Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der Grundsätze des Schadensersatzrechts auf die Geschäftsführerhaftung. Kausalität
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO ist eine Schadensersatzhaftung. Aus der Übertragung der Grundsätze des Schadensersatzrechts folgt, dass ein nur hypothetischer Geschehensablauf nicht die Kausalität einer in der Realität wirksam gewordenen Ursache für den Steuerausfall beseitigen kann.
2. Die Nichtabführung von Lohnsteuer durch den GmbH-Geschäftsführer ist auch dann kausal für den Steuerausfall, wenn dieser möglicherweise (später) auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Geschäftsführers deshalb eingetreten wäre, weil möglicherweise der Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen angefochten hätte (entgegen FG Baden-Württemberg vom 30.8.2004 1 V 49/03 und FG des Saarlandes vom 20.12.2004 2 V 385/04).
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34 Abs. 1; InsO § 129
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und M. E. waren ab 25. Januar 1993 und 6. September 1999 gesamtvertretungsberechtigte Geschäftsführer der A. GmbH (GmbH).
Auf Antrag des Klägers vom 16. Januar 2002 (Blatt 12 Haftungsakte) wurde am 30. Januar 2002 (Blatt 11 Haftungsakte) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
Der Kläger hatte am 10. Januar 2002 die Lohnsteuer-Anmeldung für November 2001 eingereicht. In der Anmeldung hatte er Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von 30.406,36 DM errechnet. Für Dezember 2001 wurde weder vom Kläger noch vom anderen Geschäftsführer E. eine Lohnsteuer-Anmeldung eingereicht. Die GmbH führte für November und Dezember 2001 keine Lohnsteuer und Nebensteuern an das Finanzamt ab.
Der Insolvenzverwalter reichte am 16. Oktober 2002 eine berichtigte Lohnsteuer-Anmeldung für November 2001 (Gesamtbetrag: 28.892,13 DM) und eine Lohnsteuer-Anmeldung für Dezember 2001 ein. Auf der Rückseite dieser Papiere ist vermerkt, dass es sich um „versetzte Lohnsteueranmeldungen” handelt. Auf Anfrage des Finanzamts beim Insolvenzverwalter (Blatt 105 Rechtsbehelfs-Akte) erklärte dieser, dass im Dezember 2001 Löhne für November 2001 gezahlt worden seien, die in der Lohnsteuer-Anmeldung für Dezember 2001 zu erfassen seien (vgl. Schreiben vom 29.4.03, Blatt 109 Rechtsbehelfs-Akte). Dementsprechend reichte der Insolvenzverwalter am 26. Mai 2003 beim Finanzamt eine berichtigte Lohnsteuer-Anmeldung für Dezember 2001 ein, in der nunmehr ein Gesamtbetrag von 20.890,21 DM errechnet wurde. Zum Inhalt im Einzelnen wird auf die beschriebenen Lohnsteuer-Anmeldungen verwiesen (Blatt 28 ff FG-Akte).
Aus Kontoübersichten, die das Konto der GmbH bei der S.-Bank betreffen (Blatt 47 ff. FG-Akte), ergibt sich, dass die GmbH im November 2001 Löhne und Gehälter in Höhe von insgesamt 143.218,25 DM und im Dezember 2001 in Höhe von insgesamt 135.697,93 DM ausbezahlt hat.
Das Finanzamt nahm mit Haftungsbescheiden vom 20. Januar 2003 den Kläger und den anderen Geschäftsführer E. unter anderem für die rückständige Lohnsteuer der GmbH für November und Dezember 2001 sowie Säumniszuschläge in Haftung. In der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2004 setzte das Finanzamt die Haftung für Lohnsteuer und Nebensteuern für November 2001 (nach Tilgung der Erstschuld durch die GmbH in Höhe von EUR 4.675,34) auf EUR 5.715,70 sowie für Dezember 2001 auf EUR 10.680,23 (nach berichtigter Lohnsteuer-Anmeldung) und die Haftung für Säumniszuschläge auf EUR 1.539 herab. Zur Begründung wird in der Einspruchsentscheidung auf das Schreiben des Finanzamts vom 21. März 2003 (Blatt 112 Rechtsbehelfs-Akte) verwiesen. Dort ist als Haftungstatbestand dargestellt, dass die Abführung der Lohnsteuerbeträge November und Dezember 2001 am 10. Dezember 2001 und am 10. Januar 2002 hätte erfolgen müssen.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt zu den Kontoübersichten vor, dass die Lohnzahlungen, die im November 2001 erfolgt seien, sich auf den Monat September 2001 bezogen hätten, und die im Dezember 2001 erfolgten Lohnzahlungen sich auf den Monat Oktober 2001 bezogen hätten. Die Gehaltszahlungen vom 21. Dezember 2001 hätten sich auf den Monat November 2001 bezogen.
Aus den §§ 129 bis 131 der Insolvenzordnung – InsO – ergebe sich im Übrigen, dass die GmbH in den letzten drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Finanzamt nicht einseitig oder vorrangig vor anderen Gläubigern hätte befriedigen dürfen. Denn die Zahlung von Lohnsteuer an das Finanzamt wäre anfechtbar gewesen und hätte an den Insolvenzverwalter zurückgewährt werden müssen. Daher fehle es an der Ursächlichkeit einer Pflichtverletzung für den Steuerausfall. Zur Begründung seiner Auffassung verweist der Kläger auf die Beschlüsse des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 28. Juli 2004 1 V 30/04 (EFG 2004, 1425)...