vorläufig nicht rechtskräftig
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [I R 74/11)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerrufbarkeit des Einverständnisses mit Entscheidung durch Einzelrichter und Verzicht auf mündliche Verhandlung – Zulässigkeit der Klage des Insolvenzschuldners
Leitsatz (redaktionell)
- Das Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter wie der Verzicht auf mündliche Verhandlung können als Prozesshandlung nicht frei widerrufen werden; insbes. auch nicht mit der Begründung, der Berichterstatter vertrete eine Rechtansicht, die der Kl. nicht teile.
- Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehen die Verwaltungs- und Verfügungsrechte des Stpfl. auf den Insolvenzverwalter über. Der Insolvenzschuldner ist für die Dauer des Insolvenzverfahrens daher selbst nicht berechtigt, die sich aus seinem Vermögen ergebenden Rechte auszuüben. Das betrifft auch die Vornahme von Prozesshandlungen.
- Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibt der Stpfl. zwar prozessfähig, er kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber keine Klage mehr erheben.
Normenkette
FGO § 79a Abs. 3, § 90 Abs. 2; InsO § 80 Abs. 1
Streitjahr(e)
2004, 2005, 2006
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit der Klage, insbesondere. ob dem Kläger für seine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhobene (Untätigkeits-)Klage gegen einen Haftungsbescheid die Prozessführungsbefugnis zusteht.
Am 10. Dezember 2009 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 16. Februar 2011 erhob der Kläger, vertreten durch einen Prozessbevollmächtigten, (Untätigkeits-)Klage gegen den Haftungsbescheid des Beklagten vom 22. Juni 2010.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 22. Juni 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die vom Kläger erhobene (Untätigkeits-)Klage sei unzulässig, weil dem Kläger mehrfach ein zureichender Grund dafür genannt worden sei, warum das Einspruchsverfahren nicht fortgesetzt werden könne.
Die Beteiligten haben zunächst übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2011, eingegangen am 10. Juni 2011, teilt der Kläger mit, dass aufgrund der in Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung und Prozesskostenhilfe vertretenen Rechtsauffassung des Berichterstatters ein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter nicht mehr bestehe und in einem Termin zur mündlichen Verhandlung Rechtsgründe vertieft darzustellen seien.
Entscheidungsgründe
1. Die Entscheidung kann trotz des Schreibens des Klägers vom 8. Juni 2011 nach § 79a Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den konsentierten Einzelrichter und nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung getroffen werden. Sowohl das Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als auch der Verzicht auf mündliche Verhandlung können als Prozesshandlung nicht frei widerrufen werden. Insbesondere ist ein solcher Widerruf nicht aus dem Grund gerechtfertigt, weil eine vom Berichterstatter vertretene Rechtsansicht vom Kläger nicht geteilt wird.
2. Die Klage ist unzulässig. Dem Kläger fehlt es nämlich, worauf das Gericht ihn bereits mehrfach hingewiesen hat, an der Prozessführungsbefugnis.
Da die Verwaltungs- und Verfügungsrechte des Klägers mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von diesem auf den Insolvenzverwalter übergangen sind, ist der Kläger – für die Dauer des Insolvenzverfahrens – selbst nicht berechtigt, die sich aus seinem Vermögen ergebenden Rechte auszuüben. Dieser Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erstreckt sich auch auf die Vornahme von Prozesshandlungen. Der Kläger ist zwar auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens prozessfähig (geblieben). § 80 Abs. 1 InsO hat ihm aber hinsichtlich der zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände die Prozessführungsbefugnis entzogen und diese dem Insolvenzverwalter übertragen (Uhlenbruck, InsO, 12. Auflage, München 2003, § 80 RdNr. 68). Diese Abspaltung der Prozessführungsbefugnis von der materiellrechtlich begründeten Rechtsträgerschaft hat zur Folge, dass nur der Insolvenzverwalter berechtigt – d.h. befugt – ist, die behauptete Rechtsverletzung des Klägers, hier Anfechtung eines Haftungsbescheids, prozessual geltend zu machen. Dies bedeutet, dass die Klage unzulässig ist, weil der Kläger die Klage erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben hat. Der erkennende Senat schließt sich damit den Ausführungen des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt im Urteil vom 18. November 2008 4 K 203/05 (EFG 2009, 860) an.
3. Selbst wenn man aber mit der Ansicht des Klägers die Prozessführungsbefugnis bejahte, so wäre die Klage als Untätigkeitsklage dennoch unzulässig.
Die Klage ist unzulässig, weil im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht über den außergerichtlichen Rechtsbehelf entschieden ...