kriterien der Verschmelzungsrichtlinie nicht in die FRL hineininterpretiert werden können. Gegen die Gesamtrechtsnachfolge als Strukturmerkmal spricht auch, dass Art. 19 Abs. 3 der Verschmelzungsrichtlinie Ausnahmen von der Gesamtrechtsnachfolge zulässt. Auch die Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen, auf der die §§ 122a ff. UmwG beruhen, enthält nicht die Voraussetzung der Umwandlung aufgrund eines Rechtsgeschäfts und lässt in Art. 14 Abs. 3 Ausnahmen von der Gesamtrechtsnachfolge zu.
Rz. 101
Die Finanzverwaltung sieht die sowohl vom europäischen als auch vom deutschen Recht geforderte Voraussetzung, dass bei einer Verschmelzung zur Neugründung mindestens 2 übertragende Rechtsträger vorhanden sein müssen, nicht als Strukturmerkmal an. Daher kann auch eine Verschmelzung, bei der nur ein übertragender Rechtsträger vorhanden ist, unter das UmwStG fallen.
Rz. 102
Das Strukturmerkmal "Gewährung von Anteilen" ist nicht absolut zu sehen, sondern lässt Ausnahmen zu. Diese Ausnahmen bestehen in den im jeweiligen nationalen Recht enthaltenen Kapitalerhöhungsverboten und -wahlrechten, wenn diese Regeln dem § 54 UmwG entsprechen. Soweit danach eine Kapitalerhöhung ausgeschlossen ist oder das Wahlrecht besteht, von einer Kapitalerhöhung abzusehen, verhindert dies nicht die Anwendung des UmwStG. Dies entspricht auch Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen; ähnlich Art. 2 Buchst. a) iii) FRL für Fälle, in denen der übernehmende Rechtsträger zu 100 % an dem übertragenden Rechtsträger beteiligt ist. Andererseits ist dieses Strukturmerkmal nicht erfüllt, wenn Anteile anderen Personen als Gesellschaftern des übertragenden Rechtsträgers gewährt werden. Damit ist z. B. der Erwerb von eigenen Anteilen durch den übernehmenden Rechtsträger ausgeschlossen.
Rz. 103
Die Finanzverwaltung stellt "weitere Vergleichskriterien" auf und nennt dabei insbesondere die maximale Zuzahlung von 10 % des Nennbetrags der gewährten Anteile. Dies soll jedoch nicht abstrakt anhand des ausl. Rechts geprüft werden, sondern anhand des konkreten Umwandlungsvorgangs. So führt die Verwaltung d...