1 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch das JStG 1996 im Zusammenhang mit der Umgestaltung des bisherigen Kinderlastenausgleichs zum sog. Familienleistungsausgleich mit Geltung ab Vz 1996 eingefügt (zur Rechtsentwicklung s. § 31 EStG Rz. 3ff.). Durch das FamFG v. 22.12.1999 wurde die Pfändung auf das (normale) Kindergeld nach § 66 Abs. 1 S. 1 EStG a. F. beschränkt, d. h., das durch das FamFG geschaffene sog. Teilkindergeld (für behinderte Kinder) nach § 66 Abs. 1 S. 2 EStG a. F. sollte den Eltern belassen werden; es wurde deshalb von der Pfändbarkeit ausgenommen. Durch das 2. FamFG v. 16.8.2001 wurde, da das Teilkindergeld aufgrund der Rspr. des BFH praktisch nicht zur Anwendung kam, § 66 S. 2 EStG aufgehoben und dementsprechend die Vorschrift über die Unpfändbarkeit des Teilkindergelds in § 76 S. 2 EStG a. F. ebenfalls gestrichen.
Mit Bekanntmachung v. 8.10.2009 wurde das EStG neu gefasst. Die Vorschrift des § 76 EStG blieb unverändert.
2 Bedeutung
Rz. 2
Nach § 76 EStG besteht im Interesse des Kindes für den Kindergeldanspruch ein besonderer Pfändungsschutz. Die Regelung stellt sicher, dass Kindergeld wie bisher nur eingeschränkt pfändbar ist. Die Vorschrift entspricht § 54 Abs. 5 SGB I.
Rz. 3
Nach § 31 S. 3 EStG wird das Kindergeld als Steuervergütung gezahlt. Dieser Vergütungsanspruch könnte ohne die Einschränkung durch § 76 EStG von jedem Gläubiger des Kindergeldberechtigten gepfändet werden. § 76 EStG schränkt die Pfändungsmöglichkeit nach § 46 AO dahingehend ein, dass der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich unpfändbar ist. Er kann ausnahmsweise nur wegen der gesetzlichen Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung des Kindergelds berücksichtigt wird, gepfändet werden. Damit wird sichergestellt, dass das Kindergeld tatsächlich für das Kind verwendet werden kann. Denn der Anspruch verbleibt dem Kindergeldberechtigten oder Abzweigungsempfänger und kann nur wegen des dem Kind zustehenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs gepfändet werden. Andere Gläubiger (auch das FA) sollen keinen Zugriff auf das Kindergeld haben und sind daher von der Pfändung ausgeschlossen. Ebenso ausgeschlossen ist die Pfändung durch das Kind wegen anderer Ansprüche als der gesetzliche Unterhaltsanspruch.
Rz. 3a
Hierbei muss das Kind zunächst einen Vollstreckungstitel vor dem Familiengericht erwirken und unter Beachtung der Vollstreckungsvorschriften beim Vollstreckungsgericht den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragen; dieser ist der zuständigen Familienkasse als Drittschuldnerin zuzustellen. Die Familienkasse ist gehalten, in der Drittschuldnererklärung nach § 840 Abs. 1 ZPO unter Bezugnahme auf § 76 S. 1 EStG auf die Unwirksamkeit der Pfändung hinzuweisen, wenn Kindergeld wegen anderer Forderungen als Unterhaltsansprüchen eines Zahl- oder Zählkindes gepfändet wird.
Der (eingeschränkten) Pfändungsmöglichkeit kommt in der Praxis wenig Bedeutung zu, da die Auszahlung (Abzweigung) nach § 74 Abs. 1 S. 1 EStG an das unterhaltsberechtigte Kind oder nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG an den Unterhalt gewährenden Dritten regelmäßig weniger bürokratisch zum Ziel führt.
Das Pfändungsprivileg nach § 76 S. 1 EStG gilt nicht, wenn der gesetzliche Unterhaltsanspruch durch Rechtsgeschäft oder kraft Gesetzes auf einen Dritten übergeht, der an die Stelle des ursprünglichen Unterhaltsgläubigers tritt, z. B. beim Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger (§§ 93, 94 SGB X). Das Pfändungsvorrecht für gesetzliche Unterhaltsforderungen erstreckt sich auch auf damit zusammenhängende notwendige Prozess- und Vollstreckungskosten.
Rz. 4
Bei der Festsetzung des Kindergelds berücksichtigte Kinder sind sowohl die Zahlkinder als auch die Zählkinder (§ 63 EStG Rz. 3). Erforderlich ist, dass das Kind bei der Festsetzung berücksichtigt wurde. Ist das Kind bei der Kindergeldfestsetzung unberücksichtigt geblieben, muss es vor einer Pfändung zunächst die Kindergeldfestsetzung für sich erreichen. Ein an letzter Stelle berücksichtigtes Zählkind bleibt außer Acht, da sich dieses nicht auf die Höhe des Kindergelds auswirkt.
Die Pfändung ist nur wegen der gesetzlichen Unterhaltsansprüche des Kindes zulässig. Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind leibliche Kinder gegenüber Verwandten in gerader Linie (Eltern und Großeltern, § 1601 BGB) und Adoptivkinder (§ 1751 Abs. 4 BGB). Stiefkinder haben gegenüber Stiefeltern und Pflegekinder gegenüber Pflegeeltern keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche. Sie sind daher, ebenso auch sonst nur vertraglich Unterhaltsberechtigte, nicht pfändungsberechtigt.