Entscheidungsstichwort (Thema)
Umgruppierung wegen geänderter tariflicher Tätigkeitsbewertung. Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 3 BetrVG per Telefax. Betriebsverfassungsrecht. Eingruppierung Privatwirtschaft
Leitsatz (amtlich)
- Die Unwirksamkeit einer Rechtsvorschrift, auf der die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG beruht, kann der Betriebsrat auch noch nach Ablauf der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geltend machen.
- Eine Ein- oder Umgruppierung, die von der im Betrieb geltenden Vergütungsordnung geboten wird, stellt keinen “Nachteil” des betroffenen Arbeitnehmers iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG dar.
Orientierungssatz
- Dem Schriftlichkeitserfordernis des § 99 Abs. 3 BetrVG genügt auch ein Telefaxschreiben des Betriebsrats.
- Die in einem nachfolgenden gesonderten Tarifvertrag vorgesehene Eingruppierung geht nach der Zeitkollisionsregel einer früheren, für die Arbeitnehmer günstigeren Eingruppierung in einem Manteltarifvertrag auch dann vor, wenn die Ablösung der älteren Regelung nicht ausdrücklich vereinbart wurde.
- Die Berücksichtigung eines möglichen Verstoßes der neuen Eingruppierung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Betriebsrat dies erst nach Ablauf der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG geltend gemacht hat. Die Gerichte dürfen ungültige Normen nicht zur Grundlage einer Ersetzungsentscheidung machen. Möglichen Unwirksamkeitsgründen haben sie aber nur bei Vorliegen entsprechender – offensichtlicher oder substantiiert vorgetragener – Anhaltspunkte nachzugehen.
- Der Verweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG kommt im Zusammenhang mit Ein- und Umgruppierungen nicht in Betracht.
Normenkette
BetrVG § 99; BGB §§ 125-126; GG Art. 3 Abs. 1; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer und Auszubildenden der Unternehmen der BHW-Gruppe vom 18. Oktober 1996 §§ 6-7; Tarifvereinbarung über eine Vergütungsregelung für Gebietsverkaufstrainer und Gebietsverkaufsförderer der BHW Bausparkasse AG vom 29. Juni 2000 Nrn. 2-4, 7
Verfahrensgang
LAG Bremen (Beschluss vom 13.09.2001; Aktenzeichen 4 TaBV 6/01) |
ArbG Bremerhaven (Beschluss vom 23.01.2001; Aktenzeichen 2 BV 70/00) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 13. September 2001 – 4 TaBV 6/01 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die zutreffende Eingruppierung eines Mitarbeiters.
Die antragstellende Arbeitgeberin ist eine Bausparkasse. Sie unterhält eine bundesweite Außendienstorganisation. Diese ist in 21 Gebietsdirektionen gegliedert. Weiterer Beteiligter ist der bei der Gebietsdirektion B… gebildete Betriebsrat.
In den einzelnen Gebietsdirektionen sind ua. sog. Gebietsverkaufstrainer und Gebietsverkaufsförderer tätig. Ihre Vergütung richtet sich nach den für die Arbeitgeberin geltenden Haustarifverträgen. § 6 des Manteltarifvertrags vom 1. Januar 1975 in seiner Fassung vom 18. Oktober 1996 (MTV) sieht neun Vergütungsgruppen vor. “Tarifgruppe 9” gilt für “Tätigkeiten, die sich durch Schwierigkeit und/oder Verantwortung offenbar über Gruppe 8 hinausheben, zB: … Gebietsverkaufsförderer, Gebietsverkaufstrainer …” Nach § 7 MTV sind “Arbeitnehmer, deren Tätigkeit als Beispiel in den Eingruppierungsübersichten aufgeführt ist, … in die entsprechende Tarifgruppe einzugruppieren”. § 7 Nr. 5 MTV sieht für ältere Arbeitnehmer nach zehn Dienstjahren einen Abgruppierungsschutz vor.
Über die Vergütung der Gebietsverkaufstrainer und -förderer bestehen weitere Tarifregelungen. Die Vereinbarung vom 21. Dezember 1994 sah neben dem Tarifgehalt nach Gruppe 9 eine monatliche Funktionszulage und eine erfolgsabhängige Provision vor. Durch die Vereinbarung vom 17. November 1998 wurde die sog. Teamprovision durch eine “Seminarprämie” ersetzt. Am 29. Juni 2000 schlossen die Tarifvertragsparteien die bislang jüngste “Tarifvereinbarung über eine Vergütungsregelung für Gebietsverkaufstrainer und Gebietsverkaufsförderer”. Sie hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
“2. Tarifgehalt
Gebietsverkaufstrainer und Gebietsverkaufsförderer werden in die Tarifgruppe 8 eingruppiert.
3. Bonussystem
3.1 Grundsatz
Bei entsprechenden Leistungen wird den Gebietsverkaufstrainern und Gebietsverkaufsförderern ein Bonus gemäß den nachstehenden Bestimmungen gewährt.
3.2 Bonusstruktur
Der Bonus besteht aus zwei Komponenten. Mit der Komponente Individuelle Leistung (I) wird der spezifische Beitrag des Mitarbeiters zur Erreichung der Unternehmensziele, mit der Komponente Unternehmensziele (U) die Verantwortung des Mitarbeiters für den Gesamterfolg der B… -Gruppe honoriert.
Bestandteil der Komponente I ist bei den Gebietsverkaufstrainern u.a. die folgende Seminartagesstaffel:
…
3.4 Abschlagszahlungen
Auf den im jeweiligen Folgejahr zu ermittelnden Bonus erhalten Gebietsverkaufstrainer eine monatliche Vorauszahlung in Höhe von 1.000,-- DM und Gebietsverkaufsförderer in Höhe von 750,-- DM. Zuviel geleistete Vorauszahlungen werden zunächst mit den laufenden Vorauszahlungen verrechnet.
3.5 Sonstiges
Die Einzelheiten des Bonussystems, insbesondere das Verhältnis zwischen Komponenten I und U sowie die Bemessungsgrundlagen für die Komponenten I und U, werden vom Vorstand der B… Holding AG festgelegt.
…
4. Besitzstandswahrung
4.1 Besitzstandswahrung im Zusammenhang mit den neuen Vergütungsregelungen
Für die am 30. Juni 2000 in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Regionaltrainer und Regionalen Vertriebsförderer (neue Bezeichnung: Gebietsverkaufstrainer und Gebietsverkaufsförderer) gelten die bisherigen Regelungen zur variablen Vergütung bis zum 31. Dezember 2000 fort.
Regionaltrainer und Regionale Verkaufsförderer, die am 30. Juni 2000 in Tarifgruppe 9 eingruppiert sind, werden ab 1. Juli 2000 in Tarifgruppe 8 eingruppiert. Über das entsprechende Tarifgehalt hinaus erhalten sie eine versorgungsfähige Ausgleichszulage, die sich bei zukünftigen Tariferhöhungen wie folgt aufzehrt:
…
4.2 Besitzstandswahrung aus der Übernahme des Branchen-Tarifvertrages und der Neubewertung der Stellen (Tarifabschluss vom 15. Oktober 1993)
Evtl. aufgrund der Übernahme des Branchentarifvertrages und der Neubewertung der Stellen bestehende Ausgleichszulagen werden nach der bisherigen Systematik weiterhin aufgezehrt. Sie werden in voller Höhe auf den Bonus bzw. bis zum 31. Dezember 2000 auf die erzielten erfolgsabhängigen Vergütungen angerechnet und mit den jeweiligen monatlichen Vorauszahlungen verrechnet.
…
7. Schlußbestimmungen
Diese Tarifvereinbarung tritt am 1. Juli 2000 in Kraft und kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Sie ersetzt die Tarifvereinbarung über eine Vergütungsregelung für Regionaltrainer, Leiter Regionaltraining, Regionale Vertriebsförderer und Leiter Regionale Vertriebsförderung der B… Bausparkasse vom 21. Dezember 1994 in der Fassung der Tarifvereinbarung vom 17. November 1998.
…”
Zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses wurde der Mitarbeiter G… S… als Regionaler Vertriebsförderer/Gebietsverkaufsförderer beschäftigt und war in Tarifgruppe 9 eingruppiert. Mit Schreiben vom 6. Juli 2000 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zu seiner Umgruppierung in Tarifgruppe 8 mit Wirkung zum 1. Juli 2000. Mit Telefaxschreiben vom 13. Juli 2000 lehnte der Betriebsrat dies ab. Das Schreiben lautet:
“…
der Betriebsrat der GD B… hat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, Ihrem Antrag vom 06.07.2000 gem. § 99 Abs. 2 Ziffer 1 und 4 BetrVG zu widersprechen.
Begründung:
Die vorliegende Tarifvereinbarung vom 29.06.2000 beinhaltet unter Ziffer 3.5 eine Bonusregelung, deren Ausgestaltung noch durch den Vorstand festzulegen ist. Eine Umgruppierung nach Tarifgruppe 8 ohne detaillierte Bonusregelung verstößt gegen diese Tarifvereinbarung und stellt somit eine erhebliche Benachteiligung des Kollegen G… S… gemäß § 99 Abs. 2 Ziffer 4 BetrVG dar.
Die bisherige Eingruppierung in Tarifgruppe 9 basiert auf §§ 6 und 7 des Manteltarifvertrages für die B… Gruppe in Verbindung mit dem nach wie vor gültigen Stellenprofil für Gebietsverkaufsförderer. Eine Umgruppierung nach TG 8 verstößt somit gegen die Vorschriften des § 99 Abs. 2 Ziffer 1 BetrVG.
Sollte durch eine Neuausrichtung des Tätigkeitsfeldes eine andere Tätigkeit mit geringerer Bezahlung angestrebt sein, so genießt der Kollege G… S… außerdem den Abgruppierungsschutz des § 7 Ziffer 5 MTV der B… Gruppe.”
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die vom Betriebsrat vorgebrachten Gründe rechtfertigten die Zustimmungsverweigerung nicht. Sie setze lediglich die Tarifvereinbarung vom 29. Juni 2000 (TV 2000) um. Die dort vorgesehene Eingruppierung hänge nicht von einer vollständigen Ausarbeitung des Bonussystems ab. § 6 MTV sei für Gebietsverkaufstrainer und -förderer durch Nr. 2 TV 2000 ersetzt. Ein Verstoß gegen § 7 Nr. 5 MTV liege nicht vor.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Umgruppierung des Herrn G… S… zu ersetzen.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das Bonussystem sei untrennbarer Bestandteil der neuen Gehaltsregelung. Bis zu seiner vollständigen Aufstellung sei eine Eingruppierung nach Maßgabe der TV 2000 ausgeschlossen. Diese Ergänzung sei überdies mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Die Umgruppierung von Herrn S… verstoße deshalb gegen § 6 MTV. Die in der TV 2000 vorgesehene Eingruppierung verletze zudem den Gleichbehandlungsgrundsatz. Einfache Verkaufsförderer würden nach Tarifgruppe 8 und damit genauso vergütet wie nunmehr die Gebietsverkaufsförderer. Maßstab und Oberbegriff der Tarifgruppe 9 seien aber unverändert geblieben und auf Gebietsverkaufsförderer weiterhin anwendbar.
Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung von Herrn S… zu Recht ersetzt. Die vom Betriebsrat angegebenen Gründe tragen seine Zustimmungsverweigerung nicht.
Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.
- Bei der beabsichtigten Maßnahme handelt es sich um eine zustimmungsbedürftige Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG. Umgruppierung ist die Änderung der Einreihung in die im Betrieb geltende Vergütungsordnung (Fitting BetrVG 21. Aufl. § 99 Rn. 86). Eine solche Maßnahme hat die Arbeitgeberin mit Blick auf die Vergütung von Herrn S… geplant. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung verweigert.
Die Zustimmung des Betriebsrats gilt nicht als erteilt. Sie wurde rechtzeitig verweigert. Will der Betriebsrat einer Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG widersprechen, so hat er dies dem Arbeitgeber nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Die Frist beginnt mit der vollständigen Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Hält der Betriebsrat eine dieser Voraussetzungen nicht ein, gilt seine Zustimmung als erteilt, § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG.
- Die Arbeitgeberin hat mit Schreiben vom 6. Juli 2000 die Zustimmung zur Umgruppierung beantragt. Aus dem Schreiben gingen alle für die Entscheidung des Betriebsrats erforderlichen Angaben hervor. Die Wochenfrist begann deshalb mit Zugang dieses Schreibens. Gem. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB endete sie frühestens am 13. Juli 2000. Mit Telefaxschreiben von diesem Tage hat der Betriebsrat der Umgruppierung widersprochen. Dies war fristgerecht. Das Telefaxschreiben wahrte das Schriftlichkeitserfordernis des § 99 Abs. 3 BetrVG. Dafür genügt es, daß die Erklärung des Betriebsrats als Schrift wahrnehmbar ist. Der Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB, die ein Telefaxschreiben wegen der nur abgebildeten Unterschrift des Erklärenden nicht erfüllt, bedarf es nicht. § 126 BGB gilt nur für Rechtsgeschäfte. Die Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 3 BetrVG ist keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Auf eine solche ist § 126 BGB nicht unmittelbar anwendbar. Eine analoge Anwendung ist mit Blick auf die Verweigerungserklärung nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht geboten (Senat 11. Juni 2002 – 1 ABR 43/01 – zVv.).
- Der Betriebsrat hat die Zustimmung mit der gesetzlich geforderten Angabe von Gründen verweigert. Dafür genügt es, daß sich die dem Arbeitgeber schriftlich mitgeteilten Gründe einem der in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgeführten Tatbestände zuordnen lassen. Unbeachtlich ist eine Begründung nur, wenn sie offensichtlich auf keinen der gesetzlichen Verweigerungsgründe Bezug nimmt (Fitting aaO § 99 Rn. 214). In seinem Schreiben vom 13. Juli 2000 hat der Betriebsrat unter näherer Darlegung einen Verstoß der beabsichtigten Maßnahme gegen § 99 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 BetrVG geltend gemacht.
Der Antrag der Arbeitgeberin ist begründet. Der Betriebsrat hat die Zustimmung zur Umgruppierung von Herrn S… zu Unrecht verweigert. Dieser ist seit dem 1. Juli 2000 in Tarifgruppe 8 des § 6 MTV eingruppiert. Verweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG bestehen nicht.
Die beabsichtigte Umgruppierung entspricht der TV 2000. Mit seiner gegenteiligen Ansicht macht der Betriebsrat nicht eine Verletzung der TV 2000 geltend, sondern das Fehlen der Voraussetzungen für ein Inkrafttreten der neuen Eingruppierungsregelung. Dem ist das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt.
- Die Arbeitgeberin ist als Tarifvertragspartei nach § 3 TVG an den MTV und die TV 2000 gebunden. Das darin geregelte Vergütungsgruppensystem ist deshalb Teil der in den Gebietsdirektionen anzuwendenden Entlohnungsgrundsätze. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht insoweit nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht.
- Nr. 2 und Nr. 4.1 TV 2000 sehen mit Wirkung vom 1. Juli 2000 eine Vergütung der Gebietsverkaufsförderer nach Tarifgruppe 8 ausdrücklich vor. Diese Eingruppierung hängt nicht davon ab, daß zunächst das in Nr. 3 TV 2000 vereinbarte Bonussystem in allen tariflich nicht geregelten Einzelheiten festgelegt würde. Für eine solche Verknüpfung gibt es keinen Anhaltspunkt. In Nr. 4.1 Abs. 2 TV 2000 heißt es ohne jeden Vorbehalt, die Gebietsverkaufsförderer seien “ab 1. Juli 2000 in Tarifgruppe 8 eingruppiert”. Eine aufschiebende Bedingung haben die Tarifvertragsparteien weder hier noch in Nr. 7 TV 2000 vereinbart, wo bestimmt ist, daß die gesamte TV 2000 am 1. Juli 2000 in Kraft tritt. Den Tarifvertragsparteien mußte bewußt sein, daß zu diesem Zeitpunkt das neue Bonussystem noch nicht vervollständigt sein konnte. Gleichwohl haben sie weder einen Aufschub für das Wirksamwerden der Umgruppierung vorgesehen noch einen Zeitpunkt bestimmt, bis zu dem die Bonusregelungen vollständig ausgearbeitet sein sollten. Vielmehr haben sie für beide Vergütungsbestandteile Besitzstandsregelungen vereinbart. Die Herabsetzung des Tarifgehalts sollte durch die aufzehrbare “versorgungsfähige Ausgleichszulage” nach Nr. 4.1 Abs. 2 TV 2000 aufgefangen werden. Für die variable Vergütung sollten gem. Nr. 4.1 Abs. 1 TV 2000 die bisherigen Regelungen bis zum 31. Dezember 2000 fortgelten; anschließend würden die Abschlagszahlungen nach Nr. 3.4 TV 2000 fällig. Umgruppierung und Bonussystem stehen damit nicht in einem Bedingungszusammenhang.
- Die Umgruppierung der Gebietsverkaufsförderer zum 1. Juli 2000 ist entgegen der Ansicht des Betriebsrats auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie ohne vollständige Ausarbeitung des Bonussystems einer unvollständigen Eingruppierung gleich käme. Zwar ist das zwecks Eingruppierung eingeleitete Mitbestimmungsverfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein einheitliches Verfahren, das die Eingruppierung in allen ihren Teilen erfaßt (BAG 27. Juni 2000 – 1 ABR 36/99 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 3). Die Bonusregelungen als solche verlangen aber keine Eingruppierung. Ein- und Umgruppierung bedeutet die Einreihung des Arbeitnehmers in ein kollektives Entgeltschema. Ein Entgeltschema teilt einzelne Tätigkeiten in verschiedene Tätigkeitsgruppen ein, deren Verschiedenheit in der unterschiedlichen Höhe der ihnen zugeordneten Vergütung zum Ausdruck kommt. Eine solche bewertende Einteilung nimmt das tarifliche Bonussystem nicht vor. Es gewährt den Gebietsverkaufstrainern und -förderern die Chance auf eine zusätzliche, erfolgsabhängige Vergütung. Ihre Stellung innerhalb der Vergütungsordnung wird dadurch nicht geändert. Auch wenn Boni, Zulagen und Tarifgehalt erst insgesamt die tatsächliche Vergütung des Arbeitnehmers bilden, ist die Eingruppierung nur hinsichtlich des Tarifgehalts erforderlich.
- Die beabsichtigte Umgruppierung von Herrn S… verstößt nicht gegen §§ 6, 7 MTV. Zwar ist dort weiterhin die Eingruppierung der Gebietsverkaufsförderer in Tarifgruppe 9 vorgesehen. Diese Regelung ist jedoch mit Wirkung vom 1. Juli 2000 durch Nr. 2, Nr. 4.2 TV 2000 abgelöst worden. Die TV 2000 ist ein Tarifvertrag im Sinne des Tarifvertragsgesetzes. Für die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses zwischen zwei gleichrangigen Normen, die denselben Gegenstand regeln und sich an denselben Adressatenkreis wenden, gilt nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern ua. die Zeitkollisionsregel. Danach wird die ältere Regelung durch die jüngere abgelöst. Nur diese kommt für die Zukunft zur Geltung. Sie verdrängt entgegenstehende Regelungen auch dann, wenn sie das nicht ausdrücklich erklärt. Darauf, ob die jüngere Regelung für die betroffenen Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger ist, kommt es regelmäßig nicht an. Es ist Teil der den Tarifvertragsparteien zustehenden Tarifautonomie, bestehende Tarifnormen jederzeit auch zu Lasten der Arbeitnehmer ändern zu können (BAG 20. Februar 2001 – 1 AZR 322/00 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 107 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 66; 15. November 2000 – 5 AZR 310/99 – BAGE 96, 249; 5. Oktober 2000 – 1 AZR 48/00 – BAGE 96, 15). Grenzen ergeben sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem darauf beruhenden Rückwirkungsverbot (vgl. BVerfG 15. Oktober 1996 – 1 BvL 48/92 und 1 BvL 44/92 – BVerfGE 95, 64; BAG 15. November 2000, aaO; 16. Juli 1996 – 3 AZR 398/95 – BAGE 83, 293). Solche Gesichtspunkte stehen der Wirksamkeit der TV 2000 nicht entgegen.
Die Eingruppierung der Gebietsverkaufsförderer in Tarifgruppe 8 verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob und inwieweit dieses Grundrecht die Tarifvertragsparteien als Normgeber unmittelbar bindet (vgl. dazu BAG 4. April 2000 – 3 AZR 729/98 – AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 2 = EzA BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 19; 30. August 2000 – 4 AZR 563/99 – BAGE 95, 277). Auch bei Annahme einer solchen Bindung ist der Gleichheitssatz nicht verletzt.
Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht deshalb unbeachtlich, weil der Betriebsrat sie nicht schon im Widerspruchsschreiben, sondern erst im Laufe des Verfahrens vorgebracht hat. Zwar sind Verweigerungsgründe des Betriebsrats grundsätzlich nur zu berücksichtigen, wenn sie dem Arbeitgeber innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG mitgeteilt worden sind (BAG 15. April 1986 – 1 ABR 55/84 – BAGE 51, 345 mwN.). Dies gilt aber nicht für rechtliche Argumente, sondern nur für Gründe tatsächlicher Art und für die Einführung anderer Widerspruchsgründe des § 99 Abs. 2 BetrVG (BAG 28. April 1998 – 1 ABR 50/97 – BAGE 88, 309). Von der Mitteilungsfrist ausgenommen sind ferner solche Gründe, die die Wirksamkeit einer Rechtsnorm betreffen, auf der die vom Arbeitgeber beabsichtigte Maßnahme beruht. Auch solche Einwände sind unabhängig davon beachtlich, wann sich der Betriebsrat auf sie berufen hat. Soweit sich die geplante Maßnahme als Normanwendung darstellt, kann die Zustimmung des Betriebsrats nur ersetzt werden, wenn sich die zugrundeliegende Regelung als wirksam erweist. Die Gerichte dürfen ungültige Normen nicht zur Grundlage einer Ersetzungsentscheidung machen. Möglichen Unwirksamkeitsgründen haben sie allerdings nur dann nachzugehen, wenn deren tatsächliche Voraussetzungen offensichtlich oder auf Grund substantiierten Vorbringens eines Beteiligten in das Verfahren eingeführt sind.
Hier hat der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 14. November 2000 vorgetragen, künftig seien sowohl bloße “Sachbearbeiter Verkaufsförderung” als auch Gebietsverkaufsförderer in Tarifgruppe 8 eingruppiert, obwohl sich der Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit für letztere nicht verringert habe; darin hat der Betriebsrat den gerügten Gleichheitsverstoß erblickt. Für die Beachtlichkeit seines Vorbringens ist dies ausreichend.
Die Rüge des Betriebsrats ist jedoch unbegründet. Durch die Eingruppierung der Gebietsverkaufsförderer in Tarifgruppe 8 wird Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz setzt voraus, daß die Tarifvertragsparteien bei der Normierung tariflicher Vorschriften tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten außer Acht lassen, die so wesentlich sind, daß sie bei einer am allgemeinen Gleichheitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten Berücksichtigung finden müssen (BAG 26. April 2000 – 4 AZR 177/99 – BAGE 94, 273). Soweit es dabei um die Beurteilung tatsächlicher Umstände und möglicher Regelungsfolgen geht, steht den Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative zu. Bei der inhaltlichen Gestaltung der Regelung haben sie einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum (BAG 29. August 2001 – 4 AZR 352/00 – AP GG Art. 3 Nr. 291 = EzA GG Art. 3 Nr. 93; ErfK/Dieterich 2. Aufl. GG Art. 3 Rn. 27). An die Systemgerechtigkeit von Tarifverträgen dürfen wegen ihres Kompromißcharakters als Ergebnis von Verhandlungen über gegenläufige Interessen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden (ErfK/Dieterich aaO Rn. 44, 46 mwN). Die Tarifvertragsparteien können im Interesse der Praktikabilität, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit auch typisierende Regelungen treffen (BAG 29. August 2001 – 4 AZR 352/00 – aaO).
Danach liegt die Eingruppierung der Gebietsverkaufsförderer durch die TV 2000 im Rahmen des den Tarifvertragsparteien zustehenden Regelungsspielraums. Der Betriebsrat hat keine näheren Tatsachen dafür vorgetragen, weshalb eine Eingruppierung der Verkaufsförderer und der Gebietsverkaufsförderer in dieselbe Tarifgruppe 8 gleichheitswidrig sein sollte. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß die neue Eingruppierung beispielsweise auf der Einschätzung der Tarifvertragsparteien beruhen könne, die bisherige Bewertung der Tätigkeit der Gebietsverkaufsförderer sei – gerade gemessen am Gleichheitssatz – zu hoch ausgefallen. Auch angesichts der zugleich eingeführten Bonusregelung, die nach der TV 2000 nur den Gebietsverkaufstrainern und -förderern zugute kommt, läßt sich in der veränderten Eingruppierung eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht feststellen.
- Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats ist auch nicht deshalb begründet, weil die Umgruppierung von Herrn S… gegen § 7 Nr. 5 MTV verstieße. Nach dieser Vorschrift genießen zwar über 45 Jahre alte Mitarbeiter, die dem Betrieb mindestens zehn Jahre angehört haben, Abgruppierungsschutz. Ihre Vergütung ist auch dann nach der bisherigen Tarifgruppe zu bemessen, wenn ihnen eine Tätigkeit übertragen wurde, die einer niedrigeren Tarifgruppe entspricht. § 7 Nr. 5 MTV schützt jedoch nicht vor einer Neubewertung der bisherigen Tätigkeit selbst. Die Regelung greift nur ein, wenn dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit übertragen wird. Hier hat sich nicht die Tätigkeit des Herrn S… geändert, sondern deren tarifliche Bewertung.
- In der beabsichtigten Umgruppierung liegt kein Nachteil iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, daß ein solcher Verweigerungsgrund im Zusammenhang mit einer Eingruppierung oder Umgruppierung nicht in Frage kommt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats kein Mitgestaltungs-, sondern ein Mitbeurteilungsrecht. Die Eingruppierung eines Arbeitnehmers in eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung ist ein Akt der Rechtsanwendung. Die Beteiligung des Betriebsrats soll sicherstellen, daß diese Rechtsanwendung möglichst zutreffend erfolgt. Sie dient der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der betrieblichen Vergütungsordnung und damit der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sowie der Transparenz der betrieblichen Vergütungspraxis (BAG 3. August 1999 – 1 ABR 30/98 – BAGE 92, 162; 28. April 1998 – 1 ABR 50/97 – aaO; 12. August 1997 – 1 ABR 13/97 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 14 = EzA BetrVG 1972 § 99 Umgruppierung Nr. 1). Dabei beschränkt sich das Mitbeurteilungsrecht zwar nicht auf die Frage, ob die vom Arbeitgeber vorgenommene Bewertung der Tätigkeit der von ihm zugrunde gelegten Vergütungsordnung entspricht. Der Betriebsrat kann nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Eingruppierung vielmehr auch mit der Begründung widersprechen, die vom Arbeitgeber angewandte Vergütungsordnung sei nicht diejenige, die im Betrieb zur Anwendung kommen müsse (BAG 27. Januar 1987 – 1 ABR 66/85 – BAGE 54, 147; 27. Juni 2000 – 1 ABR 29/99 – ZTR 2001, 188). In jedem Fall geht es aber darum, die korrekte Anwendung der maßgeblichen Vergütungsordnung zu gewährleisten. Die Rechtsanwendung als solche steht nicht zur Disposition der Betriebsparteien. Einer von der Vergütungsordnung gebotenen Ein- oder Umgruppierung kann sich der Betriebsrat deshalb nicht mit der Begründung widersetzen, sie verschlechtere die bisherige Position des Arbeitnehmers. In den Folgen richtiger Anwendung des geltenden Rechts liegt kein “Nachteil” iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG.
Unterschriften
Wißmann, Schmidt, Kreft, Rath, Büßenschütt
Fundstellen
Haufe-Index 880011 |
BAGE 2004, 135 |
BB 2003, 316 |
DB 2003, 290 |
DStR 2003, 384 |
FA 2003, 124 |
FA 2003, 145 |
NZA 2003, 386 |
SAE 2003, 239 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 19 |
EzA |
PERSONAL 2003, 56 |
ArbRB 2003, 75 |
BAGReport 2003, 148 |