Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausübung des Wahlrechts hinsichtlich der Veranlagungsart des anderen Ehegatten als rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antrag des beigeladenen Ehegatten auf getrennte Veranlagung stellt verfahrensrechtlich ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar.
2. Ehegatten können ihr Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit sogar eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ausüben oder bis zu diesem Zeitpunkt eine einmal getroffene Wahl widerrufen. Das gilt unabhängig davon, inwieweit durch die Änderung die Bestandskraft unterbrochen wird.
3. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die Rechtsausübung willkürlich erscheint.
4. § 351 Abs. 1 AO steht einer Änderung des Veranlagungswahlrechts durch den beigeladenen Ehegatten nicht entgegen. Denn § 351 AO begrenzt nur den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheides. Die Wahl der Veranlagungsart stellt aber keine Anfechtung in diesem Sinne dar, sondern ist ein Verpflichtungsbegehren auf Durchführung einer erneuten Veranlagung.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 26 Abs. 1 S. 1, §§ 26a, 26b; AO § 351 Abs. 1
Streitjahr(e)
1985
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) für den Kläger eine getrennte Veranlagung durchführen durfte.
Der Kläger wurde für das Streitjahr mit Bescheid vom 10.07.1989 zunächst einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einzelveranlagung erfolgte, weil das damals zuständige Finanzamt H nach den Angaben in der im Jahr 1988 abgegebenen Einkommensteuererklärung davon ausging, dass der Kläger und seine geschiedene Ehefrau, die Beigeladene, im Streitjahr getrennt gelebt hätten. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch begehrte der Kläger die Zusammenveranlagung mit der Begründung, er habe bis März 1986 mit der Beigeladenen zusammengelebt. Nachdem die Beigeladene im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahren der Zusammenveranlagung am…zugestimmt hatte, erging ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Zusammenveranlagungsbescheid vom 13.11.1991. Dieser Bescheid wurde gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) mit Bescheid vom 29.06.1992 nach einer Betriebsprüfung mit weiterem Bescheid gemäß § 54 Einkommensteuergesetz (EStG) geändert. Der zuletzt geänderte Bescheid für die Beigeladene wurde am 07.12.1992 , für den Kläger am 06.01.1993 zur Post gegeben.
Die Beigeladene legte hiergegen am 09.12.1992 Einspruch ein und beantragte die getrennte Veranlagung. Das FA entsprach diesem Antrag und führte mit Einkommensteuerbescheid vom 10.06.1993 eine getrennte Veranlagung nach § 26 a EStG für den Kläger durch.
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, der Änderungsbescheid sei aufzuheben, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Durch den Bescheid vom 29.06.1992 sei Bestandskraft eingetreten. Der Änderungsbescheid vom 06.01.1993 habe ausschließlich zu einer Steuerminderung und nicht zu einer Steuererhöhung geführt. Gemäß § 351 Abs. 1 AO habe dieser Bescheid nicht mehr mit dem Antrag auf getrennte Veranlagung angegriffen werden können.
Der Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das FA aus: Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Der Bescheid vom 29.06.1992 sei hinsichtlich der Kinderfreibeträge nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig ergangen. Die erhöhten Kinderfreibeträge nach § 54 EStG hätten somit in einem geänderten Bescheid berücksichtigt werden können. Gegen diesen Änderungsbescheid habe die Beigeladene Einspruch eingelegt, durch den der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt gewesen sei. Da dem Begehren der Beigeladenen auf getrennte Veranlagung entsprochen worden sei, sei der Bescheid für den Kläger nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern gewesen. Diese Änderung sei innerhalb der in § 175 Abs. 1 Satz 2 AO genannten Frist erfolgt. Bis zur Unanfechtbarkeit eines Steuerbescheides bzw. Berichtigungs- oder Änderungsbescheides könnten Ehegatten ihr Wahlrecht hinsichtlich der Veranlagungsart ausüben. § 351 Abs. 1 AO finde auf den Fall der Änderung der Wahlrechtsausübung keine Anwendung (BFH-Urteil vom 25.06.1993 III R 32/91 BStBl II 1993, 824).
Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung der Kläger sein vorprozessuales Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.
Im Rahmen einer am 10.12.1998 durchgeführten mündlichen Verhandlung stellte der Kläger für den Fall der Abweisung der Klage den Antrag, weitere Vorsorgeaufwendungen i.H.v. 2.700 DM zum Abzug zuzulassen. Dem Hilfsantrag trug das FA mit Änderungsbescheid vom 09.11.2000 Rechnung. Der Kläger hat diesen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Ergänzend trägt er vor: Die getrennte Veranlagung scheitere am Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die Festsetzungsfrist habe am 31.12.1992 geendet. Der Änderungsantrag der Beigeladenen vom 09.12.1992 habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht hindern können. Denn die Ausübung des Wahlrechts selbst sei keine Tatsache, sondern Verfahrenshan...