Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine unbeschränkte Aufrechnung mit Kindergeldnachzahlungsbeträgen. Nachzahlung als laufende Leistung i. S. d. § 75 EStG. Nachweis der Ausbildungsplatzsuche eines Kindes
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 75 EStG in der für das Jahr 2006 geltenden Fassung kann die Familienkasse gegen Ansprüche auf laufendes Kindergeld bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Berechtigte nicht hilfebedürftig i. S. d. Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder i. S. d. Vorschriften des SGB II über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wird.
2. Bei einer Nachzahlung von Kindergeld handelt es sich um eine laufende Leistung i. S. d. § 75 EStG, so dass eine uneingeschränkte Verrechnung des Nachzahlungsbetrages unzulässig ist (entgegen FG München v. 25.6.2002, 12 K 591/02 sowie FG Hamburg v. 24.3.2005, I 359/04).
3. § 75 EStG enthält keine Einschränkung der Aufrechnungsbefugnis, sondern begründet diese erst. Sofern der Tatbestand des § 75 EStG nicht eingreift, ist eine Aufrechnung unzulässig.
4. Die einen Kindergeldanspruch begründende Ausbildungsbereitschaft eines Kindes wird nicht ausreichend nachgewiesen, wenn keine Ausführungen zu den jeweiligen Ausbildungsstätten bzw. nähere Angaben über den Ablauf der jeweiligen Bewerbungen erfolgen.
Normenkette
EStG 2002 §§ 75, 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 76; SGB I § 51 Abs. 2; AO §§ 5, 226; BGB § 394; FGO § 102
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2006 über die Aufrechnung der Nachzahlung für Juli 2005 bis Mai 2006 mit der Rückforderung für April 2004 bis Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2006 wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Streitig ist die Ausbildungssuche des Sohnes des Klägers sowie die Aufrechnung von Kindergeld.
Der Kläger erhielt Kindergeld für seinen am … geborenen Sohn O. O. hatte bis zum August 2003 an einer berufsvorbereitenden Maßnahme teilgenommen und wurde sodann bei der Arbeitsverwaltung als Bewerber um einen Ausbildungsplatz geführt. Nach Mitteilung der zuständigen Agentur für Arbeit T., die auf Nachfrage der Beklagten später noch einmal bestätigt wurde, war O. bis zum 28. April 2004 bei der Berufsberatung gemeldet. Vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. Juni 2005 absolvierte er seinen Wehrdienst.
Nachdem die Beklagte dies ermittelt hatte, hob sie mit Bescheid vom 16. Juni 2005 die Kindergeldbewilligung für O. mit Wirkung ab Mai 2004 auf und forderte das von April 2004 bis Mai 2005 ausgezahlte Kindergeld von 1.694,– EUR zurück. Mit seinem Einspruch machte der Kläger unter anderem geltend, dass O. seit dem 1. Juli 2005 wieder auf Lehrstellensuche sei. In der Zeit von Mai bis September 2004 sei O. nicht bei der Arbeitsverwaltung gemeldet gewesen, habe sich aber gleichwohl intensiv um einen Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz bemüht. Hierzu legte der Kläger eine handschriftliche Bestätigung von O. vor, in der dieser ausführt, er habe in der Zeit vom 29. April 2004 bis zu seiner Einberufung zum 1. September 2004 „mehrere Bewerbungen getätigt. Durch Computeraustausch” könne er „sie nicht mehr ausdrucken”. Unter dem Text befindet sich der handschriftliche Vermerk von O. s Großmutter: „Kann obigen Text bestätigen”. Ergänzend übergab der Kläger eine Bestätigung des Jobcenters T. vom 15. Dezember 2005, O. sei seit dem 1. Juli 2005 bis auf weiteres arbeitslos gemeldet.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2006 setzte die Beklagte das Kindergeld für O. mit Wirkung ab Juli 2005 wieder fest und führte sodann aus: „Die Nachzahlung von Juli 2005 bis Mai 2006 wird mit der bestehenden Rückforderung verrechnet”. Der Kläger legte gegen die Aufrechnung Einspruch ein, den die Beklagte zurückwies. In ihrer Entscheidung vom 31. Juli 2006 machte sie Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides sowie zur Aufrechnungslage und stellte sodann fest: „Das Kindergeld war demzufolge für den Zeitraum von Mai 2004 bis März 2005 zu Unrecht gezahlt und einzubehalten”. Den Einspruch des Klägers gegen den Aufhebungsbescheid vom 16. Juni 2005 hatte sie mit Entscheidung vom 16. Juni 2006 zurückgewiesen.
Mit seiner am 12. Juli 2006 eingegangenen Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die Aufhebung des Kindergeldes gewendet, soweit diese den Zeitraum von Mai bis September 2004 betrifft. Er ist der Auffassung, er habe die Voraussetzungen für die Gewährung des Kindergeldes insoweit hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zur Aufrechnung hat der Kläger die Klage fristgemäß um diesen Streitgegenstand erweitert.
Der Kläger hat keinen Klageantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
O. sei weder als Ausbildungsplatz oder Arbeit suchendes Kind gemeldet gewesen, noch habe er Eigenbemühungen nachgewiesen. Zur Verrechnung der Kindergeldbeträge hat die Beklagte zunächst ausgeführt, die Aufrechnung mit laufendem Kindergel...