Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus dem Verkauf von Wertpapieren verfassungsgemäß. Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG
Leitsatz (redaktionell)
Die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus dem Verkauf von Wertpapieren nach § 22 Nr. 2 i.V. m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da bestehende Erhebungsdefizite nicht auf einer lückenhaften Ausgestaltung der Spekulationsvorschriften selbst, sondern auf rein faktisch begründeten allgemeinen Erhebungsmängeln (insb. der angespannten Personallage bei den Finanzämtern) beruhen.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 22 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1; AO §§ 30a, 85
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger (Kl.) wendet sich mit seiner Klage gegen die steuerliche Erfassung von Spekulationsgewinnen aus dem Verkauf von Wertpapieren. Nach seiner Ansicht verstößt die Vorschrift gegen den Gleichheitssatz und ist deshalb verfassungswidrig.
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kl. erzielt als …. Einkünfte aus …, ist … tätig und erzielt außerdem Einkünfte aus …. und Kapitalvermögen. Im Streitjahr erklärte er aus dem Verkauf von …- und … einen Spekulationsgewinn von insgesamt … DM. Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gegen den Kl. und seine Ehefrau unter Zugrundelegung der erklärten Besteuerungsmerkmale nach einem zu versteuernden Einkommen von … DM (sonstige Einkünfte, Spekulationsgewinne … DM) …. DM Einkommensteuer (ESt) fest.
Dagegen erhob der Kl. Sprungklage. Das FA hat der Sprungklage zugestimmt.
Der Kl. begehrt mit seiner Klage, den Spekulationsgewinn außer Ansatz zu lassen, und hat zur Begründung schriftsätzlich vorgetragen:
Der angefochtene Steuerbescheid sei rechtswidrig und verletze den Kl. in seinen Rechten, weil die Besteuerung des Spekulationsgewinns gegen den Gleichheitssatz verstoße und deshalb verfassungswidrig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verlange der Gleichheitssatz, daß die Steuerpflichtigen (Stpfl.) durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet würden. In Fällen, in denen die Festsetzung einer Steuer von der Erklärung des Steuerschuldners abhänge, würden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Schuldners gestellt. Der Gesetzgeber müsse die Steuerehrlichkeit des Schuldners deshalb durch hinreichende, die Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedürfe das Deklarationsprinzip deshalb der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip. Wenn letztes nicht geschehe, führe dies zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Norm. Aufgrund dieser Rechtsprechung habe der Gesetzgeber zwar bezüglich der Kapitaleinkünfte gewisse Konsequenzen gezogen und insbesondere die Quellensteuer eingeführt. Bezüglich der steuerlichen Erfassung der Spekulationsgewinne fehle es nach wie vor an gesetzgeberischen Maßnahmen. Ein Quellenabzug sei nicht vorgesehen. Die Vorschrift des § 30 a Abgabenordnung (AO) existiere weiterhin. Betriebsprüfungen bei Banken umfaßten nicht die Kontrolle der Spekulationseinkünfte. Da außerdem nichts darüber bekannt sei, daß Banken Beihilfe zur Hinterziehung der ESt auf Spekulationsgewinne leisteten, liege auch kein Grund vor, daß die Steuerfahndung insoweit Banken durchsuchten. Das FA habe seine Anfrage, wie die Erfassung des Spekulationsgewinns überprüft werde, nicht beantwortet. Die Deutsche Steuergewerkschaft habe in ihrem Fachorgan wiederholt ausgeführt, daß die Finanzverwaltung keine Kontrollmöglichkeiten habe und tatsächlich auch keine Kontrolle ausübe (Beweis: Auskunft der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Steuergewerkschaft, Bonn). Eine Arbeitsgruppe Steuerausfälle habe zu diesem Problem ausgeführt, daß Spekulationsgewinne nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Einkommensteuergesetz (EStG) weitgehend nicht erklärt würden (s. dazu Verbesserungsvorschläge in Steuerberater 1994, 449 ff). Der Gesetzgeber habe weder die Vorschrift des § 30 a AO aufgehoben noch eine Rechtsgrundlage für die Überprüfung der Kundenkonten bei Geldinstituten bezüglich der Erfassung von Spekulationsgewinnen geschaffen. Aufgrund der fehlenden Verifizierungsmöglichkeit und des dadurch ausgelösten ungleichen Belastungserfolges sei die materielle Norm des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG wegen Verletzung des Gleichheitssatzes verfassungswidrig (siehe zur fehlenden Verifizierungsmöglichkeit Deutsche Steuergewerkschaft, Heft Juli/August 1998, 83, 86). Zwar habe das BVerfG (Bundessteuerblatt -BStBl- II 1970, 156) die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG für verfassungsgemäß gehalten. Das Gericht habe aber die hier aufgeworfene Frage nicht geprüft. Der Kl. wende sich nicht dagegen, daß sogenannte Spekulationsgewinne versteuert werden müßten, sondern dagegen, daß die Finanzbehörden Spekulationsgewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren...