Rz. 41
Beim Erlass des Haftungsbescheids ist die Ausübung des Handlungsermessens (auch Entschließungs- oder Tätigkeitsermessen genannt)zwingend erforderlich, da die Finanzbehörde von der Geltendmachung der Haftung auch dann absehen kann, wenn der Steueranspruch dann insgesamt nicht realisierbar ist. ) Insofern wird bei Ausübung des Handlungsermessens von der Finanzbehörde die Frage entschieden, ob sie überhaupt einen Haftungsbescheid erlässt. Zudem wird aber auch im Zuge der Ausübung des Entschließungsermessens die Frage entschieden, in welcher Höhe der Haftungsbescheid erlassen wird. Insofern ist es ermessensfehlerhaft, in der Wohlverhaltensphase des § 287 Abs. 2 InsO den Haftungsschuldner in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Unterlässt die Finanzbehörde diese Ermessensausübung, so bewirkt dies die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids . Allein die Existenz der Haftungsnorm und der Zweck der Haftung oder die Tatbestandsverwirklichung begründen für die Finanzbehörde keine Rechtspflicht zur Geltendmachung des Haftungsanspruchs und entbinden demgemäß die Finanzbehörde nicht von der Verpflichtung zur Ermessensausübung.
Bei Uneinbringlichkeit des Primäranspruchs ist allerdings der Erlass des Haftungsbescheids nur unter besonderen Umständen ermessensfehlerhaft. Sofern solche Umstände nicht bekannt oder nicht vorgetragen sind, braucht die Finanzbehörde die zur Haftungsinanspruchnahme führende Entscheidung regelmäßig nicht weiter zu erläutern
Dies gilt auch, wenn zur Realisierung der Primärschuld eine Vollstreckung im Ausland erforderlich wäre. Stehen ein inländischer und ein ausländischer Gesamtschuldner zur Auswahl, so kann sich das FA wegen der leichteren Durchsetzbarkeit der Ansprüche regelmäßig ohne weitere Begründung auf die Inanspruchnahme des inländischen Gesamtschuldners beschränken.
Rz. 42
Bei der Ausübung des Handlungsermessens hat die Finanzbehörde zu beachten, dass die Haftung grundsätzlich subsidiär ist . Die Finanzbehörde hat sich trotz der Gesamtschuldnerstellung in erster Linie an den Steuerschuldner zu halten. Die Einschränkung des § 219 AO, wonach die Erhebung des festgesetzten Haftungsanspruchs grundsätzlich die erfolglose oder die zu erwartende Erfolglosigkeit der Inanspruchnahme des Steuerschuldners voraussetzt, kann auch beim Erlass des Haftungsbescheids berücksichtigt werden. Allerdings zeigt die Einordnung des § 219 AO in den Erhebungsteil der AO, dass für den Erlass des Haftungsbescheids dieses Kriterium nicht entscheidend ist. Die Festsetzung des Haftungsanspruchs im Haftungsbescheid ist nicht schon deshalb ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 219 AO noch nicht erfüllt sind, insbesondere die erfolgreiche Inanspruchnahme des Steuerschuldners zu erwarten ist. Mit dieser Einwendung muss sich der Haftungsschuldner im Hinblick auf § 219 AO gegen ein etwaiges Leistungsgebot wenden. D.h. hier findet dann wiederum eine eingenständige Ermessensausübung mit Entschließungs- und Auswahlermessen statt.
Auch eine Sicherheitsleistung des Steuerschuldners muss den Erlass des Haftungsbescheids nicht ausschließen, ebenso wie eine Forderungsabtretung den Erlass nicht hindert.
Eventuelle Verrechnungsansprüche des Schuldners hindern den Erlass eines Haftungsbescheids nicht
Rz. 42a
Die Ausübung des Handlungsermessens wird nicht dadurch entbehrlich, dass der Haftende schuldhaft gehandelt hat, wenn der Haftungstatbestand ein Verschulden erfordert . Dies gilt uneingeschränkt, wenn der Haftungstatbestand schon bei fahrlässigem, auch grob fahrlässigem Verhalten erfüllt ist. Eine Vorprägung der Ermessensentscheidung kann allenfalls bei Vorsatz hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung angenommen werden, insbesondere wenn eine Steuerhinterziehung begangen wurde. Eine weitere Begründung des Handlungsermessens ist aber nur dann entbehrlich, wenn sich aus der Entscheidung eindeutig entnehmen lässt, dass die Finanzbehörde von der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung ausgegangen ist.
Rz. 42b
Die Inanspruchnahme im Weg der Haftung wird regelmäßig nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Mitverschulden der Finanzbehörde vorliegt. § 254 BGB gilt bei der Geltendmachung des Haftungsanspruchs auch dann nicht, wenn sich dieser aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ergibt. Ein etwaiges Mitverschulden ist nur ausnahmsweise im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen Die Nichtbeitreibung der fälligen und vollziehbaren Steuern lässt einen verwirklichten Haftungstatbestand somit regelmäßig nicht entfallen. und begründet kein die Haftung ausschließendes Mitverschulden.
Allerdings kann eine Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, bei denen das finanzbehördliche Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt, also die Finanzbe...