Rz. 40
Unterliegt der Anzeigeerstatter aufgrund seines Berufsstands einer Disziplinargewalt (z. B. Beamte, Richter, Soldaten) oder standesrechtlichen Bestimmungen (z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Apotheker) so schließt die Selbstanzeige eine disziplinar- oder standesrechtliche Ahndung der pflichtwidrigen Handlung der Steuerhinterziehung regelmäßig nicht aus. Die Selbstanzeige muss dann jedoch als Grund für die Milderung der Ahndungsfolge berücksichtigt werden.
Rz. 41
Allerdings erstreckt sich das Steuergeheimnis nach § 30 AO auch auf die Vornahme der Selbstanzeigeerklärung, sodass deren unbefugte Offenbarung als Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 393 Abs. 2 AO ein Verfolgungshindernis zur Folge hat. Fraglich ist mithin, wann und was dem Dienstherrn – auch wenn es sich bei Finanzbeamten u. U. um denselben Dienstherrn handelt – oder der zuständigen Kammer mitgeteilt werden darf.
Diese Frage stellt sich immer bei Begehung einer Steuerhinterziehung durch eine der Disziplinargewalt oder dem Standesrecht unterliegende Person, wobei die Besonderheit einer wirksamen Selbstanzeige darin besteht, dass der Betroffene strafrechtlich nicht belangt wird, aber trotzdem ggf. mit disziplinarischen oder standesrechtlichen Folgen rechnen muss.
Rz. 42
Die generelle Pflicht zur Mitteilung der durch die Selbstanzeige offenbarten Steuerhinterziehung von Beamten und Richtern an den Dienstvorgesetzten kann durch Verwaltungsanweisungen oder gesetzliche Regelungen nicht begründet werden und wäre unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig.
Die Offenbarung ist vielmehr bei ihnen wie auch bei dem Standesrecht unterliegenden Personen nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nur zulässig, wenn für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Die Selbstanzeige als solche hindert allerdings die Annahme des zwingenden öffentlichen Interesses nicht, allerdings ist festzustellen, dass die Praxis die Schwelle des zwingenden öffentlichen Interesses für eine Weitergabe in Verwaltung und Rechtsprechung aktuell durchweg niedrig ansetzt.
Rz. 43
Die Offenbarung kann nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zulässig sein, wenn ein Amtsträger innerhalb seines dienstlichen Aufgabenbereichs eine Steuerhinterziehung begeht oder an ihr mitwirkt. Auch wenn durch Selbstanzeige Straffreiheit eingetreten ist, wurde dieses öffentliche Interesse an dienstrechtlichen Maßnahmen im BMF v. 10.5.2000 bei Beamten und Richtern im Fall der Steuerhinterziehung als zwingendes öffentliches Interesse i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO angesehen, wenn die verkürzte Steuer 5.000 DM (2.552,54 EUR) oder mehr pro Besteuerungszeitraum betrug, oder unabhängig von der verkürzten Steuer bei der Tatbegehung eine erhebliche kriminelle Energie, z. B. durch die Fälschung von Belegen, aufgewendet wurden. Diese Regelung wurde teilweise als rechtswidrig angesehen, da sie mit dem Regelungsinhalt des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nicht vereinbar war. Ein zwingendes öffentliches Interesse kann i. d. R. nur dann angenommen werden, wenn auf der Grundlage einer vorläufigen Bewertung der der offenbarenden Stelle vorliegenden Erkenntnisse zu erwarten ist, dass in einem förmlichen Disziplinarverfahren eine Disziplinarmaßnahme von einigem Gewicht verhängt werden wird, wie die Entfernung aus dem Dienst oder zumindest eine nachhaltige Degradierung.
Rz. 43a
Dementsprechend hat das BMF mit dem BMF-Schreiben v. 12.1.2018 reagiert, in dem es den Gesichtspunkt aufnimmt, dass ein zwingendes öffentliches Interesse insbesondere vorliegt, wenn auf der Grundlage einer vorläufigen Bewertung zu erwarten ist, dass in einem förmlichen Disziplinarverfahren eine Entfernung aus dem Dienst oder zumindest eine nachhaltige Degradierung möglich erscheint.
Ein zwingendes öffentliches Interesse kann sich jedoch auch daraus ergeben, dass das jeweilige Delikt das Ansehen und die Funktionsfähigkeit des Beamtentums nachhaltig schädigen könnte. Dies ist nach Ansicht des BMF der Fall, wenn der Kernbereich der dienstlichen Pflichten betroffen ist oder es sich um Bereiche der öffentlichen Verwaltung handelt, die – wie insb. die Finanzverwaltung – für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Verwaltung von besonderer Bedeutung sind. Folglich ist das Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses nicht nur von der Höhe der verkürzten Steuer, sondern auch von der Art und Dauer der Straftat(en) abhängig. Eine Offenbarung kann somit trotz eines geringen Steuerschadens auch zulässig sein, wenn die Steuerhinterziehung von einem Beamten der Finanzverwaltung begangen wurde und über einen längeren Zeitraum von weiteren Delikten – z. B. geschäftsmäßiger Hilfe in Steuersachen – begleitet wird. In diesen Fällen ist es ohne Bedeutung, ob der Täter eine wirksame Selbstanzeige abgegeben hat oder das Verfahren aus einem anderen Grund eingestellt wurde.
Rz. 44
Der BGH sieht in § 125c BRRG eine gesetzliche Durchbrechung des Steuergeheimnisses. Durch diese Norm wird danach ein ...