Rz. 1
Liegt ein Verfahrensfehler vor, führt dies regelmäßig nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht, d. h., der Verfahrensfehler muss für die Entscheidung in dem Sinn ursächlich (kausal) sein, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders (für den Revisionskläger günstiger) ausgefallen wäre. Dementsprechend kann die Revision grundsätzlich nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Rechtsverletzung beruht. Wird die Revision auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützt, sind daher in der Revisionsbegründung die Tatsachen zu bezeichnen, die einen entsprechenden Verfahrensmangel ergeben. Eine schlüssige Aufklärungsrüge erfordert z. B. die genaue Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen (präzise Angabe der Beweisthemen) sowie die substanziierte Darlegung, inwiefern das Urteil des FG – ausgehend von dessen materiell-rechtlicher Auffassung – auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre. Da es aber bei Verfahrensmängeln kaum Fälle gibt, in denen die Ursächlichkeit sicher vorgetragen und festgestellt werden kann, muss auch die ernsthafte Möglichkeit, dass das FG ohne den Fehler zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, ausreichen. Wie bei der Revisionszulassung nach § 115 Abs. 1 Nr. 3 FGO ("beruhen kann") genügt es daher, dass ein anderes Ergebnis bei korrekter Verfahrensweise nicht ausgeschlossen werden kann.
Rz. 2
In Abweichung von dem grundsätzlichen Kausalitätserfordernis bestimmt § 119 FGO für sechs abschließend aufgeführte besonders schwere Verfahrensmängel, dass bei deren Vorliegen unwiderleglich vermutet wird, dass das FG-Urteil auf dem Mangel beruht (sog. absolute Revisionsgründe). Regelmäßig ist es in diesen Fällen nicht möglich, die Kausalität festzustellen. Deshalb ist die Revision nach § 119 FGO – abweichend von § 126 Abs. 4 FGO – auch dann begründet, wenn das FG selbst bei Vermeidung des Verfahrensverstoßes nicht anders entschieden hätte. Entsprechendes gilt für die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der ein absoluter Verfahrensmangel als Zulassungsgrund gem. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt wird. Auch hier kommt es auf die Feststellung der Entscheidungskausalität nicht an.
Der Katalog der absoluten Revisionsgründe ist abschließend und kann nicht erweitert werden (Enumerationsprinzip). In der Praxis spielen im Wesentlichen die Rügen nach Nr. 3 (Verletzung des rechtlichen Gehörs) und Nr. 6 (Fehlen ausreichender Entscheidungsgründe) eine Rolle.
Die Klagegründe der Nichtigkeitsklage entsprechen den absoluten Revisionsgründen. In den Fällen des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung) und § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (Mitwirkung eines abgelehnten Richters) ist die Nichtigkeitsklage nicht statthaft, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtmittels geltend gemacht werden konnte (Subsidiarität).
Da die Ursächlichkeit des Verfahrensmangels für die FG-Entscheidung unwiderleglich vermutet wird, ist bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds grundsätzlich das FG-Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit – ohne eine Sachentscheidung des BFH – nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Denn ein auf einem absoluten Revisionsgrund beruhendes FG-Urteil kann vom BFH nicht auf seine materielle Richtigkeit hin überprüft werden. Diese Prüfung hat das FG im zweiten Rechtsgang vorzunehmen. Entsprechendes gilt nach § 116 Nr. 6 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Der BFH hat sich jeder Äußerung zur sachlichen Rechtslage zu enthalten.
§ 126 Abs. 4 FGO ist grundsätzlich nicht anwendbar. Ein absoluter Revisionsgrund kann daher nicht "hilfsweise" gerügt werden. Eine Prüfung, ob der Mangel für die FG-Entscheidung ursächlich war, braucht nicht angestellt zu werden und hat zu unterbleiben.
Von diesem Grundsatz sind nur eng begrenzte Ausnahmen anerkannt, d. h., der BFH verweist trotz Vorliegens eines absoluten Revisionsgrunds nicht zurück, sondern entscheidet gem. § 126 Abs. 4 FGO in der Sache selbst:
- bei der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Nr. 3), wenn sich die behauptete Verletzung auf einzelne Feststellungen bezieht. Es liegt dann kein absoluter Revisionsgrund vor. Denn die Kausalitätsvermutung ist auf diejenigen Fälle eingeschränkt, in denen sich die Verletzung rechtlichen Gehörs auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht. Betrifft sie nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, hat der Beschwerdeführer zudem darzulegen, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern bei Berücksichtigung dieses Vorbringens eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre;
- beim Übergehen eines selbstständigen Anspruchs, eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels (Fall einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung, Nr. 6; vgl. Rz. 37), wenn der Anspruch unbegründet oder das Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel zur Begründung oder Abwehr der E...