Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide wegen sogenannter Emmott'scher Fristenhemmung
Leitsatz (redaktionell)
- Die Schlussfolgerungen des EuGH in der Rechtssache Emmott (Urt. v. 25.7.1991 Rs C-208/90, UR 1993, 315) beinhalten lediglich eine einzelfallbezogene Anwendung des Vereitelungsverbots sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben.
- Sind Umsatzsteuerbescheide wegen Versäumung der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden, kann eine Änderung unter Berufung auf die sog. Emmott'sche Fristenhemmung nicht begehrt werden.
Normenkette
AO §§ 347, 355
Streitjahr(e)
1985, 1986, 1987, 1988, 1989, 1990, 1991, 1992, 1993, 1994, 1995, 1996, 1998
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Änderung bestandskräftiger Bescheide.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Aufstellung, Wartung und Pflege von Automaten aller Art und der Betrieb von Spielhallen.
In den für die Streitjahre abgegebenen Umsatzsteuererklärungen hat die Klägerin die Einnahmen aus Geldspielgeräten der Umsatzsteuer unterworfen. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide sind sämtlich bestandskräftig.
Im August 2003 legte die Klägerin Einspruch gegen die streitbefangenen Bescheide ein. Wegen der Versäumung der Einspruchsfrist beruft sie sich auf die Rechtssache Emmott (EuGH-Urteil vom 25.07.1991 C-208/90, EuGHE 1991, I-4269 = UR 93, 315).
Sie trägt vor, die Bundesrepublik Deutschland habe Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (nachfolgend: 6. EG-Richtlinie) nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Damit seien die Steuerfestsetzungen der angefochtenen Jahre offensichtlich rechtswidrig, soweit Umsätze aus Geldspielgeräten der Umsatzsteuer unterworfen worden seien. Dies habe der EuGH in der Rechtssache Linneweber jüngst bestätigt (Urteil vom 17.02.2005 C-453/02, UR 2005, 194).
Wegen der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Befreiungsvorschrift sei es der Bundesrepublik verwehrt, ihr (der Klägerin) die Versäumung der Einspruchsfrist entgegenzuhalten. Der Einspruch sei daher abweichend von § 355 Abs. 1 Satz 1 AO nicht als verfristet anzusehen.
Zwar habe der EuGH in den Nachfolgeentscheidungen immer wieder die Besonderheiten des Falles Emmott herausgestellt. Eine Aufgabe der Emmott'schen Fristenhemmung sei damit aber weder ausdrücklich noch schlüssig verbunden gewesen.
Die Klägerin meint, dass die Ausgangslage im Streitfall mit der im Fall Emmott zu vergleichen sei. In diesem Zusammenhang sei zunächst auf die Glawe-Entscheidung hinzuweisen (EuGH-Urteil vom 05.05.1994 C-38/93, BStBl II 1994, 54). Dort habe der EuGH festgestellt, dass der Teil der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspreche, nicht zur Besteuerungsgrundlage i.S.d. Art 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie gehöre. Die offenkundige Problematik einer möglichen Steuerbefreiung sei vom Kläger X nicht aufgegriffen worden, obwohl dies von der Prüfungsreihenfolge (Steuerpflicht vor Entgelt) nahegelegen hätte und der Kläger X durch eine ausgewiesenen Europarechtler vertreten worden sei. Verständlich werde dies erst vor dem Hintergrund, dass Herr X seinerzeit eine finanzielle Entschädigung dafür bekommen habe, dass er nicht die sog. Glückspielkarte gezogen habe. Als Zeugen für diese Behauptung werden Herr X und Herr X benannt.
In der Rechtssache X sei ebenfalls Druck auf die Klägerin ausgeübt worden. Selbst die Europäische Kommission habe ihr Befremden darüber geäußert, dass die Klägerin X von einer Verfechterin der Umsatzsteuerfreiheit zu einer glühenden Befürworterin der Umsatzsteuerpflicht mutiert sei. Es sei sogar versucht worden, Frau X in der ersten Instanz unter dem Versprechen finanzieller Zuwendungen zur Klagerücknahme zu bewegen. Dies Vorhaben sei nur daran gescheitert, dass das beklagte Finanzamt der Rücknahme aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zugestimmt habe.
In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die Gemeinschaftswidrigkeit der Umsatzbesteuerung vom EuGH mit einem Verstoß gegen die Wettbewerbsneutralität begründet worden sei. Gerade die Wettbewerbsfreiheit und Neutralität habe der EuGH von jeher als elementare – und daher besonders schützenswerte – Eckpfeiler des europäischen Gedankens verstanden. Immer dann, wenn wettbewerbsrechtliche Bereiche berührt würden, sei eine Interessensabwägung zugunsten des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen; für Vertrauensschutz und Rechtssicherheit verbleibe insoweit kein Raum.
Schließlich verweist die Klägerin im Streitfall auf die Besonderheiten der Umsatzsteuerfestsetzung. Die Steueranmeldung stehe einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Daher könnten die – auf einer Steueranmeldung beruhenden - Umsatzsteuerbescheide bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist jederzeit geändert werden. Sofern das Finanzamt die Umsatzsteuern mittels ...