Rz. 9
Die seit dem 25.5.2018 anzuwendende DSGVO sichert ein gleichwertiges Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung von Daten. Als EU-Verordnung ist sie in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht. Nationales Recht tritt dahinter zurück. Die nationalen Gesetzgeber können nur dann von den Regelungen der DSGVO abweichen, wenn diese eine Öffnungsklausel enthält. Darüber hinaus ist es dem nationalen Gesetzgeber nicht nur verboten, abweichendes Recht zu schaffen, soweit nicht die DSGVO selbst dem nationalen Gesetzgeber (in eng beschriebenem Umfang) Abweichungen erlaubt. Selbst die Wiedergabe der Regelungen der DSGVO im nationalen Recht ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zulässig, um zu verhindern, dass nationale Regelungen die Rechtsetzung der EU – bewusst oder unbewusst – verändern und so die Einheitlichkeit des Rechts und der Rechtsanwendung im Geltungsbereich der Verordnung zu gewährleisten. Ob das Rechtsunklarheiten schaffende Normwiederholungsgebot im aktuellen Stadium der europäischen Rechtsintegration allgemein und gerade angesichts der nationalen Öffnungsklauseln in der DSGVO überwiegend sinnvoll ist, erscheint – ohne den mit dieser Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung europäischen Rechts verbundenen Gehalt geringzuschätzen – durchaus fragwürdig. In der DSGVO wurde kein Privileg für die Finanzverwaltung geregelt. Die DSGVO hat deshalb – soweit sie unmittelbar anwendbar ist – unbedingt Vorrang vor den Regelungen der AO. Von besonderer Bedeutung ist es dabei, dass die DSGVO verschiedene datenschutzrechtliche Begrifflichkeiten, die auch in § 30 AO Bedeutung haben, verbindlich definiert. Dementsprechend waren auch die Begrifflichkeiten des § 30 AO an die in der DSGVO verwendeten Definitionen anzupassen. Der deutsche Gesetzgeber durfte dabei die aus der DSGVO übernommenen Definitionen nicht ändern, ergänzen oder einschränken. Für die Auslegung der in der Folge im nationalen Recht normierten Begriffe bleibt die DSGVO maßgebend.
Rz. 10
Im Steuerverfahrensrecht sind, auch bei Auslegungsfragen zu § 30 AO, die DSGVO und die AO immer parallel heranzuziehen. Die AO weitet den Anwendungsbereich der DSGVO durch § 2a Abs. 5 AO auf verstorbene natürliche Personen, sowie auf Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Vermögensvereinigungen und Vermögensmassen aus. Damit werden die Regelungen der DSGVO als nationale Regelungen ins deutsche Recht transformiert. Dies gewährleistet einen rechtsformneutralen Datenschutz im Besteuerungsverfahren. Durch die entsprechende Anwendung der DSGVO ergibt sich, dass auch insoweit keine gesonderte Kodifizierung in Form einer Wiederholung der Regelungen der DSGVO im nationalen Recht besteht. Dies erleichtert die gleichmäßige Anwendung der Regeln, führt aber auch dazu, dass auch in den Bereichen, in denen die DSGVO nicht unmittelbar gilt, der Pendelblick zwischen DSGVO und AO-Regelungen erforderlich bleibt. Dies vermeidet zwar abweichende datenschutzrechtliche Regelungen zwischen natürlichen und juristischen Personen, zugleich ist aber nicht vermeidbar, dass eine abweichende überprüfende Judikative für den jeweiligen Personenkreis zuständig ist. Das Nebeneinander von DSGVO und den diese umrankenden steuerverfahrensrechtlichen Regelungen der AO führt nicht zuletzt dadurch, trotz der Anlehnung des nationalen Gesetzgebers an die DSGVO, zu einer Rechtszersplitterung mit damit einhergehender Rechtsunklarheit. Dies war für den deutschen Gesetzgeber aber unvermeidbar.
Für den Anwendungsbereich der DSGVO ist der Europäische Gerichtshof zuständig. Er hat das Monopol der letztverbindlichen Auslegung der DSGVO. Prozedural abgesichert wird seine Auslegungshoheit insbesondere durch die sich aus der Vorlageberechtigung der Gerichte nach Art. 267 Abs. 1 und 2 AEUV verdichtenden Vorlagepflicht für die letzten innerstaatlichen Instanzen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Demgegenüber ist etwa für juristische Personen, wegen der nur entsprechenden Transformation in das deutsche Recht, der Finanzrechtsweg eröffnet. Problematisch dürfte dies insbesondere in den Fällen werden, in denen zuerst die nationalen Gerichte zur Klärung einer Rechtsauslegung berufen sind, ohne sich einer Vorprägung des EuGH anschließen zu können.
Im Ergebnis kann sich hier wegen der starken Betroffenheit des Grundrechtsschutzes im Besteuerungsverfahren die Frage der Abgrenzung der Rechtsprechungskompetenz zwischen dem BVerfG und dem EuGH stellen. Die Rechtsprechung des EuGH hat für das steuerliche Verfahrensrecht eine nunmehr deutlich gesteigerte Bedeutung. Entscheidungen des EuGH zur DSGVO – etwa zur Auslegung legal definierter Begriffe – haben direkten Einfluss auf das nationale Verfahrensrecht, auch dann, wenn Deutschland an dem Verfahren nicht unmittelbar beteiligt war.