Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verschulden des Vorstands einer AG als Voraussetzung für eine Lohnsteuerhaftung bei sicherem Vertrauen auf die Übernahme der AG durch einen Wettbewerber und Begleichung aller Verbindlichkeiten der AG durch den potentiellen Übernehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten stellt im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten des gesetzlichen Vertreters dar. Reichen die dem Vorstand einer AG zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne (einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht aus, so darf er die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen.
2. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht regelmäßig zum Ausschluss des Verschuldens i. S. § 69 AO nicht aus. Es kann aber an dem Verschulden des Vertreters fehlen, wenn er aufgrund einer verbindlichen Zusage fest mit dem Eingang zusätzlicher Mittel gerechnet hat. Das kann der Fall sein, wenn der Vorstand einer AG bei Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls sicher damit rechnen kann, dass das von der AG geführte Unternehmen von einem Wettbewerber übernommen wird und dieser alle Rückstände der AG, die bis dahin aufgelaufen sind, nach dem Erwerb ausgleichen wird; ein Verschulden liegt dann auch nicht vor, wenn die Übernahme später aufgrund der völlig unerwarteten Meinungsänderung eines Aufsichtsratsmitglieds und Aktionärs für alle Beteiligten völlig überraschend doch noch scheitert.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1, § 69 S. 1, § 191 Abs. 1 S. 1, § 166; AktG § 78 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides über nicht abgeführte Lohnsteuerbeträge für die Zeiträume Juni und Juli 01, insbesondere ob den Kläger eine grob fahrlässige Pflichtverletzung an der Nichtabführung der Lohnsteuerbeträge trifft bzw. ob eine etwaige solche ursächlich für den Haftungsschaden war.
Der Kläger war Vorstand der mit Satzung vom 19.05.2000 gegründeten B-AG mit Sitz in A-Stadt (nachfolgend AG). Gegenstand des Unternehmens ist die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Biosensorik, Biomedizin und Biomechanik sowie die Herstellung und der Vertrieb von Produkten auf diesen Gebieten.
Die AG beschäftigte im Jahr 01 durchschnittlich 7 Arbeitnehmer und war zur Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer verpflichtet.
Die AG hatte auf eigenen Lohnsteueranmeldungen beruhende Lohnsteuerrückstände (incl. Folgesteuern) u.a. für die Monate Juni und Juli 01. Am 24.08.01 zahlte die AG an den Beklagten einen Betrag in Höhe von 1.371,98 EUR hinsichtlich der fälligen Lohnsteuer Juni 01.
Am 21.09.01 stellte die AG, vertreten durch den Kläger beim Amtsgericht Gera einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Daraufhin wurde mit Beschluss vom 02.10.01 die vorläufige Verwaltung angeordnet. Das Insolvenzverfahren wurde am 01.12.01 eröffnet. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen leitete der Beklagte aufgrund der Insolvenzantragsteilung durch die AG nicht ein. Im Weiteren erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Beklagten unter Berufung auf § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, 3 InsO die Anfechtung u.a. der am 24.08.01 erfolgten Zahlung, die er zurückforderte. Daraufhin kehrte der Beklagte u.a. am 04.11.02 den Betrag an den Insolvenzverwalter aus.
Nach entsprechender Anhörung nahm der Beklagte den Kläger mit Haftungsbescheid vom 14.04.03 u.a. für die in den Anmeldungszeiträumen Juni und Juli 01 angemeldeten, aber zunächst verspätet bzw. letztlich nicht gezahlten Lohnsteuern, Folgesteuern und Nebenleistungen in Anspruch. Die beigefügte Anlage zum Haftungsbescheid enthielt eine Aufstellung der für die jeweiligen Voranmeldungszeiträume geschuldeten Abgaben. Der Beklagte sah insoweit den Haftungstatbestand nach § 69 i.V.m. § 34 AO als erfüllt an und begründete dies wie folgt: Der Kläger sei gemäß dem Handelsregisterauszug Vorstand und somit gesetzlicher Vertreter der AG im Haftungszeitraum gewesen. Als gesetzlicher Vertreter sei er verpflichtet gewesen, die von der AG geschuldeten Lohnsteuern aus den verwalteten Mitteln zu entrichten.
Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, ihn treffe keine grob fahrlässige Pflichtverletzung im Sinne des § 69 AO. Er habe damit gerechnet und damit rechnen dürfen, dass aufgrund sich anbahnender Verkaufsverhandlungen mit einem Investor sich die finanziellen Probleme der AG bessern würden. Zwischenzeitlich habe der Investor der AG Geräte abgekauft und dadurch der AG liquide Mittel zukommen lassen, aus denen u.a. auch die Lohnsteuerrückstände vom Sommer 01 beglichen worden seien.
Der Kläger sei sich aufgrund seines Bemühens keiner grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Schuld bewusst. Der Kläger machte ferner unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Re...