Rz. 29
Eine Berichtigung nach § 129 AO durch Anfügen des Vorbehalts kann erfolgen, wenn ein mechanisches Versehen für die unterbliebene Vorbehaltsfestsetzung ursächlich war. Dabei ist es entgegen einer Literaturmeinung nicht erforderlich, dass sich das mechanische Versehen aus dem Erklärungsgehalt des Steuerbescheids ergibt oder aus den dem Stpfl. vorliegenden Unterlagen erkennbar ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit genügt es, dass diese bei Offenlegung des Sachverhalts für einen unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar wird und ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum ausgeschlossen werden kann. Diese Tatfrage ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der – auch elektronischen- Aktenlage zu entscheiden. Liegen die Voraussetzungen des § 129 S. 1 AO vor, muss die Finanzbehörde den Steuerbescheid nicht zunächst unter Aufnahme des Vorbehalts berichtigen, sondern kann den Steuerbescheid unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO ändern. Dementsprechend liegt auch dann eine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn sich aus den in den Akten befindlichen handschriftlichen Vermerken ergibt, dass die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführt werden sollte. Das setzt allerdings die Feststellung voraus, dass der handschriftliche Aktenvermerk spätestens bis zur Zeichnung der Steuerfestsetzung erstellt worden ist, es muss also ausgeschlossen sein, dass er erst später angefertigt wurde. Zur Kritik an dieser Rechtsprechung vgl. M. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 129 AO Rz. 23.
Rz. 30
Will die Finanzbehörde nachträglich einen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Steuerbescheid an die Stelle eines formell bestandskräftigen vorbehaltlosen Bescheides setzen, muss sie dazu nach der Rechtsprechung die Zustimmung des Stpfl. einholen, sodass eine Änderung auf der Grundlage von § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO erfolgen kann.
Diese Rechtsprechung ist abzulehnen. Der Vorbehalt der Nachprüfung kann nur unter den Voraussetzungen einer die Bestandskraft durchbrechenden Änderungsvorschrift nachträglich eingefügt werden. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO bietet hierfür nur für Anträge oder Zustimmungen des Stpfl. innerhalb der Einspruchsfrist eine geeignete Rechtsgrundlage, nicht aber – wie in der Praxis häufig gewünscht – außerhalb der Einspruchsfrist. Denn nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO ist die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids zwar mit Zustimmung des Stpfl. möglich, außerhalb der Einspruchsfrist jedoch nur, wenn diese sich zuungunsten des Stpfl. auswirkt.
Der BFH scheint bei der Frage, ob die Aufnahme eines Nachprüfungsvorbehalts zugunsten oder zuungunsten wirkt, danach zu differenzieren, ob im Zeitpunkt der möglichen Aufnahme des Nachprüfungsvorbehalts mit einer späteren Änderung nach § 164 Abs. 2 AO zugunsten oder zuungunsten des Stpfl. zu rechnen ist. Beantragt ein bestandskräftig geschätzter Stpfl. die nachträgliche Aufnahme eines Vorbehalts, lehnt der BFH dies im Hinblick auf die formelle Bestandskraft und ein Unterlaufen der gesetzlichen Änderungsvorschriften ab. Im konkreten Fall begehrte die Klägerin eine Änderung des geschätzten ESt-Bescheids nach Versäumung der Einspruchsfrist zu ihren Gunsten. Hingegen spricht der BFH der nachträglichen Vorbehaltsaufnahme eine vermutete Wirkung zuungunsten des Stpfl. zu, wenn sie von der Finanzbehörde begehrt wird. In diesen Fällen lässt der BFH eine Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO bei Zustimmung des Stpfl. zu.
Diese Rechtsprechung ist nicht konsequent, da sich im Zeitpunkt der nachträglichen Aufnahme des Vorbehalts in der Regel nicht abschließend voraussagen lässt, ob die Aufnahme später zu einer Änderung zugunsten oder zuungunsten des Stpfl. führt. Möglich ist es, dass die Finanzbehörde aufgrund einer intendierten Außenprüfung eine Änderung zuungunsten des Stpfl. vermutet, aufgrund tatsächlicher Feststellungen der Außenprüfung oder einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung aber im Ergebnis eine Änderung zugunsten des Stpfl. erfolgt. Daher wirkt der Vorbehalt insoweit "neutral", nicht allein zuungunsten des Stpfl., sodass § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO außerhalb der Einspruchsfrist keine geeignete Rechtsgrundlage für die Beifügung des Vorbehalts bietet.
Rz. 31
Auch die übrigen Änderungsvorschriften der §§ 173–175 AO ermöglichen nicht die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts. Alle diese Vorschriften ermöglichen nur die punktuelle Durchbrechung der Bestandskraft, während die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts eine umfassende Durchbrechung der Bestandskraft darstellen würde. Die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts im Rahmen einer Änderung nach §§ 173–175 AO würde im Ergebnis eine Rückkehr der "Gesamtaufrollung" bedeuten. Auch im Rahmen einer Außenprüfung kann daher der Vorbehalt nicht nachträglich beigefügt werden.