Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 9
Eine wesentliche Beteiligung ist nach § 74 Abs. 2 S. 1 AO gegeben, wenn der Eigentümer des Gegenstands zu mehr als einem Viertel am Unternehmen beteiligt ist. Entscheidend ist die wirtschaftliche Beteiligung, nicht dagegen ausschließlich die rechtliche. Dies hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er – abweichend von § 115 RAO – die mittelbare Beteiligung besonders genannt hat ("unmittelbar oder mittelbar"). Beteiligungen von Angehörigen des Eigentümers sind – abweichend vom früheren § 115 RAO – unbeachtlich (siehe dazu oben Rz. 1). Dagegen kann auch ein atypisch stiller Gesellschafter wesentlich Beteiligter sein.
Für die Beurteilung der wesentlichen Beteiligung gelten die steuerlichen Zurechnungsvorschriften, insbesondere § 39 Abs. 2 AO. Hält eine Person eine Beteiligung als Treuhänder, so ist der Treugeber beteiligt. Die Beteiligung einer Gesamthandsgemeinschaft ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO wie eine Bruchteilsbeteiligung anzusehen. Hier ergeben sich jedoch wegen der Berücksichtigung mittelbarer Beteiligungen keine Unterschiede. Von der Beteiligung einer Gesamthandsgemeinschaft ist der Fall zu unterscheiden, in dem zwar der Gegenstand einem Gesamthandsvermögen zugehört, jedoch die einzelnen Gesamthänder an dem Unternehmen wesentlich beteiligt sind. Vgl. Rz. 3a. Beschränkungen in der Verfügung über die Beteiligung oder in ihrer Nutzung sind unbeachtlich, da sie das Näheverhältnis nicht beeinträchtigen.
Die unmittelbaren und die mittelbaren Beteiligungen sind für die Beurteilung der wesentlichen Beteiligung zusammenzufassen.
Der Haftungsschuldner H ist zu 5 % unmittelbar an der X-GmbH beteiligt. Zugleich ist er Gesellschafter der Y-OHG mit einem Anteil von 60 %. Die Y-OHG besitzt ihrerseits 35 % des Stammkapitals der X-GmbH. H ist also zu 21 % mittelbar, insgesamt mit 26 % an der X-GmbH beteiligt.
Rz. 10
Der Umfang der Beteiligung wird am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens gemessen. Für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften entscheiden die kapitalmäßigen Anteile, z. B. am Grundkapital einer AG oder am Stammkapital einer GmbH. Bei der Berechnung der Beteiligungsgrenzen bleiben eigene Anteile der Kapitalgesellschaft außer Betracht. Für die Beteiligung an Personengesellschaften sind die im Gesellschaftsvertrag getroffenen Regelungen hinsichtlich Einlage und Gewinnbeteiligung maßgeblich, wobei der Gewinnanteil ausschlaggebend ist. Allerdings ist der für die Tätigkeit von Gesellschaftern gezahlte Gewinnvoraus nicht zu berücksichtigen, da dieser nicht Ausdruck des Umfangs der Beteiligung ist. Dagegen ist das Vorhandensein oder Fehlen des Stimmrechts für die wesentliche Beteiligung nach Abs. 2 S. 1 ohne Bedeutung, möglicherweise jedoch wesentlich für den beherrschenden Einfluss nach Abs. 2 S. 2 (vgl. Rz. 11, 12). Durch rückwirkende Schenkung eines (Teil-)Anteils kann die wesentliche Beteiligung nicht als Voraussetzung der Haftung nach § 74 AO beseitigt werden.